Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 236.

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Die Huerta.

Dienstag, den 5 Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Roman von V. Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Tha I. Vom Elend hierhergetrieben war Don Joaquin mit seiner diaen, faulen Ehehälfte an diesem Orte gescheitert, wie er an jedem anderen auch hätte scheitern können. Er half dem Dorf­schreiber, wenn es Extraarbeiten gab, und bereitete aus mur ihm bekannten Pflanzen gewisse Tränke, die in den Pachthöfen Wunder wirkten. Darum gab auch alle Welt gern zu, daß der Mann viel verstand; und unbesorgt, man könne Einspruch erheben, weil er nicht das geringste Diplom besaß, oder ihm eine Schule entziehen, die ihm nicht einmal Brot einbrachte, versuchte er mit Stockschlägen seinen Schülern das Buch­stabieren und etwas Lebensart beizubringen. Sie waren nämlich alle, ohne Ausnahme, kleine Spitzbuben von fünf bis zehn Jahren, die an den freien Tagen mit Steinen nach den Bögeln warfen, Obst stahlen und auf allen Wegen der Huerta Jagd auf die Hunde machten.

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Sie Ihrem Lehrer. Für diesmal mag es noch so dahingehen, denn Sie sind begabt, Sie können das Einmaleins von einem Ende bis zum anderen hersagen, doch die Wissenschaft ist nichts, wenn die Lebensart fehlt, vergessen Sie das nicht, Herr de Llopis."

Und die Schmugnase war ganz dieser Meinung. Sie war ganz zufrieden, daß sie mit einer Ermahnung ohne Schläge davonkam, als ihn ein großer zerlumpter Bursche, der neben ihm auf derselben Bank saß und jedenfalls einen alten Groll gegen seinen Kameraden hegte, in tückischer Weise ins Fleisch kniff, als er ihn wehrlos dastehen sah.

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,, Au, au! Herr Lehrer!" rief der andere, Pferdeschnauze kneift mich!"

Nun geriet Don Joaquin in die heftigste Wut. Mehr als alles andere ärgerte ihn die Manie dieser Kinder, sich gegenseitig bei den Spitznamen ihrer Väter zu nennen und sogar neue zu erfinden.

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Wer ist die Pferdeschnauze? Herr de Peres, wollen Sie vermutlich sagen. Was ist das für eine Ausdrucksweise. Großer Gott! Man möchte glauben, wir wären in einer Schenke. Da schindet man sich ab, um diese Idioten zu unter­richten! Das reine Vieh!"

Aus welchem Lande stammte der Schulmeister? Jede Und den Rohrstock schwingend, begann er dumpfe Schläge Nachbarin wußte das: Weit, weit her, aus dem tiefsten Grunde zu verteilen, dem einen, weil er gefniffen, dem anderen, weil der Churreria, und vergeblich hätte man andere Erklärungen er sich schlecht ausgedrückt hatte. Und die aufs Geratewohl verlangt: denn für die geographische Wissenschaft der Huerta herumfliegenden Schläge fielen, wo sie konnten, so daß die stammt alles, was nicht valencianisch spricht, aus der anderen Schüler sich auf den Bänken zusammendrängten und Churreria. ihre Köpfe hinter der Schulter ihres Nachbars schützten.

Hatten derartige Zwischenfälle ihr Ende erreicht, so be­gann der Unterricht von neuem, und der Baumvorhang zitterte vor Langeweile. während dieses eintönige Summen sich in dem Laubwerk festzunisten schien.

Zuweilen hörte man ein melancholisches Glockenläuten, und die ganze Klasse zitterte dann vor Vergnügen. Das war der Vater Lomba, der mit seiner Herde erschien, und jeder wußte, wenn der Alte hier vorbeikam, so hatte man für zwei geschlagene Stunden Ruhe.

Nicht ohne Mühe konnte Don Joaquin sich bei seinen Schülern verständlich machen. Es waren welche darunter, die nach zweimonatlichem Schulbesuch die Augen weit aufrissen und fich den Kopf fragten, ohne zu begreifen, was ihnen der Lehrer mit den großen Worten sagte, die sie in ihren Hütten nie gehört hatten. Es war das eine wahre Qual für diesen Schönredner, der nach der Behauptung seiner Gattin den höchsten Ruhm seiner Lehrmethode in der Höflichkeit, in der Eleganz der Manieren und in der Reinheit der Sprache suchte. Jedes Wort, das seine Schüler falsch aussprachen und es Der Vater Tomba fößte Don Joaquin eine große Sym­gab auch nicht ein einziges, das sie richtig aussprachen- pathie ein. pathie ein. Der Alte war viel gewandert, er besaß die entriß ihm ein Wutgeschrei, und entrüstet erhob er die Arme Liebenswürdigkeit, mit dem Lehrer mur kastilianisch zu gen Himmel, so daß er fast die rauchige Decke seiner Barade sprechen; er verstand sich auf die Heilfräuter; trotz all seines berührte. Wissens entriß er der Schule auch nicht einen einzigen der Schüler, und schließlich war er die einzige Person aus der ganzen Huerta, die imstande war, mit ihm eine Kon­verfation" zu führen.

Diese niedrige Hütte," sagte er zu den dreißig Strolchen", die sich auf den engen Bänken drängten und zappelten und ihn mit einem Gefühl anhörten, bei dem sich die Langeweile und die Angst vor dem Rohrstock das Gegengewicht hielten, diese niedrige Hütte müßt Ihr als den Tempel der Vornehmheit und der guten Erziehung betrachten. Was sage ich, als den Tempel? Er ist die Fackel, die in dieser Huerta leuchtet und die Schatten der Barbarei vernichtet. Was wäret Ihr ohne mich? Tiere, und verzeiht mir das Wort, genau dasselbe, was Eure Herren Väter find, womit ich sie nicht etwa beleidigen will. Doch mit Gottes Hülfe werdet Ihr dieje Stätte als vollkommene Menschen verlassen, die sich überall bewegen können, weil sie das Glück gehabt haben, einem Lehrer, wie ich es bin, zu begegnen. Ist das nicht wahr?" Und die Jungen antworteten mit so wütendem Niden, daß Sie Köpfe manchmal zusammenstießen, und seine Frau Josefa selbst hörte, von dem, was er über den Tempel und die Fackel fagte, tief bewegt, zu stricken auf, lehnte sich in ihren kleinen Strohsessel zurück und betrachtete ihren Mann mit be­wundernden Blicken.

Er war stolz auf die Leutseligkeit und Höflichkeit, mit der er seine Schüler behandelte. Diese ganze, von Ungeziefer wimmelnde Knabenschar mit den nackten Füßen und den flatternden Hemdzipfeln wurde von ihm mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt.

,, Nun, Herr de Llopis, erheben Sie sich."

Und Herr de Llopis, ein Taugenichts von sieben Jahren, mit einem bis zur Kniescheibe hochgefrempten und nur von einem einzigen Hosenträger festgehaltenen Beinkleid, stürzte von seiner Bank und pflanzte sich vor dem Lehrer auf, nicht ohne mit ängstlichen Blicken den Rohrstock zu betrachten.

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,, Vor einer Weile sah ich, wie Sie die Finger in die Nase steckten, das ist ein häßlicher Fehler, Herr de Llopis, glauben

Der Besuch erfolgte stets in derselben Weise. Erst kamen die Schafe bis zur Tür der Schule, streckten den Kopf vor, schnupperten neugierig und zogen sich dann, gewissermaßen mit verächtlichem Widerwillen, zurück; sie waren jedenfalls überzeugt, es gebe hier keine andere Nahrung als geistige, eine Nahrung von recht mittelmäßiger Qualität. Dann er­schien Bater Tomba, der sicher über dieses bekannte Terrain wanderte, dabei aber doch seinen Stock vorstreckte, die einzige Unterſtügung, die er seinen fast toten Augen zuteil werden ließ.

Der Besucher setzte sich auf die Ziegelbank neben der Tür, und die Unterhaltung entspann sich zwischen dem Schäfer und dem Lehrer, während Donna Josefa fie stumm bewunderte, und die größeren unter den Schülern nach und nach näher kamen und einen Kreis um die Sprechenden schlossen.

Bater Lomba, der so geschwäßig war, daß er unaufhörlich zu seinen Schafen sprach, wenn er sie über die Fußpfade führte, drückte sich zuerst langsam aus, wie ein Mensch, der sich fürchtet, seinen gewöhnlichen Fehler zu verraten; aber bald riß ihn der Wortschwall des Lehrers mit, und er stürzte sich nun in das unendliche Meer seiner ewigen Erzählungen. Sie jammerten nun zusammen über die klägliche Manier, mit der alles. in Spanien gehandhabt wurde, wenigstens nach den Erzählungen der Bauern der Huerta, die aus Valencia kamen; sie schimpften auf die schlechte Regierung, die an der schlechten Ernte schuld war, und schließlich wiederholte der Alte jedesmal:

Zu meiner Zeit, Don Joaquin, zu meiner Zeit war es anders. Ihr habt diese Zeit nicht gefattnt; aber auch die Eurige war noch besser, als die von heute, jetzt wird es immer schlimmer. Was werden diese Kinder erleben, wenn sie erst Männer sind!"