Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 233.

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Die Huerta.

Donnerstag, den 30. November.

( Nachdrud verboten.)

Roman von V. Blasco Jbanez. Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal. Tonet war nicht mitteilsamer als gewöhnlich und begnügte sich mit den Worten:

,, Gute Nacht!"

Dann begann er neben ihr herzugehen. Roseta war gesprächiger: Wo er denn herfam, welch seltsamer Zufall, daß man sich schon zwei Tage hinter­einander traf!

Und zitternd, als foste ihm jedes Wort eine ungeheuere Anstrengung, erwiderte er:

,, Von drüben, von drüben..."

Das junge Mädchen, das nicht weniger schüchtern als der Bursche war, hätte doch gern gelacht, als sie ihn so verwirrt sah. Sie erzählte ihm von der Angst, die sie unterwegs an den Winterabenden empfand. Und Tonet, der sich von dem Dienst, den er der Arbeiterin erwies, geschmeichelt fühlte, machte schließlich den Mund auf und erklärte ihr, er würde sie häufig begleiten; denn er hätte oft Gelegenheit, für seinen Herrn nach diesem Teile der Huerta zu gehen.

Sie verließen sich mit derselben Einfilbigkeit wie am borigen Tage. Doch in dieser Nacht schlief Roseta schlecht und warf sich hundertmal in ihrem Bett hin und her; aufgeregt träumte sie törichte Dinge, sie sah sich auf einem schwarzen, tiefschwarzen Wege in Begleitung eines ungeheueren Hundes, der ihr die Hände leckte und dasselbe Gesicht wie Tonet hatte. Dann stürzte ein Wolf auf sie zu, um sie zu beißen, und dieser Wolf hatte ein Gesicht, das an den verhaßten Pimento er­innerte; und der Hund und der Wolf bissen sich heftig, bis ihr Vater mit einer Mistgabel herbeigelaufen fam; und sie meinte heftig, als hätte man auf ihren eigenen Rücken die Schläge herniedersausen lassen, die der arme Hund bekam. In dieser Weise phantasierte sie; doch in all den aufregenden Szenen ihres Traumes sah sie stets den Enkel des Vaters Tomba, wie er sie mit seinen blauen Augen in dem von einem kleinen Flaum bedeckten Mädchengesicht anstarrte.

Roseta erhob sich wie zerschlagen, als erwache sie aus dem Fieber. Dieser Tag war ein Sonntag, und es wurde in der Fabrik nicht gearbeitet. Die Sonne drang durch das Fenster ihrer Schlafkammer, und schon waren alle Bewohner der Hütte auf den Beinen.

Sie war von diesem bösen Traum noch ganz bewegt; sie fühlte, daß sie nicht mehr dieselbe war, daß ihre Gedanken nicht mehr dieselben wie gestern waren, gerade als wäre die vergangene Nacht eine Mauer gewesen, die ihr Leben in zwei Teile schied.

Sie sang fröhlich wie ein Vogel, während sie ihre Sachen aus dem Koffer nahm und sie auf das warme Bett legte, das die Konturen ihres Körpers noch jetzt abzeichnete.

Die Sonntage gefielen ihr sehr, weil man dann das Recht hatte, spät aufzustehen und sich einige Stunden der Ruhe gönnte, um darauf die kleine Reise nach der Kirche von Albo­ raya anzutreten.

Doch dieser Sonntag war schöner als alle anderen; die Sonne glänzte stärker, durch das Fenster drang ein Wind­hauch, der aus dem Paradies zu kommen schien. Wie sollte sie sich das erklären? Kurz, dieser Morgen hatte etwas Neues und Außergewöhnliches an sich.

Sie schmückte sich, um mit ihrer Mutter zur Meffe zu gehen. Während diese sich ankleidete, machte sie sich Vorwürfe, daß sie bis dahin so wenig Sorgfalt auf ihren Anzug ver­wendet hatte. Mit sechzehn Jahren war es doch wohl Zeit, an Buzz zu denken. Wie dumm sie gewesen war, nicht auf ihre Mutter zu hören, wenn diese ihr so oft sagte, sie wäre schlecht angezogen.. Und sie warf mit einer Vorsicht, als wäre es ein ganz neues, schönes Kleid, das sie zum erstenmal anzog, ihr altes Pertal- Sonntagskleid über und schnürte ihr Korsett, als wäre sie von dieser Rüstung aus hohem Fischbein, einer wahren Zwangsjacke, nicht schon genügend eingepreßt.

Zum erstenmal in ihrem Leben stand Roseta über eine Viertelstunde vor dem kleinen, verblichenen und von ladiertem Fichtenholz eingerahmten Stückchen Glas, das ihr Vater ihr

1905

geschenkt hatte: ein Spiegel, in dem man das Gesicht nur in einzelnen Teilen besehen konnte. Nein, sie war kein Wunder an Schönheit, das wußte sie wohl, aber es gab doch Dußende in der Huerta, die häßlicher waren als sie. Und ohne recht den Grund zu verstehen, betrachtete sie mit großem Vergnügen ihre klaren, hellgrünen Augen, ihre mit hübschen Sommer­sprossen besäten Wangen , die die Sonne auf der Haut der Blondinen erstehen läßt, ihr helles, goldgelbes Haar, das so fein und weich wie Seide war, ihre kleine Nase mit den zuckenden Flügeln, ihren mit einem feinen Flaum beschatteten Mund, der sich über starken, regelmäßigen Zähnen öffnete, die so weiß wie Milch und so prachtvoll waren, daß sie das ganze Gesicht verklärten, Zähne, wie sie nur die armen Leute befizen.

Ihre Mutter mußte auf sie warten. Die Frau konnte sich nicht ruhig verhalten, sie trieb ihre Tochter an, wurde un­geduldig, und der Ton der fernen Glocke schien sie gleichsant zur Eile anzustacheln. Sie würden noch die Messe ver­fäumen!" Doch Roseta frisierte sich noch immer weiter, ohne es im geringsten eilig zu haben, zerstörte dann im nächsten Augenblick ihr Werk, mit dem sie nicht zufrieden war, und legte sich ihre Mantille um, indem sie mit kleinen, ärgerlichen Bewegungen daran zog, weil sie nach ihrer Meinung nicht richtig saß.

Auf dem Plate von Alboraya beobachtete Roseta, faſt ohne die Blicke vom Erdboden zu erheben, verstohlen die Tür des Schlächterladens. Die Leute drängten sich um den Laden­tisch. Tonet war da; er half seinem Herrn, brachte ihm die Fleischstücke und verjagte die Fliegenschwärme, die sich auf einigen niedergelassen hatten. Wie er rot wurde, als er sie sah, der arme Junge! Als sie nach der Messe zum zweitenmal vorüberging, blieb er verdugt mit seiner Lammfeule in der Hand stehen und vergaß, sie seinem dickbäuchigen Herrn zu geben, der, vergeblich wartend, ihm einen groben Fluch zuwarf und ihm mit seinem Messer drohte.

Der Nachmittag war traurig. Die vor der Tür ihrer Hütte sitzende Roseta glaubte mehrmals, Tonet durch die ab­gelegenen Fußpfade schleichen zu sehen, wie er sich im Röhricht versteckte, um sie bequemer zu betrachten. Sie wünschte, der Montag käme schneller, damit sie nach der Fabrik gehen und den schrecklichen Rückweg in seiner Gesellschaft zurücklegen fonnte.

Am nächsten Tage, bei Einbruch der Dunkelheit, stellte sich der junge Mann wie immer pünktlich ein. Er sprach die Spinnerin in der Nähe der Stadt an.

,, Gute Nacht!"

"

Doch diesmal wagte er nach dem üblichen Gruße zu sprechen. Dieser verteufelte Bursche hatte nach dem Sonntage Fortschritte gemacht. Mit linkischen Bewegungen, ängstlicher Miene und den einen Fuß an den anderen reibend, begann er eine Erklärung, in der manchmal zwischen einem Wort und dem anderen zwei Minuten verstrichen. Er freute sich, sie gesund vor sich zu sehen.

Roseta lächelte und murmelte leise ein ,, Danke!" Ob sie sich am vorigen Tage gut amüsiert habe.

Sie schwieg. Er hatte sich gar nicht amüsiert, er hatte sich sogar sehr gelangweilt. Das machte gewiß die Gewohn­heit; denn... es schien ihm etwas zu fehlen... natürlich! Er hatte diesen Weg gern. Nicht des Weges wegen, der machte Aber daß er das junge Mädchen be­ihm keinen Spaß.. gleiten durfte... Doch bei dieser Stelle blieb er stecken und schien sich nervös auf die Zunge zu beißen, um sich für seine Kühnheit zu bestrafen, da er zu weit gegangen war.

Dann wanderten sie lange Zeit nebeneinander her. Das junge Mädchen hatte nichts geantwortet, sie jetzte ihren Weg mit dem leichten Gang fort, wie ihn die Spinnerinnen be­sitzen, den Korb auf der linken Süfte und mit dem Arm die Luft mit pendelartiger Bewegung durchschneidend. Sie dachte an ihren Traum; sie bildete sich ein, sie läge im Fieber und sähe phantastische Dinge. Mehrmals drehte sie den Kopf, weil sie in der Dunkelheit den Hund zu erkennen glaubte, der ihn die Hände leckte, und Tonets Gesicht hatte eine Erinnerung, über die sie jetzt noch lachte. Doch nein, was da neben ihr ging, war ein guter Bursche, der sie wohl zu verteidigen ver­mochte; er war allerdings ein bischen schüchtern und verlegen