Kleines Feuilleton. Steinadler in den Algäuer Alpen waren noch vor wenigen Jahren keine seltene Erscheinung! auch jetzt noch gelingt es ab und zu einem scharfsichtigen und treffsicheren Jäger, einen der ge- fürchteten Räuber herabzuholen. So wurde vor kurzem wieder ein Steinadler in der Umgebung von Qberftdorf im Algäu erlegt, dessen glügelspannwcite 2 Meter 35 Zentimeter und dessen Länge 00 Zenti­meter beträgt, während die vollständig geöffneten Fänge oder Krallen die Spannweite einer Manneshand besitzen. Der Schütze gab an. daß ihm persönlich nicht weniger als sechs Horste bekannt feien, die aber schon seit mehreren Jahren nicht mehr bezogen wurden, woraus er schließt, daß die ab und zu in der Umgebung der Mädelegabel noch angetroffenen Steinadler nur Zugvögel aus anderen entlegenen Gebieten seien. Nur ein einziges Mal habe er eine Adlerfamilie szwei Alt« und ein Junges) längere Zeit be- obachtet und schließlich erlegt. Ter in einer möglichst unzugäng- lichen Felsnische oder auf den Wipfelzwcigen der höchsten Bäume errichtete Horst besteht in seinein Unterbau aus starken Knüppeln, dem sich ein Oberbau aus dünneren Zweigen und Flechten an­schließt; der Horst hat oftmals einen Durchmesser bis zu zwei Metern. Bei der früheren Häufigkeit der Steinadler, die ein sehr hohes Alter erreichen können, glückte es öfters, einen solchen von seinem Horst herunterzuschießen oder die Jungen auszunehmen, jetzt muß der Jäger froh sein, wenn es ihm gelingt, im strengen Winter am Ansitz bei Fallwild oder bei einem Lieblingsbaume oder Felsen, auf dem die Adler mit Vorliebe aufbäumen, die Federn putzen und Umschau halten, zum Schuß zu kommen. So gelang es dem Schützen im Winter 1901/1902 innerhalb neun Wichen von einer einzigen ihm bekannten sogenannten Wettertanne nicht weniger als zehn Adler mit der Kugel herunterzuholen. Wenn das oftmals vergebliche lange Verweilen auf dem Ansitz auch mancherlei Gefahren für die Gesundheit mit sich bringt, so entschädigt hierfür einerseits wieder die Freude an der glücklich erlegten Beute, anderer- seits auch der materielle Gewinn, da die Ädlerflaumen(Unter- schtvanzfedern) und die Klauen von Liebhabern teuer bezahlt werden. Ein Adler repräsentiert je nach seiner Größe einen Wert bis zu 60 und sogar 100 M. Literarisches. ek. Ludwig Finckh :Der Nosendoktor"(Stutt­ gart , Deutsche Verlagsanstalt 1900). Wie nenn' ich bloß dies Buch? Ein Roman ist es nicht. Eine Geschichte auch nicht. Eine Novelle? Ihr fehlte die Handlung. An Chopin oder Schumann möcht ich denken, oder an eine alte Volksweise: so wehmütig, so rein, so leise verklingend wie sie. Es liegt über dieser Elegie viel von Eduard Mörikes poetischer Art, dessen engerer Landsmann Ludwig Finckh ist. DaS Träumerische. Versonnene, das Reine, Un- berührte, die Liebe zur Heimat, der reizvolle Zauber ihrer Land- schast spricht sich hier aus. Wir wandern mit dem Knaben in Elternhaus und Garten am Neckar umher, steigen mit ihm auf die Berge, durchstreifen die Flur. Eine Primanerliebe verklingt. Er (icht auf die Universität. Dort tritt die Liebe zum zweitenmal in ein Leben. Eine Malerin ist sie. Man liebt sich unsäglich; aber sie" entdeckt, daß er nicht zum Juristen tauge. Die Liebe macht ihn zum Dichter. Umsatteln, Schriftsteller werden, wie schon wäre das I Die Eltern befinden anders darüber. Einen sicheren Beruf müsse der Mensch doch haben. So studiert er Medizin. Ein Wohltäter der Leidenden will er werden, Schmerzen lindern, Wunden schließen. Nach München ist auch seine Geliebte mitgegangen. Beide arbeiten am Bau ihrer ferneren Existenz. Dann werden sie heiraten. Und sie lieben sich innig und rein. Aber da tritt ein anderer in ihren Kreis. Und dieser andere, ein leidenschaftlicher Musiker, gewinnt das Herz der Malerin. Es kommt zur Erklärung. Ein anderer verführe, wie sonstBetrogene" gegenBetrüger" zu verfahren pflegen. Sticht so der junge Arzt. Er entsagt aus Liebe. Sie bleiben sich treu, obzwar sie die Frau des anderen geworden ist. Er übt irgendwo im Schwäbischen die Landpraxis aus. Die Natur ist seine Freundin; bei ihr findet er Glück und Sonne; in seinem Beruf Zufriedenheit und philosophische Ruhe. In seinem Garten umgibt er sich mit Rosen, Rosen, nichts als Rosen. Sie waren die Lieblinge in seiner Knabenzeit; sie bleiben ihm die Gefährten in seinem Einsiedlcrdasein.Rosen- doktor" nennt man ihn. Vielleicht wird er noch Gartcndiretwr, wer kann's sagen? Vielleicht hat er jetzt sein wahres Talent ent­deckt. Eine alles ideal verklärende Liebe liegt über sein Wesen ge- breitet. Wo aber, so fragen wir, wäre sie zu finden? Doch nur in der Phantasiewclt ncuromantischcr Träumer! Ob diese Art Literatur für deren Fortentwickelung in Betracht kommen wird, wollen wir erst gar nicht ernst erwägen. Schlimmsten Falles kann sie als ein Rückschlag gelten, der dem Naturalismus folgte. Nicht als ein Merkmal der Gesundung wollen wir den Hyperidcalismus ansehen, sondern als Krankheitssymptonr, nach dessen Beseitigung erst noch eine urgesunde Blüte der deutschen Dichtung aufbrechen wird. Theater. Kleines Theater. Zwei Stilpe Komödien von Otto Julius B i e r b a u m. Die beiden Einakter des liebens- Würdigen Lyrikers und Verfassers de? Stilperomans wurden, ob­wohl sehr verschieden im Rang, in der FeiertagSstimmung gleich- »nästia freundlich aufgenommen. Der Autor konnte mehrmals vor dem Vorhange erscheinen. Wenn auch keine ausgereist« Komödie. ist das zweite sehr viel bessere Stückchen bei aller Unwahrschcinkichieit in der Situation doch jedenfalls eine sehr amüsante Plauderei und darüber hinaus erweckt die prägnante Charakteristik des jourualistifchen Dekadententypus Stilpe ein wärmeres, nachhaltigereres Interesse. Der ersten Skizze läßt sich derartiges nicht nachrühmen. Sie arbeitet mit außerordentlich billigen Mitteln und scheint hauptsächlich dem Bedürfnisse, den Theaterabend auszufüllen, ihr Dasein zu ver- danken. Der Stilpe in derSchlangendame" wäre ohne den Stilpe in dem«Cenacle der Maulesel" ganz ebenso verständlich. Und das Zeitkolorit nach Angabe des Theaterzettels fällt diese Schülerge>chichte in die Mrie der achtziger Jahre, als in der Literatur das damaligeGründeutschland" die Banner seiner jugendlichen radikalen Respeltlosigkeit erhob ist viel zu ober- flächlich behandelt, um als Reizmittel zu wirken. Der Haß wider dieSchultyramien" gehört doch zur ständigen Tradition, hat an sich mit dem geistigen Milieu dieser besonderen Periode nichts zu schaffen. Als Episode, wie im Holzschcn, TraumuluS". sind solche Schüller- und Abiturientenszcnen auf der Bühne möglich; ver- selbständigt zu einem eigenen Ganzen ermüden sie durch ihre In- Halts- und Poinlelofigkeit. Die jungen Leutchen, die alsMaulesel" zum Abschiedsfest auf Stilpes Bude noch einmal zusammenlommen, Ichmücken sich mit den Nanieu der Bohömehelden aus MurgerS alt- berühmten Zigeunerstizzen, rächen fich an Tacitus . Homer und Cicero durch Spottlieder und wollenleben", nicht studieren in der Studienzeit, worin Stilpe, der windige Don Juan und Verscinacher, ans der Schule bereits ihnen mir leuchtendem Beispiel voran- ging. Zum Schlufie wird dem Herrn Konrektor, der schellend über den Lärm ins Zimmer tritt, von dem Fähnchenführcr der Fugend der Standpunkt ordentlich klar gemacht. Einige Intermezzi sind ganz heiter, so die Entrüstung des guten Patrioten, als ihm Stilpe auf der Rückseite eines Bismarckbitdes Bebels Porträt höhnisch entgegenhält, aber das Ensemble dieser oratorischen Leistungen mach:, wenn man die Schulbänke schon länger hinter sich hat und die Schadenfteude an der Ablanzelnng eines leibhaftigen Direktors durch die allmächtige Zeit gedämpft ist, doch einen recht trivialen Eindruck. DieSchlangendame" spielt zehn Jahre später. Um die Hand- lung ist es auch hier höchst dürftig bestellt. Das Fräulein, welches durch die Kunst ihrer Gliedervcrrenkungen diesen Ehrentitel erworben, hat sonst nichts Schlangenhastes im Gemüt. Im Gegenteil! Die Verlockungen des Zirkuslebeus sind an ihrer Tugeni» abgeprallt. und den dicken TwdiosuS, den ihre reine Seele gewählt, hat sie mit mütterlicher Liebe und Geduld gleichfalls aus den Weg der Tugend und des Examens gebracht. Run möchte er nach langem, hauslichem Zu­sammenleben sie heiraten, sie aber tut als wolle sie das uichr, bis der Vater ihres Liebsten, ein harmloser Proseffor, dem mau sie als Retterin des Sohnes und inakellose Pensionswirtin vorstellt, sie in aller Form selbst darum bittet. Aber, wie gesagt, es wird unter haltium ge­plaudert; Stilpe hat in den zehn Jahren, m denen«s mit seiner ehedem schon nicht beträchtlichm Moral noch weiter bergab ging. an Witz vorzüglich zugenommen. Seine fimkelnde Ironie bringt Zug und Leben in die matten Verwickelungen, und wenn die ideale Schlangendanie auch ein ziemlich blnttoses Schema bleibt. Stilpes durch den Ton des kalten Spottes immer wieder glühend durch­brechende Bewunderung für sie, die Einzige. die er von Herzen geliebt und die sich ihm versagte, hat den Akzent der vollen Lebens- Wahrheit. In der Figur� zeigt sich GestalttingSlrast. Als sich der Freund verlobt, verspricht auch Sttlpe, ein neueö Leben auziffangeu. Er will das giftige Kritisiere» lassen und unter die Schaffenden gehen, die Berliner lehren, im Bauchtanz die höchste Kunstoffenbarung zu erkennen, und den Ucbermenschen auf die Bühne bringen. Tos klang doppelt lustig und pikant im Kleinen, speziell das Wedekindsche Drama kultivirenden Theater. Abel war ein brillanter Stilpe, ganz und gar die richtige Mischung von Lumperei, blasierter Skepsis, behendem Geiste und zurückgedrängter Sentimentalität. M a r i e t t a OilyS fein diS- kreles Spiel stattete das schattenhafte edle Fräulein mir einem sympathischen Anschein des Lebens aus. Klein-Rhoderr exzcllierte in der Bohemegestalt eines knurrigen gesräßigen. aber ebenso kunstcnthnsiastischen ehemaligen Kapellmeister. L e t t i n g e r spielte den Dicken, Kuhnert den alten Professor. Walter einen künftigen Staatsanwalt im Pnppenzustand einstweiliger studentischer Noch-Mcnschlichkeit.>!;. Lustspielhaus.Der Weg zur Holl e". Schwant in drei Akten von Kadelburg. Kadetdurg ist ein fester Begriff. Ganz klar, ganz deutlich. Etwa wie Zirkus. Oder wie Tingeltangel. Und ist eine sichere Marke. Man iveiß. was man erhält. Etwa wie Selters. Oder wie Aepfclweinchamprrgner. Und ist ein bestimmtes Gericht. Etwa wie Rollmops. Oder wie Heringssalat. Oder wie Ragout fin aus Ueberresten. Und das ist an ihm zu loben; er sagt deutlich, was er vorsetzt. Er sagt Zirkus, Seltcr, Heringssalat. Er sagt's halt nur mit einem literarischen Wort: er sagt Schwank . Das ist das Gute au ihm. Mit Literatur, mit Kunst, mit Dichtung, mit Geist will der Manu gar nichts zu tun haben. Mit Theater, mit Bühne ein dis-cheu was. Aber auch nur in einem rein äußerlichen Sinne. In einem Geschäftssinne. In einem gewissen Routincnjinir. Aber da ist er stellenweise von einer Plumpheit, die verblüfft. Und also: auA in der Mache kein Fünkchcn Finesse,