»Das kann nur ein anderer sein, dem Sie den Beutel ver- sprachen haben. Besinnen Sie sich, vielleicht ist es der Pfarrer. Ein verheirateter Mann." Sie verstand nicht, wieviel Mühe ihn dieser kleine Scherz gekostet harte, und sie konnte sich nicht enthalten, zu sagen: -»Ich Hab' die Tarnen aus dem Wege gesehen, hinter denen bist Du wohl hergewesen?" „Was schert das Sie?" „Ovek" „Warum reisen Sie nicht? Sie sehen doch, daß es so Nicht geht." „Es würde so gut gehen, wenn Du nur nicht so ein Juwel von einem Manne wärst und jeder Schürze nachliefst." „Wollen Sie mich ganz wütend machen?" schrie er. .„Gutnacht." Jungser van Laos rief ihm nach:„Ja, Du, Du bist mir der Rechte! Ich höre die ärgsten Dinge über Dicht" Hatte diese übertriebene Engherzigkeit denn einen Sinn? Und war es einer armen Seele nicht obendrein zu gönnen, wenn sie sich mit einem kleinen Liebeskummer quälte? Kurz, Rolandsen ging auf das Bureau hinauf, ließ mit einem Male den Apparat arbeiten und bat einen Kollegen auf der Station Rosengaard, ihm mit nächster Gelegenheit einen halben Anker Kognak zu schicken. Denn dieses ewige Hin und Her, es war ja so sinnlos. 7. Elise Mack läßt sich diesmal Zeit beim Besuch der Fabrik. Sie verläßt das große Rosengaard und reist herüber, nur um ihrem Vater den Aufenthalt hier ein bißchen gemütlich zu machen: er hätte wohl kaum seinen Fuß in das Kirchspiel ge- setzt, solange er es vermeiden konnte. Elise Mack erblühte reicher und reicher von Jahr zu Jahr, ihre Kleider waren rot und weiß und gelb, und man fing an, sie Fräulein zu nennen, obwohl ihr Vater weder Pfarrer noch Doktor war. Eine Sonne und ein Sternbild war sie, hoch über allen. Sie kam mit einigen Telegrammen auf die Station und Rolandsen bediente. Er wechselte bloß die paar Worte mit ihr, die erforderlich waren, und beging nicht den Fehler, ihr bekannt zuzunicken und zu fragen, wie es ginge. Keinen Fehler beging er. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Vie pariser Samelots. Man darf so einen Pariser Zeikungsverkäufer nicht mit einem Berliner vergleichen wollen. Da ist ein himmelweiter Unterschied. Der Pariser Camclot ist ganz etwas für sich. Sein ganzes Auf- treten, die Art wie er seinen Beruf ausübt. Seine Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit. Denn er ist direkt unentbehrlich. Das hängt mit dem Pariser Zeitungswesen zusammen, von dem man auch ein wenig sprechen muß. wenn man von dem Camelot erzählen will. Der Berliner Zeitnngsverkäufer hat einen festen oder doch ziemlich begrenzten Standort. Er paßt die Passanten ab. Der Ämnelot rennt ihnen nach oder rennt ihnen entgegen. Nur in den späten Abendstunden, wenn die Aktualitäten schon verbreitet sind, und er den Rest seiner Blätter absetzen will, stellt er sich an einer verkehrsreichen Stelle auf, um die Paffanten abzufangen. Er postiert sich an den Ausgang der Untergrundbahn, vor die großen Cafes, die Ausgänge der Theater und der großen Konzertsäle. Nur in äußersten Notfällen, und wenn eine große Verbreitung für ein Blatt oder eine Nachricht nötig ist, überschreitet er die. Tann geht er auch in die Vororte, besonders die reicheren, wie Neuilly oder Passy. Aber für gewöhnlich bleibt er, wo er seine Kund- schast hat. Denn er hat Kundschaft, wenn es auch keine feste ist. Der Camelot sucht sich auch ein wenig seine Leute aus, denen er verkaufen will. Der Camelot der großen Boulevards fühlt sich als Camelot erster Klasse und sieht ein wenig auf seine Kollegen herab. Nun, es gehört ja auch am meisten Geschicklichkeit dazu, auf den großen Boulevards zu reüssieren. Es gehören die eigent- lich pariserischen Eigenschaften dazu, Fixigkeit, Schlagfertigkeit. Be- weglichkeit des Gebärdenspiels, rasche Aufnahmefähigkeit, offene Augen und ein überraschendes Witzwort . Ein guter Witz ist in Paris unter Umständen ein gutes Geschäft. Nur der Augenblick muß getroffen sein. Denn der Franzose respektiert das, jeder Franzose. Mag er nicht lesen und nicht schreiben können; er hat eine Bildung d«S Sich-Ausdrückens. Er weiß Finessen seiner Sprache und seines Esprits zu schätzen. Denn der Franzose ist ja eben mehr für das Leben, als für die Kaserne erzogen, das große Kulturkapital läuft in kleiner Münze in diesem reichsten Kultur- Volke um, das sich deshalb auch bei der unwürdigsten Gelegen- geit den LuxuS gestatten kann, geistreich zu sein. Und das es auch ist. Von vier Uhr ab durchrast und durch ruft der Camelot sein Viertel. Bon vier Uhr ab etwa existiert der Zeikungsverkäufer erst, der durch die Straßen läuft. Die übrige Zeit werden die Blätter in den Läden und den Kiosken verkauft. Der Camelot bringt die Neuigkeiten und das Neueste. Es sind nur Abendblätter, die er vertreibt:„La Presse",„La Patrie", La Liberie", die drei reaktionären; dann das fortschrittlichere„La petite Presse" und die Sportblätter„Paris-Sport" und„Auto". Diese Blätter sind ganz ohne einen noch so kleinen Abonnentenstamm. Das Abonnement der Zeitung existiert in Paris überhaupt niaji in so ausgedehntem Maße wie bei uns. Der Pariser halt sich nicht gern an ein Blatt allein. Er liest mehrere. Besonders mehrere Ein- Sous-Blätter. Und auch kein Zwei-Sous-Blatt allein. Dann, er will rasch Nachrichten haben, einerlei von woher sie kommen.�welche Tendenz sie redigiert hat. Und weiter, er liest viel aus der Straße, im Cafch. Auf einen letzten Grund komm ich später zu sprechen. Am ehesten einen festen Abonnentenstamm haben die großen Bourgeoisbläiter„Le Temps",„Journal des Dubais ", die abends erscheinen. Sie machen aber jedenfalls auch ihr bestes Geschäft durch den Einzelverkauf. Tann die eigentlichen Boulevardblätter. wie der klerikal schillernde„Figaro" und der ironisch witzige, geist» reichclnde und gelegentlich auch geistreiche„Gil BlaS", die der„Ge- sellschaft" dienen, und die man gelesen haben muß, wenn man zu den„Eingeweihten" gezählt werden soll. Tann wohl auch die sozialistischen Blätter wie.L'Humanite" und„La Petite Republt- que", dann der ziemlich charakterlose» ein bißchen skandalsüchtche und gern hetzende„Matin". Endlich aber die sogenannten„Ton- ciergenblätter", d. h. die die Portiers und sonstigen kleinen Leute und Nenigkeitenkrämer lesen:„Le Petit Parisien " und„L'Echo de Paris", meinungslos, aber eher reaktionär, wie alle meinungslosen Zeitungen. Die antisemitische„Libre Parole", der nationalistische „Eclair", der verlogene„Jntransigeant" Henri Rocheforts, der fortschrittliche„Radical", die„Aurore" Clcmenceaus, die radikale „Depeche de Toulose", wo Pellctan hauptsächlich mitarbeitet, der Pariser Generalanzeiger„Le Journal,„Petit Bleu",„L'Aktion", „La Raison " und das erzklerikale„Croix" werden hauptsächlich an den Kiosken verkauft. Der Camelot kümmert sich um sie nicht. Es müßte gerade sein, daß ein sensationelles Ereignis, eine Pro- paganda, eine Campagne seine Stimme, seine Ausdauer und Auf- dringlichkeit und seine raschen Beine gebrauchte. Da ists manch- mal luftig, wenn die Camelots der verschiedenen Blätter gcgencin» ander schreien. Oder wenn Mittagsausgaben nötig geworden find. Oder wenn eine Neugründung beim Publikum eingeführt werden soll. Die Blätter alle, die ich kommen sah(und hörte) und gehen, die sind zahlreich wie Herbstblättec im Walde. Und jedes war doch eine„neue Notwendigkeit" gewesen und hatte eine bedeutungsvolle Tendenz gehabt. Es sind daher aber doch hauptsächlich die Abend- blätter, die die Sonderausgaben veranstalten und die Sensations- Nachrichten verbreiten. Bei Wahlen, oder während des Japanischen Krieges, oder bei Beginn der russischen Revolution tats auch der „Matin".„La Croix" brauchte die Camelots wiederholt zum Dummenfang während der Einbringung des Seperationsgesctzes. Früher hatte der„Matin" eine Abendausgabe„Le Francis", der noch ausgerufen wurde. Es fehlte dann etwas im Rhythmus des Camclotrufs, als er einging. Manchmal klang dann der„Soir" mit, aber das dauerte nicht lange. Mit einer ganz verdorbenen Aussprache sucht der Camelot oft die Aufmerksamkeit auf sein Blatt zu lenken, besonders„La Presse" verhunzt er nicht selten zu einem angenehmen Ohrenschmause. Alle Camelotblätter waren bis vor kurzem reaktionär. Da wurde„La nouvelle Presse" gegründet. Aber von ihr verschweigt der Camelot meist das Adjektiv, aus Bequemlichkeit und Geschäfts- klugheit, denn auf diese Art hängt er manchem Käufer statt der nationalistischen„Presse" die fortschrittlichere„Neue Presse" auf. Und bis der's merkt und das Blatt entfaltet hat, ist der Camelot häuserweit und hat schon ein halbes Dutzend weiterer Blätter der- kauft. Das geht mit einer viriuosen Geschwindigkeit, er nimmt den Sou— allell Camelotblätter außer„Libcrte" kosten einen Sou— reicht das Blatt, das er oft noch rasch faltet und ist davon. Er ist kaum stehen geblieben, und hat sich gleichzeitig nach allen Seiten umgesehen, ob nicht noch jemand auf ihn warte. Er läuft sich heiß und ruft sich heißer. Manchmal überrennen die Camelots einander. Auf den großen Boulevards hat das nichts weiter zu sagen, da verkaufen die vorderen so gut wie die Hinteren, aber in den übrigen Stadtteilen führt das nicht selten zu Streit, der dann in der Nacht mit dem Messer ausgefochtcn wird. Denn das gehört auch zum Leben des Camelot, das Nachtleben in den Bars der äußeren Boulevards und in der Nähe der„großen Hallen". Denn die Camelots sind vielfach„Apachen", wie der Pariser die gefährlichen Zuhälter nennt, die gewisse Viertel unsicher machen. Und wenn das Messer spricht, so sprichts auch oft aus Gründen der „Liebe". Aber es gibt auch ehrliche Leute unter ihnen. Noch nicht lange ist der„König der Camelots" gestorben, der ein ganz ehr- licher armer Teufel war und sich seiner Würde bewußt trug und ein verbreitetes Ansehen genoß. Denn auch das ist in Paris mög- lich. Mancher ist unter ihnen, der einmal bessere Tage gesehen, mancher, der sich durch den Zcitungsverkauf über Wasser halten will, andere, die durch ihn erst recht zum Verbrechen getrieben werden. Der eine»sinlt tiefer durch den Beruf, der andere hält sich wenigstens. Selten, daß ein Gesunkener wieder durch ihn in die Höhe kommen kann. Dazu ist der Verdienst zu gering.
Ausgabe
23 (10.1.1906) 6
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