Mnterhaltimgsblatt des Vorivärts Nr. 3. Freitag, den 5 Januar. 1906 3] Schwärmer, (Nachdruck verboten.) Roman von Knut Hamsun . Autorisierte Uebcrsetzung von Hermann Kiy Der neue Pfarrer entpuppte sich als Kampfhahn. Das war nun das dritte Mal. daß er predigte, und schon hatte er viele im Kirchspiel gezwungen. Buße zu tun. Wenn er auf der Kanzel stand, war er so bleich und sonderbar anzusehen. daß er einem Tollhäusler glich. Es gab Leute in der Ge- meinde. denen der erste Sonntag genügte, und die nicht wieder- zukommen wagten. Ja. selbst die Jungfer van Loos ging in sich, diese gepanzerte Jungfrau mit ihrer ganzen Schärfe und Schartigkeit. Die beiden Mädchen, die ihr unterstellt waren, bemerkten die Veränderung mit großer Freude. Viel Volk lag in der Bucht. Die Verhältnisse brachten es mit sich, daß einige von diesen Leuten dem Kaufmann den Tort gönnten, den man ihm angetan hatte. Mack wurde ihnen ollzu mächtig mit seinem ausgedehnten Handel an zwei Plätzen, seinem Watenfang, seiner Fabrik und seinen vielen Fahrzeugen; die fremden Fischer hielten sich an ihre eigenen Händler, die umgänglich waren und leutselig und weder weiße Kragen noch Handschuhe von Hirschleder trugen, wie Mack es tat. Bei seiner Großmannssucht geschehe ihm der Diebstahl gerade recht. Der gute Mack solle auch lieber nicht allzu viele hundert Taler für dergleichen aussetzen, er würde sein Bargeld zum Heringkauf gebrauchen können, wenn der Fang gut aus- fiele. So reich wäre Mack doch wohl nicht, daß er Geld hätte wie der Himmel Sterne. Der Diebstahl mochte Gott weiß von wem begangen sein, vielleicht von ihm selbst oder seinem Sohne Friedrich, damit es aussehe, daß er Geld einbüßen könne wie Heu, trotzdem er sich in Wirklichkeit in Geldverlegenheit befände. Des Geredes war kein Ende zu Wasser und Lande. Mack begriff, daß er sich zeigen müsse, wie die Dinge ein- mal lagen. Da war nun Fischervolk aus fünf Kirchspielen versammelt, das seine Eindrücke mit heimbringen würde zur Familie und zu den Händlern. Weit und breit würde es ruchbar werden, was- für ein Mann dieser Mack auf Rosen- gaard wäre. Ms Mack das nächste Mal zur Fabrik fahren mußte, mietete er ein Dampfschiff für die Tour. Von der Haltestelle war es eine Meile weit, und es kostete ihn schweres Geld, aber für Mack kam das Geld nicht in Betracht. Es erregte viel Aufsehen in der Bucht, als das Schiff hereinbrauste mit Mack und seiner Tochter Elise an Bord. Sozusagen war er des Schiffes Herr, wie er auf dem Teck stand in seinem Pelz und seine mächtige rote Schärpe um den Leib, trotzdem es Sommer war. Als Vater und Tochter ans Land gesetzt waren, drehte das Schiff sofort um und trat die Rückfahrt an: jeder konnte sehen, welcher Bestimmung es einzig und allein gedient hatte. Und da beugten sich auch viele von dem fremden Fischervolk vor Macks Gewalt. Aber Mack tat mehr. Er konnte die Schmach nicht ver- gessen, die man ihm zugefügt hatte. Und er schlug ein neues Plakat an und versprach sogar dem Diebe selbst die vierhundert Taler als Lohn, wenn er sich meldete. Nie war etwas Aehn- liches an flotter Ritterlichkeit gesehen worden. Mußte denn jetzt nicht jeder erkennen, daß es nicht die armseligen gestohlenen Pfennige waren, die Mack retten wollte? Doch nicht auf den Lippen aller erstarb das Geschwätz: Ist der der Dieb, den ich dafür halte, so wird er sich schon nicht melden, auch jetzt nicht! Der große Mack saß in einer ganz unleidlichen Klemme. Man war daran, sein Ansehen zu untergraben. Zwanzig Jahre lang war er der große Mack gewesen, und alle hatten ehrerbietig das Feld vor ihm geräumt; jetzt hatte es den An» schein, als grüßten ihn die Leute nicht so achtungsvoll wie früher. Und er war doch obendrein Ritter eines königlichen Ordens. Was war er für ein Herr gewesen! Der Wort- führer des Kirchspiels war er, die Fischer vergötterten ihn, die kleinen Handelsleute von den Nachbarplätzen äfften ihn nach. Mack hatte ein Magenleiden, wahrscheinlich war es eine Folge seiner vornehmen, fürstlichen Lebensweise, und sobald es ein wenig kühl wurde, trug er seine breite rote Schärpe um den Magen. Eine rote Magenschärpe wurde nun auch von den Handelsleuten der Nachbarplätze angelegt, von diesen winzigen Emporkömmlingen, die Mack aus Gnade und Barm- Herzigkeit leben ließ. Auch sie wollten für höhere Standes- wesen gelten, die so vornehm und üppig äßen, daß ein Magen- leiden die Folge wäre. Mack kam zur 5?irche in knarrenden Stiefeln und durchschritt den Wandelgang mit hochmütigem Gelärm; doch auch den Gebrauch knarrender Schuhe lehrte er die Leute. Manch einer setzte seine Schuhe in Wasser und ließ sie zum Sonntag eintrocknen, daß sie ordentlich knarrten auf dem Fußboden der Kirche. In allen Tingen war Mack das große Beispiel gewesen. 4. Nolandsen sitzt in seiner Kammer und experimentiert. Von seinem Fenster aus sieht er, daß ein bestimmter Zweig an einem bestimmten Baum im Walde sich auf und nieder be- wegt. Es muß jemand an dem Baume rütteln, doch das Laub ist doch zu dicht, um mehr sehen zu können. Und Rolandsen experimentiert weiter. Aber es will heute mit der Arbeit nicht gehen. Er ver- sucht es, die Gitarre zu nehmen und die drolligen Klagelieder anzustimmen, aber auch das ist ihm nicht recht. Ter Früh- ling ist gekommen, Rolandsens Blut ist in Bewegung. Elise Mack ist angekommen, er ist ihr gestern abend be- gegnet. Er ist stolz und hochnäsig gewesen und hat sich zu benehmen gewußt; es hatte ausgesehen, als wenn sie ihm mit ein paar Freundlichkeit� eine kleine Freude machen wollte, aber er hatte nichts dergleichen entgegengenommen. „Ich bringe Ihnen Grüße von den Telegraphisten in Rosengaard," sagte sie. Rolandsen unterhielt keine Freundschaft mit den Tele- graphisten, er war nicht kollegial. Sie wollte wieder den Ab- stand zwischen ihnen markieren, oho, er würde eS ihr ver- gelten, es ihr heimzahlen. „Sie müssen mir einmal ein wenig Gitarrespiel bei- bringen," sagte sie. Das konnte einen nun wieder stutzig machen und war nicht von der Hand zu weisen; aber Rolandsen wies es von der Hand. Im Gegenteil, jetzt wollte er es ihr heimzahlen. Er sagte: „Gern. Zu jeder Zeit. Sie sollen meine Gitarre be- kommen." Da konnte man sehen, wie er sie behandelte. Als wäre sie gar nicht Elise Mack, eine Dame, die sich zehntausend Gitarren leisten konnte. „Nein, danke," gab sie zur Antwort.„Aber üben könnten wir wohl ein wenig darauf." „Sie sollen sie bekommen." Da warf sie den Kopf in den Nacken und sagte. „Ich mag sie gar nicht, mit Verlaub." Seine Keckheit hatte sie gut getroffen. Er ließ ab von der Rache und murmelte: „Ich wollte Ihnen nur das einzige geben, was ich habe." Tief senkte er den Hut und ging. Er ging zur Küsterwohnung . Die Tochter Olga wollte er treffen. Nun war es Frühling geworden, und Rolandsen mußte seine Herzliebste haben; es war nicht leicht, solch ein großes Herz zu regieren. Er hatte auch noch seine besondere Absicht dabei, wenn er Olga den Hof machte. Es ging das Gerücht, daß Friedrich Mack ein?luge auf die Küstertochter geworfen habe, und Nolandsen wollte ihn ausstechen, ja, das wollte er. Friedrich war Elisens Bruder, so ein Korb würde der Familie gut tun. Uebrigens war Olga es auch an und für sich wert, daß man ihr nachstellte. Nolandsen hatte sie schon als ganz junges Mädelchen gekannt; bei ihr zu Hause war das Einkommen schmal genug, so daß sie ihre Kleider immer hatte gut auftragen müssen, bevorn sie neue bekam, aber frisch war sie und hübsch, und ihre Schüchternheit stand ihr nett. Rolandsen hatte sie zwei Tage hintereinander getroffen. Das war nur dadurch möglich, daß er direkt zu ihr ins Haus kam und ihrem Vater jeden Tag ein Buch lieh. Er mußte dem Küster diese Bücher aufzwingen, die der alte Mann nicht begehrte und nicht verstand. Rolandsen mußte dastehen und großen Eifer an den Tag legen um der Bücher willen.„Es sind die nützlichsten Bücher von der Welt," sagte er,„und ich will ihnen Verbreitung schaffen; bitt' schön."
Ausgabe
23 (5.1.1906) 3
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