schreitender Sozialisierung dir Menschheit schließlich auch ein Um- wandlungKprozeß im Kindergemiit vor sich gehen werde, ist sehr wahrscheinlich. Vorläufig dürfte davon erst nach Generationen eine Veränderung zu verspüren sein. Man wird sich also auch noch mit der Tatsache abfinden müssen, daß die Dichter von Liedern sür Kinder immer die gleichen Stoffgebiete kultivieren unbeschadet neuer Nuancen, die etwa dem modernen Geist und Empfinden Rechnung tragen. Auch die vorgenannte Sammlung spricht hierfür. Was dieKlassiker" auf dem Gebiete der Poesie für Kinder längst bevorzugt haben, das bringen auch die Kinderliederdichter unserer Tage. Der Mannheimer Egon Strasburger macht keine Ausnahme. Ein einziges Mal allerdings durchbricht er den altbewährten Stoffkreis: das TanzgcdichtAuf dem Hofe" ist ein spezifisch berlinisches Stück alsoGroßstadt­luft". Vielleicht banr er weiter in solcher Richtung. Vielleicht hält er auch einmal Umschau im Kreise der Arbeiterkinder ob in deren Seelen nicht doch schon eine neue Weise anklingt, die in die Zukunft steuert? Von rein dichterischen! Standpunkt gesehen, ist Strasburger jedenfalls eine erfreuliche Erscheinung. Er hat einen sicheren Blick für das, was das Herz der Kleinen bewegt. Kindliche Einfalt, gemütvolle unbekümmerte Fröhlichkeit: die hat er und kann sie von sich geben. Mißgriffe im sprachlichen Ausdruck, d. h. so, daß dieser etwas papieren und gezwungen erscheint, oder barocke Ab- schlüsse und skizzenhafte Linienführung finden sich glücklicher- weise nur selten. Mit jeder Gabe wird inan kam» ein- verstanden sein, ebensowenig in jedem Gedichtchcn eine unübertreffliche Leistung sehen. Wenn man aber im Auge behält, daß es doch nicht gar wie es den Anschein erweckt so leicht ist, mustergiltige Kinderliedchen zu schreiben, dann rangiert StraS- burgers Büchlein ziemlich hoch unter den literarischen Erzengnissen dieserArt. Es darf also gern empfohlen werden. Die vonHellmuth Eichrodt beigesteuerten Bildchen passen sich dem Kindersinn trefflich an? und der spottbillige Preis des Büchleins(20 Pf.) wird diesem leicht überall Eingang verschaffen. Theater. Freie Volksbühne. Im alten Karl Weiß-Thcater gab die Freie Volksbühne den altenA m p h i t r y o n" von M o l i e r e. Er hat sich jung erhalten und wirkt und gefällt immer noch. Man genießt so einen Moliere nackdenksamen SinneS. Wie viele Fäden sind hier angeknüpft, die zu dauernden Lebensgültigkeiten gehen. Wie viele Fäden sind hier ineinander gewoben, in die Erfahrungen und Wahrheiten geknüpft sind. Alles ist auf das Allgemeine zu beziehen daher die Jugend trotz des Alters, und doch scheint alles nur auf das Einzelne und Besondere gerichtet. Nichts geht einseitig auf den Sinn, nichts ein- seitig auf die Handlung. Die Durchdringung ist bollendet. Man spürt eben den Dichter, den graziösen Spötter, den feinen Belächler und den verborgenen Traurigen. Zwei Momente machen es uns leicht, uns in die Götterwelt des Amphitrhon" und seineVergangenheit  " zu versetzen: einmal, daß wir von vornherein wissen, daß die? alles nur Komödie ist.(ES ist der Ton, der die Musik macht, und diesen Ton schlägt fest und sicher die Einleitung an.) Tann: Spiel und Widerspiel des echten und falschen Amphitryon erhalten, aus ihrerhöheren" Sphäre befreit, ihre deutliche Vermenschlichung in den Dienern, und in ihnen zu- gleich in einem ausgeprägteren Ko:nödien-Sinn und-Geist. Wie wir die Götter von den Menschen aus genießen, und das ist hier ja der springende Punkt für die Komödie, so genießen wir die Herren in einer sichtbar breiten Darstellung von den Dienern aus. Eine Respektlosigkeit, die Spott wird. Ein göttlicher Spott, der jede erhabene Pose und Stellung beseitigt. Kein Gott ist Gott   vor einem Komödiendichter, lind doch steckt hier in dem betrogenen Gatten und dem eifersüchtigen, im letzten Grunde unbefriedigten Gotte ein tragischer Gehalt. Moliere   ist nie ohne Tragikomödie. Der germanisch« Geist unterstreicht das immer und hebt das Tragische unwillkürlich stärker heraus. Die romanische Leichtigkeit und Grazie steigert die lustige Wirkung damit. Moliäre war selbst Komödiant und vergaß das nie. Er arbeitet bewußt, gerade für das Spiel bewußt, auf den Gegensatz des Schweren zum Leichten, des Ernsten zum Heiteren hin. Er sieht da« Komische so schärfer, und verdeutlicht es so schärfer. Er sieht das Komische auf die Situation hin. Held und Gott in menschlicher Unzulänglichkeit nicht nur dem inneren Sinne nach, sondern auch der äußeren Er- schcinung nach. Es steckt in der Komödie als Dichtung noch eine, die neben ihr herläuft, die ich die Komödie des S p i e i e n s nennen möchte. Eine Komödie, die sich rein technisch erledigt. Ihre Schwierigkeit liegt in denhohen" Rollen. In Jupiter, in Amphitryon  , in Alkmene  . Sie liegt hier ganz und gar wieder in dem Ton. der die Musik macht. In einer ganz feinen und fein- begranzten Respektlosigkeit, gegen sich selbst, die sich etlvas von der eigenen Wichtigkeit abzieht und nur feiner dadurch poiniiert.(Uns zugleich den Weg in diese entferntere Welt erleichternd.) Und die doch, wie es das Genie Molieres fertig gebracht hat, die tragischen Akzente nicht fallen läßt und, wie eS französische Schauspieler können, sie zu stärkerer Wirkung steigert. Hier ist der Punkt, wo deutsche Moliere-Aufsührnngen zu scheitern pflegen. Hier wird fast immer etwas vom Geiste Molieres versäumt. Die Leichtigkeit reicht nicht ganz an Moliere heran, sie endigt bei Fulda  . Hier stehen sich zwei Welten gegenüber. Es wäre ungerecht, daS Eick» zelne und den Einzelnen es entgelten zu lassen. Und doch darf man seine Reserve nicht verschweigen, um dann völlig loben zu können. Die Aufführung war gut. Die undankbarenhohen" Rollen waren durch Geisendörfer. Hartberg   und Claire Klein ent- sprechend vertreten. Leichter und dankbarer sind die Rollen der Diener. G i a m p i e t r o war ein sehr guter, mit verständiger Derbheit und Ungcniertheit angefaßter Sofias. Paul Askonas.  der als Merkur   den falschen Sofias darzustellen hatte, spielte ihn vielleicht ein wenig zu scharf auf das Spitze hinaus, aber er spielte sehr gut. Dem Moliörcschcn Geiste entsprechend, vor- trefflich in Ton und Sprechweise besonders, war Meta Jäger. Ter geistreich spielende EinakterDie Frage an das Schicksal-' war durch Aenderlh Lebius, Hans S t a u f f e n und Meta Jäger gut besetzt. Er erledigte sich flott. hz. Medizinisches. hr. DasWegbleiben" der Kinder. Welche Mutter ist nicht schon in Todesangst versetzt worden, wenn ihr Kind mitten im heftigsten Schreien und Toben plötzlichwegbleibt". Das Kind liegt hier mit zurückgebogeneül Klopfe und dunkelrotem oder bläu- lichem Gesichte, stockendem Atem und starren Beinen da, und jeden Augenblick glaubt die Mutter, daß es nun mit ihm zu Ende gehe. Man trifft dieses aufregende Vorkommnis bei sonst gesunden Kindern jenseits des ersten Lebensjahres an. Glücklicherweise dauert dieser Zustand des plötzlichen Atemstillstandes und Belmißtseinsverlustes nur wenige Sekunden und geht dann ohne Folgen vorüber. Todes- fälle sind niemals dabei beobachtet worden. Gar oft wird dieses Wegbleiben" der Lttnder mit dem gefährlichen Stimmritzenkramps verwechselt, es hat aber mit diesem nichts zu tun. Denn, wenn die Anfälle sich auch einander ähneln, so ist doch der charakteristische linterschied der, daß dasWegbleiben" immer nur bei schreienden Kindern auftritt, der Stimmritzenkranipf bei ruhigen Kindern, letzterer kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel, dauert auch viel länger, oft eine Minute lang, nach dem Anfalle ist das Kind matt und elend, beimWegbleiben" dagegen wieder munter. Nach Pro- fessor Hcnoch ist dasWegbleiben" so zu erklären, daß das Ueber- maß des Schreiens, verbunden mit der leidenschaftlichen Erregung, einen 5lrampf gewisser Atemmuskeln erzengt, ähnlich den anderen Krämpfen, die durch lleberanstrengung der betreffenden Muskeln entstehen, wie der Schreibkrampj. Notizen. Hermann Bahr   wollte, für Leben gern, Theaterreserent derNeuen freien Presse" werden. Das gelang ihm nicht. Dafür hat ihm das Schicksal jetzt einen anderen LieblingSwimsch erfüllt: Er wurde etwas Großes an einem Theater: Oberregisseur des kgl. Hoffchauspiels in M ü n ch e n. Am 1. August IVOS tritt er seine Stellung an. Einem AnSfrager hat er erklärt, er wolle in München  ein Burgtheater inachen, ein neues, nach seiner Auf- fassung. G e r h a r t Hauptmann hat ein neue? Stück, einGlaZ- Hüttenmärchen in vier Akten", vollendet. Der Titel steht noch nicht fest. In der zweiten Hälfte des Januars wird das Prosastück im Lessing  -Thealer zur Kufsührung gelangen. Im Deutschen   Theater gehen nächsten? an einem Abend in Szene:Flore nti nische Nächte" von Oskar Wilde:Der heilige Brunnen" von I. M. Synghe: zum Schluß Courtelines EinakterDer Herr Polizei- konnntssar". BeyerleinZ DramaDer Großknecht" konnte eS auch in Frankfurt   a. M. zu keinem Erfolg bringen. Erfolg hatten bei der Uraufführung die Opern: Z e i! o b i a" von Louis Adolphe C o e r» e im Bremer Stadttheater, Vi es sali na" von Isidora de Lara in Köln.   Flugblätter f ü r künstlerische Kultur" erscheinen von Neujahr ab im Verlage turn Strecker u. Schröder in Stuttgart  . In jedem Heft wird nur ein Stoff behandelt. Den Schimick der Hefte besorgt Peter Behrens.   Die Gesellschaft der Wissenschaften in Kopenhagen   und die preußische Akademie der Wissenschaften   in Berlin   haben sich vereinigt, einen Katalog der Handschriften der griechischen und lateinischen Mediziner anzufertigen, um auf Grund dieses Materials der Internationalen Assoziation der Akademien den Plan zu unterbreiten, eine vollständige lvifienschaftliche Ausgabe aller Werke der antiken Äerzte in gemeinsamer Arbeit herzustellen. Hierüber wird in der Wiener   Generalversammlung Pfingsten 1907 Beschluß gefaßt werden. Dem Pariser Chemiker George Claude   soll eS gelungen sein, die Scheidung deS Sauerstoffs und Stickstoffs der flüssig gemachten Luft im großen und ans billige Weise zu bewerkstelligen. Veraniwortl. Redaltenr: Hans Weber, Berlin. Druck u. Verlag: VorwäctsBuchdruckerci ll.BcrIagza!!staltPaulSinllcröcCo..BirlinLW.