Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 8.
8]
Schwärmer.
Freitag, den 12. Januar.
( Nachdrud verboten.)
Autorisierte Uebersetzung von Hermann Kiy. Rolandsen sah herauf. Das war der Pfarrer, der dort stand, der leibhaftige Pfarrer. Der Gesang verstummte. Rolandsen tat sehr verlegen, stand einen Augenblick verbaselt da und ging dann zum Hof hinaus.
Der Pfarrer sagte:„ Na, nun hätten wir Ruhe vor ihm!" Er war durchaus nicht mißvergnügt, weil er durch sein bloßes Erscheinen so viel ausgerichtet hatte. Und jetzt soll er morgen einen Brief von mir bekommen," sagte er; ich hab' ihn schon Lange aufs Rorn genommen wegen seines anstößigen Lebens
wandels."
"
,, Kann ich es ihm nicht lieber sagen, daß wir seinen Gesang in der Nacht nicht wollen?"
Der Pfarrer fuhr fort, ohne dem Vorschlage seiner Frau Beachtung zu schenken: und hinterher gehe ich zu ihm und rede mit ihm!" Der Pfarrer sagte das mit Nachdruck. Es war, als müßte wer weiß was geschehen, wenn er zu Rolandsen ginge.
Er kehrte in sein Zimmer zurück und dachte im Liegen weiter nach. Er würde diesen leichtsinnigen, tollen Patron ganz und gar nicht schonen, der sich so großartig gebärdete und das ganze Kirchspiel unsicher machte mit seinen freien Manieren. Der Pfarrer machte keine Unterschiede zwischen den Leuten, sondern sandte seine Briefe an Hinz wie Kunz und setzte sich in Respekt. Hier sollte es sich aufhellen in dieser verdüsterten Gemeinde. Noch hatte er des Gehülfen Levion Schwester nicht vergessen. Sie hatte sich nicht gebessert, und der Pfarrer hatte ihren Bruder nicht länger als Gehülfen behalten können. Das Unglück hatte Levion heimgesucht, seine Frau starb; aber schon beim Begräbnis hatte der Pfarrer ihn ertappt. Es war eine haarsträubende Geschichte. Als der gute Gehülfe seine Frau in die Gruft bringen sollte, war es ihm eingefallen, daß er Friedrich Mack in der Fabrik einen Kalbsrumpf versprochen hatte. Nun war es ein Weg, die Tage waren auch nicht mehr fühl genug, um das Fleisch liegen zu lassen, d'rum nahm er den Kalbsrumpf mit. Der Pfarrer bekam Wind von der Sache durch Enoch, den tiefdemütigen Mann mit dem Ohrenleiden, und sofort rief er Levion zu sich. Ich kann Dich nicht länger als Gehülfen behalten," sagte der Pfarrer. Deine Schwester liegt und vergeht sich in Deinem Hause, und Du hältst nicht Zucht, Du liegst und schläfft zur Nachtzeit, wenn ein Mann in Dein Haus kommt." ,, Leider," erwiderte der Gehülfe, so geht es ja manches
Mal."
"
,, Ein zweites kommt hinzu: Du bringst Dein Weib in die Gruft, und Du läßt ein totes Salb mit dabei sein. Läßt sich das alles verteidigen?"
,, Wer soll es sein?"
1906
„ Ich brauche es Dir nicht zu sagen. Aber Enoch
wird es.
Lange dachte der Bauer nach. Die Seele fannte er, er hatte ein paar Händel mit Enoch gehabt. Enoch wird es!" Er sagte nichts weiter und ging.
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Und Enoch würde seinen Posten ausfüllen. Er war eine tiefe Natur, nie ging er hoch aufgerichtet, legte vielmehr den opf auf die Brust und nahm die Dinge gründlich. Man zischelte sich zu, als Kamerad zur See sei er kein redlicher Patron; vor vielen Jahren sollte er dabei gefaßt worden sein, wie er an anderer Leute Schnüren zog. Doch das war wohl nur Neid und Verleumdung. In seinem Aeußeren war er fein Graf und Baron, dieses Tuch um die Ohren entſtellte ihn. Außerdem hatte er die Angewohnheit, wenn er jemand auf den Wegen traf, die Finger erst auf das eine und dann auf das andere Nasenloch zu legen und zu blasen. Aber Gott sah nicht die äußere Gestalt an, und dieser sein geringer Diener Enoch hatte wohl die löbliche Absicht, sich ein wenig zu pußen, ehe er Leute traf. Wenn er fam, so hieß es:" Friede sei mit Euch!" Und wenn er ging:" Der Friede weiche nicht von Euch!" Alles, was er tat, war gründlich durchdacht. Selbst das große Schnigmesser, das von seinem Gürtel herunterhing, trug er mit dankbarer Miene, als wollte er sagen: Manch einen gibt es leider, der nicht einmal ein Messer zum Schneiden hat. Am letzten Opfertage hatte Enoch mit feiner großen Gabe Aufsehen erregt, er legte eine Banknote auf den Altar. Hatte er letthin so reichlich Bargeld verdient? Es mochte wohl so sein, daß eine höhere Macht ihr Scherflein zu seinen Schillingen legte. In Macks Kramladen war er nichts schuldig, sein Fischgerüst war unversehrt. seine Familie war wohlgekleidet. Und daheim hielt Enoch die strengste Bucht. Er hatte einen Sohn, ein wahres Muster von gutem, sanftem Benehmen. Der Junge war auf den Fischfang nach den Lofoten gerudert, so daß er ein Recht darauf hatte, mit einem blauen Anker auf der Hand heimzukommen, doch er tat es nicht. Früh hatte sein Vater ihn Gottesfurcht und Demut gelehrt. Ein solcher Segen ruhe auf dem, der hinwandere still und geduckten Sinnes, meinte Enoch.
Während der Pfarrer dalag und nachdachte, schritt der Morgen vor. Dieser klägliche Telegraphist Rolandsen hatte ihm die Nachtruhe zerstört, schon um sechs Uhr stand er auf. Da stellte es sich heraus, daß seine Frau sich in aller Stille angekleidet hatte und schon ausgegangen war.
Später, im Laufe des Vormittages, begab die Frau sich zum Telegraphisten Rolandsen hinauf und sagte:„ Sie dürfen uns nichts vorsingen in den Nächten."
Ich sehe ein, daß ich mich nicht richtig benommen habe," sagte er. Ich hatte erwartet, Jungfer van Loos zu finden. Doch sie war ungezogen."
Hier aber sah der Fischbauer den Pfarrer gänzlich ver- es ständnislos an und fand ihn ungerecht. Seine selige Frau war eine betriebsame Seele, sie wäre die erste gewesen, die ihn erinnert hätte, doch ja das Kalb mitzunehmen, wenn sie gefonnt hätte. Es ist ja ein Weg, würde das selige Menschenfind gesagt haben.
Wenn der Herr Pfarrer es so haarscharf nehmen, so werden Sie keinen ordentlichen Gehülfen bekommen," sagte Levion.
" Das wird meine Sache sein," erwiderte der Pfarrer. ,, Aber Du bist Deines Amtes ledig."
Levion sah auf seinen Südwester hinunter. Unleugbar war das eine Schmach, die ihm widerfuhr, seine Nachbarn würden sich an seinem Falle weiden.
Der Pfarrer war empört.„ Aber im Namen Gottes," sagte er, fannst Du Deine Schwester nicht einmal dazu bringen, daß sie den Mann heiratet?"
" 1
Der Herr Pfarrer dürfen glauben, daß ich's versucht habe!" antwortete Levion. Aber sie ist ihrer Sache nicht ficher, wer es iſt."
Der Pfarrer reißt den Mund auf: ,, Was ist sie nicht...?" Und als er endlich versteht, schlägt er die Hände zusammen. Dann nicht er furz: Wie gesagt, ich werde mir einen anderen zum Gehülfen nehmen."
und
So galt Ihr Gesang der Jungfer?"
" Ja. Ein kleiner mißratener Morgengesang war nur."
"
Diesmal lag ich in der Kammer," sagte die Frau.
Die Jungfer lag früher da, zu Ihres Vorgängers Zeit." Die Frau sagte nicht mehr viel, ihre Augen waren dumm glanzlos geworden.
Ja ja, ich danke Ihnen," sagte fie, als sie ging ,,, es hörte sich schön an, aber Sie dürfen's nicht wieder tun."
Ich verspreche es Ihnen. Hätte ich geahnt.. ich würde mich natürlich nicht erkühnt haben." Rolandsen schien in die Erde versinken zu wollen.
Als die Frau nach Hause kam, sagte sie:„ Ich bin wirk.. lich ganz schläfrig heute."
" Ist das zu verwundern?" antwortete der Pfarrer.„ Du hast wohl kein Auge zugemacht wegen des Schreihalses heut nacht." ,, Es ist gewiß das beste, ich lasse die Jungfer ziehen," sagte die Frau.
"
„ Die Jungfer?"
,, Er ist ja mit ihr verlobt, weißt Du. Wir werden keine Ruhe bekommen für die Nächte."
" Ich werde ihm heute einen Brief schreiben." " Das einfachste wäre ja, die Jungfer ginge." Der Pfarrer dachte dazu, das sei durchaus nicht das einfachste, da der Wechsel ihm vermehrte Ausgaben ver.