Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 226.
C
6]
Die Huerta.
Sonnabend, den 18. November.
( Nachdruck verboten.)
Roman von V. Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal. In den fünf bis sechs Monaten, die Barret im Gefängnis Serweilte, sprach man in der Huerta nur von ihm. Sonntags zogen Männer und Frauen, wie zu einer Wallfahrt, nach der Stadt, und betrachteten hinter den Gitterstäben den Mann, den man den Befreier nannte, und der bei jedem Besuche trockener erschien, dessen Augen hohler und dessen Blick immer unruhiger wurde.
Endlich kam die Schwurgerichtsverhandlung, Barret
wurde zum Tode verurteilt.
Dieses Urteil erregte in der ganzen Ebene eine ungeheure Aufregung, Schulzen und Pfarrer machten sich auf, um dem Lande eine solche Schmach zu ersparen. Ein Mann aus der Gegend sollte aufs Schafott steigen! Und da Barret stets zu den Gefügigen gezählt, da er immer nach den Wünschen der einflußreichen Persönlichkeiten gestimmt und mit passivem Gehorsam getan, was ihm befohlen worden, so machte man, um ihn zu retten, mehrere Reisen nach Madrid , und eines schönen Tages tam auch die Begnadigung.
Er wurde einer Mumie gleich aus dem Gefängnisse geholt und nach dem Zuchthause von Ceuta überführt, wo er wenige Jahre später starb.
Seine Familie löste sich auf und zerstreute sich wie eine Handvoll Spreu im Winde. Die Mädchen verließen eins nach dem andern die Häuser, wo man sie zuerst aufgenommen hatte; sie gingen nach Valencia , um dort ihr Brot als Mägde zu verdienen, dann hörte man nichts mehr von ihnen. Die alte Mutter, die es müde wurde, die Leute mit ihren ewigen Strankheiten zu belästigen, ging ins Hospital und hauchte dort bald ihre Seele aus.
Wie man stets das Unglück der anderen leicht vergißt, so vergaßen auch die Bewohner der Huerta sehr bald das schreckliche Drama, höchstens fragte von Zeit zu Zeit jemand, was wohl aus den Töchtern des Vater Barret geworden wäre. Aber niemand vergaß die Aecker und das Haus. In still. schweigender Uebereinstimmung aller Bewohner, gewissermaßen in instinktiver Verschwörung, die sich ohne Austausch von Worten bildete, an der aber selbst die Bäume und die Wege teilzunehmen schienen, blieb die unbewohnte Hütte genau in demselben Zustande, wie zu dem Augenblick, wo die Justiz den unglücklichen Pächter fortgejagt hatte. Pimento hatte am Tage der Katastrophe gesagt: Man würde ja ſehen, ob ein Kerl fed genug war, sich auf diesen Feldern nieder zulassen. Und alle, Frauen und Kinder inbegriffen, antworteten mit verständnisinnigen Blicken: Ja, man würde ja sehen.
Die beiden Söhne des Don Salvador, ebenso geizige Menschen wie ihr Vater, glaubten, sie wären ruiniert, als sie das Unkraut und die Dornen auf diesem Boden wachsen sahen, der feinen Pächter mehr fand und unfruchtbar blieb.
1905
kämpfen; schon am nächsten Morgen gab der neue Pächter den Besizern die Schlüssel des Hauses zurück.
Nun mußte man die Söhne des Don Salvador jammern hören. Gab es denn keine Regierung mehr? Gab es denn überhaupt nichts mehr? In dieser ganzen Geschichte war Pimento zweifellos der Anführer, der die Wiederanpflanzung hüter zu ihm, unter dessen Herrschaft die ganze Huerta stand, der zerstörten Kulturen hintertrieb; darum kamen die Feldund führten ihn ins Gefängnis ab.
Doch als der Augenblick kam, wo sie Zeugnis ablegen sollten, zog der ganze Bezirk bis auf die kränklichen alten alle behaupeteten dasselbe, nämlich, daß Pimento an diesem Weiber, die ihre Wohnung nie verließen, zum Richter und Tage, gerade zu der Stunde, wo die Schüsse abgegeben worden waren, in einer Schänke in Alboraya gesessen und mit Freunden gezecht hätte. Alle gaben ihre Aussage ab, als wenn sie eine Lektion auswendig hersagten, und es war nicht möglich, diesen dickköpfigen Bauern den geringsten Leuten mit so albernen Mienen und harmlosem Blick ausWiderspruch zu entreißen. richten, die sich den Rücken kratzten und mit unerschütterlicher Frechheit logen? Man mußte Pimento wieder in Freiheit fezen, worüber in allen Hütten eine allgemeine Freude herrschte.
Was konnte der Richter bei
Jetzt war der Beweis geliefert; man wußte, daß man den Ankauf dieser Aecker mit dem Leben bezahlen mußte. Trotzdem gaben die Besizer noch nicht nach. Da sie ihr Besitztuin nicht mehr verpachten konnten, nun, so wollten sie es selbst bebauen! Und sie suchten Tagelöhner unter den armen, bedürftigen und unterwürfigen Leufeln, die nach Elend förmlich riechen und, vom Hunger getrieben, von den Grenzen der Provinz, den steilen Bergen Arragoniens, herabkamen, um die schwersten Arbeiten zu verrichten.
Die Huerta beklagte die armen„ Churros". Die Unglüdlichen, sie wollten sich ihren Lebensunterhalt verdienen, es war nicht ihre Schuld! Und abends, wenn sie mit dem Karst auf der Schulter abzogen, fehlte es nicht an guten Seelen, die sie in Copas Wirtshaus hineinriefen. Man ließ sie hereinfommen, gab ihnen zu trinken und sprach leise, mit trauriger Miene, in wohlwollend väterlichem Tone zu ihnen, wie man einem Stinde zuredet, einer Gefahr aus dem Wege zu gehen. Das Resultat war, das die gefügigen Churros am nächsten Tage nicht auf die Felder zogen, sondern sich truppweise zu den Besigern begaben.
,, Herr, wir wollen abrechnen, zahle uns unseren Lohn
heraus."
zu
sind
Die Besizer, alte Junggesellen, versuchten, sie zum Bleiben bewegen, doch alles war umsonst.
„ Herr, wir sind arm," versezten die Tagelöhner,„ doch wir nicht hinter dem Mühlstein geboren."
Und sie ließen nicht nur die Arbeit im Stich, sondern warnten sogar die Leute aus ihrer Gegend, man müsse sich hüten, sich für die Aecker des Vaters Barret zu verdingen, genau so wie man sich vor dem Teufel hüten müßte.
Auf die Klage der Besizer, die sogar in den Zeitungen Schutz verlangten, übten die Feldhüter eine ganz besonders scharfe Aufsicht aus. Sie durchzogen die Huerta paarweise, postierten sich auf den Wegen und suchten Gebärden und Unterhaltungen zu belauschen, doch alles umsonst. Sie sahen immer dasselbe: Weiber, die unter den Spalieren nähten und sangen, Männer auf den Feldern mit gebeugtem Rücken, die Augen starr auf die Erde gerichtet, mit eifrig schaffenden Armen, die sich auch keine Minute Ruhe gönnten. Pimento lag als vornehmer Herr vor seinen Leimruten oder half Pepeta in ungeschickter, fauler Weise; in Copas Kneipe spielten einige alte Leute Truque oder wärmten sich vor der Tür in der Sonne. Alles in allem eine Landschaft, die Frieden und ehrenhafte Einfachheit atmete: ein maurisches Arkadien .
Sie setzten den Pachtzins bedeutend herab und veran laßten einen Landmann aus einem anderen Bezirk der Huerta, einen Prahlhans, der nie genug Grund und Boden hatte, auch noch diese Felder zu übernehmen, vor denen sich jeder jetzt zu ängstigen schien. Dieser Mann pflügte mit seinem Gewehr auf der Schulter und lachte darüber, daß die Nachbarn ihn in Acht und Bann taten. Die Hütten schlossen sich bei seinem Erscheinen, doch wenn er vorüber war, hefteten sich feindselige Blicke auf ihn und verfolgten ihn lange Zeit. Er sah einen Hinterhalt voraus und war auf seiner Hut. Doch seine Klug heit half ihm nichts; bevor er mit dem Umgraben seiner Aecker noch fertig war, wurden eines Abends, als er allein nach Hause ging, zwei Schüsse auf ihn abgegeben, ohne daß er seinen Angreifer zu entdecken vermochte; eine Handvoll Schrot- Doch die Leute aus der Gegend verließen sich nicht darauf, förner pfiff ihm um die Ohren, und es war ein Wunder, daß kein Landmann wollte die Aecker haben, nicht einmal umsonst. er mit heiler Haut davonfam. Auf den Wegen hatte sich Schließlich waren die Besizer gezwungen, auf ihr Eigentum niemand gezeigt, und es fand sich auch auf der Erde keine zu verzichten und den Boden verwildern zu lassen; sie frische Fußspur. Die Schüsse mußten von irgend einem Kanal warteten auf das Erscheinen eines gutmütigen Menschen, der gekommen sein, wo das Individium sich hinter dem Röhricht sich entschließen würde, sie zu kaufen oder wieder anzu versteckt hatte. Gegen solche Feinde konnte man nicht an- bauen,