Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 225.

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Die Huerta.

Freitag, den 17. November.

( Nachdrud verboten.)

Roman von V. Blasco Ibanez Autorisierte Uebersehung von Wilhelm Thal.

Als Vater Barret Pimentos Hütte verlassen, hatte er zuerst in dem Beutel mit den Werkzeugen herumgesucht und daraus eine kleine Sichel hervorgeholt, die er sich in seinen Gürtel steckte. Dann war er geradeswegs auf seine Felder zugegangen und strich nun, wie ein verjagter Hund, um das verschlossene Haus herum

Verschlossen, es war für ihn auf ewig verschlossen? Und doch hatte sein Großvater diese Mauern gebaut, und er selbst hatte sie alljährlich repariert. Er sah in der Dunkelheit den weißen Mörtel hervortreten, mit dem seine Töchter noch im vorigen Monat das Haus bestrichen hatten. Der Hühnerhof, der Stall, der Schweinekoben waren das Werk seines Vaters; und die hohe anmutige Strohhaube mit den beiden kleinen Kreuzen an den äußersten Enden hatte er selbst an Stelle des alten Daches aufgelegt, das von allen Seiten leckte. Und er hatte auch mit eigenen Händen das Brunnengeländer, das Spalier, die Röhrichtumfriedigung, über der sich die blühenden Stauden der Nelken und Taglilien erhoben, hergestellt. Und das alles sollte nun einem anderen zufallen? Warum? Weil die Menschen es so haben wollten. Wütend suchte er in seinem Gürtel nach seiner Streichholzbüchse, um das Strohdach in Brand zu stecken. Der Teufel soll die Baracke holen! Schließlich gehörte sie ihm doch, und er hatte das Recht, sein Eigentum zu zerstören, ehe es den Spitzbuben in die Hände fiel. Doch gerade in dem Augenblick, wo er sein altes Haus anzünden wollte, packte ihn ein instinktives Entsetzen, als ständen ihm die Leichen seiner Vorfahren vor Augen, und er warf die Streichhölzer zur Erde.

Doch die Zerstörungswut tobte weiter in seinem Hirn; und mit der Sichel in der Faust wanderte er über die Felder, deren Opfer er geworden war. Sie sollte es ihm ein für alle­mal bezahlen, die undankbare Erde, die an all seinem Unglück schuld war. Und das Gemezel dauerte stundenlang. Die langen Reihen der zarten grünen Erbsen brachen unter den Tritten der Stiefel; die Bohnen sanken nieder, von der wütenden Sichel verstümmelt, die Lattiche und Endivien fielen wie abgeschnittene Köpfe unter dem scharfen Stahl, und ihre Blätter breiteten sich wie lange Haare überall aus. Wenigstens sollte niemand von seiner Arbeit Nugen haben. Bis Mitternacht zerstörte, wütete, fluchte und wetterte er; dann überkam ihn eine plötzliche Schwäche, weinend wie ein Kind stürzte er in eine Furche und sagte sich, sein Bett wäre von jetzt ab nur die Erde, und feinen Lebensunterhalt müsse er sich durch Betteln auf den Landstraßen verdienen.

Er wurde von den ersten Strahlen der Sonne geweckt, die ihm auf die Lider fielen, und von dem fröhlichen Ge­zwitscher der Vögel, die um seinen Kopf flatternd die Reste der nächtlichen Verwüstung verspeisten. Nun erhob er sich, bon Mattigkeit betäubt, von Feuchtigkeit gelähmt, vor Kälte schlotternd, und begann, ohne zu wissen, wohin er ging, die Landstraße nach Balencia entlang zu wandern.

1905

Kleinod, das er nicht gegen fünfzig Morgen Land vertauschen würde. Und er zog die scharfe, gebogene Klinge aus dem Gürtel, ein Werkzeug von feiner Arbeit, mit scharf ge­schliffener Spize; wie der Alte behauptete, konnte man ein Blatt Zigarettenpapier damit in der Luft durchschneiden.

Die Kutscher bezahlten, trieben dann ihre Pferde an und 30gen mit ihren Wagen, deren Räder auf dem Wege knarrten, nach der Stadt.

Vater Barret blieb noch über eine Stunde nach dem Fort. gange der Kutscher in der Schenke; mit wirrem Kopfe sprach er fast ganz allein, bis zu dem Augenblick, wo er durch den harten Blick des Wirtes, der seinen Zustand erriet, in Ver­legenheit gebracht, von einer unbestimmten Scham erfaßt wurde und, ohne zu grüßen, ebenfalls mit unsicherem Schritte abzog.

Jetzt wurde sein Gedächtnis von einer hartnäckigen Er­innerung gequält, die er nicht los werden konnte. Er sah, selbst wenn er die Augen schloß, einen großen Garten mit Orangenbäumen, der sich in einer Entfernung von mehr als einer Meile zwischen Benimaclet und dem Meere befand. Dieser Garten gehörte Don Salvador, der sich fast alle Tage dorthin begab, um die schönen Bäume zu besichtigen, auf denen sein geiziger Blick die Orangen zu zählen schien. Ohne sich seiner Handlungsweise klar bewußt zu werden, ging Vater Barret nach dieser Richtung, um zu sehen, ob der Teufel wohl gefällig genug war, ihm den Mann in den Weg zu führen, der ihn ins Unglück gebracht hatte.

Da er sich nur sehr schlecht auf seinen Beinen halten fonnte und oft stehen blieb, um sein Gleichgewicht wieder zu gewinnen, so brauchte er zwei geschlagene Stunden, ehe er den Ort erreichte; als er angelangt war, hatte der Branntwein ihm so den Verstand verwirrt, daß er sich gar nicht mehr erinnerte, was er hier eigentlich wollte. Vor Mattigkeit zu­sammenfinkend, ließ er sich auf ein Hanffeld am Rande der Landstraße niederfallen. Schon nach einigen Augenblicken schlief er, und unter den grünen, geraden Stengeln ließ sich fein dumpfes Schnarchen vernehmen.

Als er erwachte, ging der Tag fast schon zu Ende. Er fühlte eine Schwere im Kopfe, Summen in den Ohren und einen schrecklichen Geschmack in seinem verpappten Munde. Wo war er denn? Warum lag er in einem Hanffeld? Dann stellte sich plötzlich das Gedächtnis wieder ein; seine angeborene Ehrlichkeit empörte sich, und er schämte sich seiner Er­niedrigung. Er bemühte sich, wieder auf die Beine zu Femmen und wollte fliehen. Während er sich aufrichtete, steckte er den Kopf zwischen die grünen Stengel und bemerkte ant Ende des Weges, schon ziemlich nahe, einen kleinen Menschen, der ganz in seinen Mantel eingehüllt langsam näherkam.

An diesem Abend hatte Don Salvador lange gezögert, bevor er ausgegangen war. Im Grunde genommen war ihm die Geschichte mit dem Vater Barret etwas peinlich. Die Sache war so frisch, und die Huerta so heimtückisch! Doch würdent andererseits die Spitzbuben nicht seine Abwesenheit benutzen, um sich zu seinem Schaden zu bereichern? Da der Garten schließlich von dem Gehöft, wo die Ermission stattgefunden, weit entfernt lag, so hatte der Geiz über die Furcht den Sieg davongetragen.

Beim Anblick des Wucherers geriet Barrets Blut in Wallung; sein ganzer Rausch packte ihn plötzlich auf das heftigste, und in seiner Wut empfand er eine gebieterische Mordlust. Ach ja! man mochte sagen, was man wollte. der Teufel war gut, denn er führte ihm den Mann in den Weg, den er seit gestern zu treffen wünschte! Er sah rot und sprang von dem Hanffeld, mit der Sichel in der Faust, auf den Weg.

Als er an Copas Schenke vorüberkam, schoß ihm der Gedanke, hineinzugehen, durch den Kopf. Einige Kutscher aus der Umgegend waren dort, sie begannen eine Unterhaltung mit ihm, bejammerten sein Unglück und forderten ihn auf, eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Er erwiderte ihnen, er nähme ihren Vorschlag gern an. Ja, bei dieser Kälte, die ihm bis auf die Knochen drang, würde er gern etwas zu sich Don Salvador wurde erst blaß und dann grün; seine nehmen. Und dieser nüchterne Mann trank Bug auf Bug Zähne klapperten; der Mantel glitt ihm von den Schultern, zwei große Gläser Branntwein, die wie Feuerfluten in seinen und er erschien schmächtig, schwächlich und zittrig in seinem schwachen Magen fielen. Sein Gesicht färbte sich rot, dann alten, abgeschabten Rock ; eine Menge schmutziger Lücher hatte bleich und nahm eine leichenhafte Blässe an; seine Augen er um den Hals gewickelt. Barrel berührte ihn fast, und die waren blutunterlaufen. Er wurde auch gesprächig, er faßte Flucht war unmöglich; denn ein tiefer Kanal begrenzte die Vertrauen zu den Männern, die ihn beklagten, er war mit andere Seite des Weges. Das Entsetzen des Wucherers war teilsam ihnen gegenüber, nannte sie feine Kinder" und er- so groß, daß er diesen Dämon mit dem roten Gesicht, der flärte ihnen, er wäre wegen einer solchen Kleinigkeit nicht in ihm mit dem Stahl vor den Augen herumfuchtelte, im Verlegenheit. Er hätte nicht alles verloren, denn es bliebe fastillanischen Dialekt zu bitten begann. ihm ja noch sein bestes Gut, die Sichel seines Großvaters, ein|" Barret, mein Kind!" rief er mit zitternder Stimme,