Anterhaltungsblatt des Nr. 237. Mittwoch, den 6. Dezember. 1905 (Nadjdrilck uerBoten.) 17] Die fjuerta. Roman von V. B l a S c o I b a n e z. Autorisierte Uebersctzung von Wilhelm Thal. Nun hatte der Schäfer für eine Stunde zu sprechen, so reichlich war der Stoff. Er kannte das Land, als wäre er dort geboren. Als Valencia sich dem Marschall Suchet er- geben hatte, war er zum Gefangenen gemacht worden, und man hatte ihn mit mehreren Tausend anderen nach einer großen Stadt, nach Toulouse , überführt. Der Alte mischte in seine Erzählung schrecklich verstümmelte französische Worte, deren er sich noch nach so langer Zeit erinnerte.Das war ein Land. Da trüben tragen die Männer weiße Hüte mit langen Haaren, farbige Paletots mit Klagen, die bis zum Nacken hinaufgehen, Stiefel, so hoch wie die der Kavallerie; die Frauen tragen Röcke, die Flötenetuis ähnlich sehen." Und in dieser Weise sprach er weiter von den Kostümen und Sitten des ersten Kaiserreiches und bildete sich ein, das alles bestände jetzt noch, und Frankreich wäre heute noch genau so, wie es zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gewesen. Und während er alle seine Erinnerungen zum besten gab, horten ihm Don Joaquin und seine Frau aufmerksam zu; einige Schüler bnutzten die unvorhergesehene Freistunde, ent- kernten sich von der Wohnung und liefen zu den Schafen, die wie Todfeinde vor ihnen davonliefen. Sie packten sie beim Schwanz, faßten sie an den Hinterpfoten und zwangen sie auf diese Weise, auf den Vorderbeinen zu gehen, dann wälzten sie sie von den Böschungen herunter und versuchten, ihnen auf den schmutzigen Rücken zu klettern. Und die armen Tiere protestierten vergeblich durch klägliches Blöken; der Schäfer, der mit innigem Behagen den Todeskampf des letzten Franzosen erzählte, den er niedergemacht, hörte sie nicht einmal. Wieviel sind denn ungefähr unter Ihren Schüssen und Hieben umgekommen?" fragte ihn der Lehrer zum Schluß der Erzählung. Hundertzwanzig bis hundertdreißig, ich erinnere mich der Zahl nicht ganz genau." Lächelnd sah sich das Ehepaar an, seit dem letzten Besuch hatte die Zahl der Opfer um zwanzig zugenommen. Mit den Jahren wurden die Heldentaten des Schäfers und die Zahl der Toten immer bedeutender. Das Blöken der Schafe erregte schließlich die Aufmerk- samkeit des Don Joaquin. Meine Herren," rief er den jungen Hallunken zu, während er gleichzeitig den Rohrstock holte,alle hierher. Ihr bildet Euch wohl ein, Ihr könntet Euch den ganzen Tag amüsieren? Bei mir wird gearbeitet." Und um ihnen das durch ein Beispiel zu beweisen, ließ er den Rohrstock so tüchtig tanzen, daß es ein Vergnügen war, und führte die Herde der tollen Burschen mit Schlägen in den Schoß der Wissenschaft zurück. Gestatten Sie, Vater Tomba, wir disputieren jetzt über zwei Stunden, ich muß meinen Unterricht fortsetzen." Und während der auf diese Weise höflich verabschiedete Schäfer seiue Tiere zur Mühle führte, um seine Geschichten dort noch einmal zu wiederholen, begann in der Schule aufs neue das Geleier des Einmaleins. Es fehlerlos herzusagen, war für die Schüler des Don Joaquin das Nonplusultra der Wissenschaft. Bei Sonnenuntergang sangen die Schüler ihren letzten Psalm und priesen den Herrn,der sie erleuchtet": dann er- griff jeder den Beutel, in dem er sein Essen nütgebracht hatte. Da die Entfernungen in der Huerta nicht kurz waren, so brachen die Kinder morgens mit den für den Schultag nötigen Lebensmitteln von Hause auf; und die Feinde des Don Joaquin gingen sogar soweit, daß sie behaupteten, er bestrafe sie gern durch Entziehung eines Teiles ihres Essens, um so der ungenügenden Küche nachzuhelfen, die Donna Josefa zu- bereitete. An Freitagen, nach Schulschluß, hielt Don Joaquin un- verändert seinen Schülern folgende Rede: Meine Herren, morgen ist Sonnabend. Erinnern Sie Ihre werten Mütter daran und teilen Sie ihnen mit, daß« wer morgen die mir zukommenden zwei Heller nicht mit- bringt, die Schule nicht betreten wird. Ich wende mich ganz besonders an Sie, Herr von Zi... und an Sie, Herr von N...." Dann führte er etwa ein Dutzend Namen an. Seit drei Wochen bezahlt Ihr mir nicht das ausgemachte Honorar, unter solchen Bedingungen ist der Unterricht nicht möglich, die Wissenschaft kann nicht gedeihen, und es ist nicht denkbar, die angeborene Barbarei dieser Gegend wirksam zu bekämpfen. Ich liefere alles. Mein Wissen, meine Bücher (dabei betrachtete er die zwei oder drei alten Schmöker, die seine Frau sorgfältig zusammenlas, um sie in die alte Kom- mode zu verschließen). Ihr dagegen liefert gar nichts..« Ich wiederhole es: wer morgen mit leeren Händen kommt, wird diese Schwelle hier nicht überschreiten. Mögen sich das Ihre werten Mütter gesagt sein lassen." Dann stellten sich die Schüler zu zwei und zwei auf und reichten sich die Hand,wie man es in den Gymnasien zu Valencia tut, müßt Ihr wissen!" Und uackchcm sie Don Joaquin die knochige Hand geküßt und alle im Vorbeigehen! hastig wiederholt hatten:Gehaben Sie sich mit Gottes Hülfe wohl bis morgen!" verließen sie die Hütte. Der Lehrer führte sie auf den kleinen Mühlplatz, und hier, in dieser Kreuzung von Straßen und Wegen löste sich der Schwärm auf und ent- fernte sich in kleinen Gruppen nach verschiedenen Punkten der Ebene. Vergessen Sie nicht, meine Herren, daß ich aufpasse," rief Don Joaquin als letzte Warnung,stehlt kein Obst, werft nicht mit Steinen und springt nicht über die Gräben. Ich habe einen Vogel, der mir alles erzählt, und wenn ich morgen früh erfahre, daß Ihr etwas Böses angerichtet habt, so wird mein Rohrstock tüchtig auf Euren Rücken tanzen." Und er folgte von dem kleinen Platze aus lange Zeit der größeren Gruppe mit den Blicken, die die Richtung nach Alboraya einschlug. Dazu gehörten auch die drei jüngsten Söhne Batistes, und oft verwandelte sich der Weg für sie in ein Golgatha. Sie hielten sich alle drei bei der Hand und richteten es so em, daß sie yinter den anderen Schülern wanderten, die, in den Nachbargehöften zu Hause, denselben Haß gegen Batiste und seine Familie empfanden wie ihre Väter, und keine Ge- legenheit versäumten, um sie zu belästigen. Die beiden größeren waren wohl imstande, sich zu verteidigen, und mit einer Schramme mehr oder weniger kam es wohl vor, daß sie zuweilen den Sieg davontrugen. Doch der jüngste, PaScualet, ein dickwangiges Bengelchen von erst fünf Jahren, das die Mutter wegen seiner liebevollen Sanftmut vergötterte und aus dem sie einen Priester machen wollte, brach in Tränen aus, sobald es seine Brüder in eine schreckliche Schlacht ver- wickelt sah. Oft kehrten die beiden Aelteren mit zerrissener Hose und zerfetztem Hemd, in Schweiß gebadet und mit Staub bedeckt« nach Hause zurück, als ob sie sich auf der Landstraße umher» gewälzt hätten: und die Mutter mußte den einen oder den anderen heilen, indem sie mit einer dicken Kupfermünze tüchtig auf die von einem verräterisch geschleuderten Steine hervor- gebrachte Beule drückte. Die Angriffe, deren Gegenstand ihre Kinder waren, taten ihr sehr weh; doch als tüchtige und rauhe Bauersfrau beruhigte sie sich, wenn sie ihr erzählten, sie hätten sich wohl zu verteidigen gewußt und auch dem Feinde übel mitgespielt. Ilm Gotteswillen," sagte sie zu den beiden anderen, gebt nur ja auf Pascualet acht." Und Batiste versprach diesem Gewürm von Schülern eine tüchtige Tracht Prügel, wenn er ihnen außerhalb des Dorfes begegnen sollte. Jeden Abend begannen die Feindseligkeiten, sobald Don Joaquin die Gruppe aus dem Auge verlor. Die Feinde der jungen Borrull. Söhne oder Neffen der Leute, die bei Copa schworen, mit Batiste ein Ende machen zu wollen, marschierten zuerst langsamer, um die Entfernung, die sie von den drei Brüdern trennte zu verringern. In ihren Ohren klangen noch die Worte ihres Lehrers und die Drohung mit diesem verdammten Vogel, der alles sah und