Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 25.
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Dienstag, den 6 Februar.
( Nachdrud verboten.)
Seit Monaten war man im Dorf für das Kriegerfest tätig gewesen. Durch die geplante Fahnenweihe gewann der Tag eine erhöhte Bedeutung. Da die Mittel des Kriegervereins nicht im entferntesten ausreichten, ein goldgesticktes, kostbares Banner mit Fransen und Botteln anzuschaffen, ging die Sammelbüchse um. Reichlich flossen die Spenden. Wer es wagte, sich auszuschließen, wurde in Acht und Bann getan. Eine minder teure Fahne hätte ebenso gut ihren Zweck erfüllt, man suchte aber einen Ehrgeiz darin, die schönste im ganzen Bezirk zu besigen. Abgesehen von dieser Sollefte, nötigte die Festlichkeit die meisten, tief in die Tasche zu greifen. Fast jede Familie erwartete Besuch. Jammerte man sonst über die schlechten Zeiten, bei dieser Gelegenheit wollte sich niemand lumpen lassen. Ganze Berge von Wurst und Fleisch wurden herbeigeschafft. Die Aermeren unter der Bauernschaft traf die Feststeuer" hart. Ein törichter Stolz verleitete sie, die Freigebigen zu spielen, obwohl sie sich hinterdrein den Bissen am Munde absnaren mußten. Eine Hauptforge war dem Kriegerverein genommen: die Brauerei in der Kreisstadt hatte sich erboten, die Festhalle samt der Tribüne aufzuführen, wogegen der Festwirt verpflichtet war, seinen gesamten Bedarf an Bier von ihr zu entnehmen. Der Festplat war abgegrenzt und nur gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes zugänglich. Im Gegensatz zur Kirmes trug die Veranstaltung ein fast städtisches Gepräge.
Am Vorabend bereits waren die Musikanten erschienen. In der Festhalle wurde„ probiert, wie's tut". Manch einer trank sich dabei einen Haarbeutel an.
Bei Sonnenuntergang zogen die ortsansässigen Krieger unter Führung einiger Veteranen auf die Jungfernheide. Dort teilte man sich in zwei Haufen. Der eine stellte die Franzosen , der andere die Deutschen vor. Alle waren mit alten Vorderladern oder mit verrosteten Säbeln bewaffnet. Kurzem Geplänkel folgte ein heftiger Kampf, der natürlich damit endete, daß die Franzofen in die Flucht geschlagen wurden. Auf dem Festplat fand man sich später wieder friedlich zusammen.
Weckruf und Böllerschüsse verkündeten am anderen Morgen, daß der eigentliche Festtag angebrochen. Um zehn Uhr läutete es in der Kirche. Mit verhüllter Fahne nahm eine Abordnung des Kriegervereins am Gottesdienst teil. Der Pfarrer verbreitete sich in weit ausgesponnener Predigt über Zweck und Ziel der deutschen Kriegervereine. Nicht eben viel von den Worten des Geistlichen drang in die Schädel der Bauern. Den einen war faßenjämmerlich zumute, denn sie hatten sich gestern im Trinken übernommen, die anderen schwelgten bereits im Vorgefühl der zu erwartenden Genüsse. Nur ein paar alte Weiber, die auf den letzten Bänken saßen, hörten andächtig zu.
Gegen Mittag verdüsterte sich der Himmel. Der SäuHirtekarl meinte, dem. Bickelmeier seine Pfauen hätten diesen Morgen anhaltend geschrien. Das bedeute Regen. Ueberall begegnete man besorgten Gefichtern. Man befürchtete ein Unwetter. Plötzlich erhob sich ein starker Wind und trieb das drohende Gewölf auseinander. Sieghaft leuchtete wieder die Sonne.
Berittene Burschen sprengten vors Dorf, die auswärtigen Vereine zu empfangen. Diese zogen mit ihren Fahnen unter großem Jubel ein. Auf dem Kirchenplatz- so lautete die Order sollten alle Aufstellung nehmen.
Von hier aus setzte sich denn auch der Festzug in Bewegung. Voran die Schulkinder, grüne Zweige in den Händen, dann die Festjungfrauen mit der verhüllten Fahne, die Musikanten, der Ortsvorstand, die Ortsvereine, endlich die Gäfte in der Reihenfolge nach dem Alphabet ihrer Heimatorte geordnet.
Die Gassen, die der Zug berührte, waren zu beiden Seiten mit Zuschauern besetzt. Auf dem Festplat angelangt, scharte man sich um die Tribüne. Als erster Redner hieß der
1906
Bezirkspräsident der Kriegervereine die Kameraden willfommen. Darauf sang der Kirchengesangverein ein patriotisches Lied. Die Weiherede fiel dem Lehrer zu. Dieser zitterte ordentlich vor Freude, daß ihm endlich einmal Gelegenheit geboten war, vor einer großen Versammlung seine rednerische Begabung zu zeigen und darzutun, welch ein belesener, ja ge= lehrter Mann an der Spiße der simplen Dorfschule stand. Er sprach von den„ Wendepunkten im Leben der Völker", von der Entdeckung Amerikas , der Erfindung der Buchdruckerkunst, der Reformation, der französischen Revolution und sprang dann auf den Krieg von 1870/71 über, den er als eine logische Erscheinung in der Kette historischer Entwicke lung" charakterisierte. Bewegten Herzens erblickte er eine stattliche Zahl wackerer Veteranen vor sich. Sie seien im wahrsten Sinne des Wortes heute die Löwen des Tages. Die Fahne, deren Enthüllung unmittelbar bevorstehe, pries er als das Symbol der Einigkeit und Opferwilligkeit" und schloß mit einem dreifachen Hoch auf den Kaiser und den Landesfürsten.
Die allgemeine Spannung erreichte den höchsten Grad, als auf einen Wink des Lehrers die Dokheimersmariann vortrat. Ihr blasses, feingeschnittenes Gesicht stach seltsam ab gegen ihre buntfarbige Festtagstracht. Fast war man versucht zu glauben, eine Fürnehme" sei es, die in der bäuerlichen Gewandung stecke. Das noch verhüllte Banner in der Rechten, sprach sie mit großer Befangenheit und nur für die Nächststehenden verständlich:
„ Die Frauen und Jungfrauen allhier Widmen Euch dies stolze Panier, Wehen soll's in blauer Luft Euch voran, wo die Ehre ruft, Mahnen soll's Euch für alle Zeit, Seid einig, friedsam und opferbereit. Jetzt aber hebt zum Schwur die Hand. Zu leben und sterben fürs Vaterland!"
Die Hülle fiel. Lustig flatterte das Banner im Wind, von allen beguckt und bewundert. Auf seidenen Grund war die Kaiserfrone eingestickt, daneben das hessische Landeswappen. Ueber beide hielt die Germania segnend die Hand. Ein brausendes Hurra scholl über den Platz, von der Musik mit einem Zusch begleitet.
Der Fahnenträger gelobte, die Fahne in Ehren zu halten, und der Bezirkspräsident brachte ein Hoch auf die Frauen und Jungfrauen aus, die gleichgültig, woher die Spenden stammten immer als Stifterinnen der Fahne gelten.
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Der offizielle Teil des Festes war beendet, und die Lustbarfeit trat in ihr Recht. Die Musikanten nahmen ihren Plaß auf dem Tanzboden ein, wo sich bald die Paare drehten. Maß, der Soldat, forderte die Mariann mit den Worten auf: Seist Du gefrägt?"
Da sie verneinte, sprach er:„ Häng in!"
Er tanzte so lange mit ihr herum, bis sie erschöpft innehielt. Darauf spendierte er süßen Schnaps und wich nicht mehr von ihrer Seite. Die Frauen und alten Weiber, die wie eine lebendige Mauer den Tanzplaß umschlossen hielten, tuschelten einander zu, da spinne sich gewiß etwas an. Der Maß schwäßte dem Teufel ein Ohr ab. Er hatte ein Auge für alles. Manchmal waren seine Bemerkungen so drollig, daß die Mariann, die den Mund nicht öffnete, unwillkürlich lächeln mußte.
Fried, der Schneider, hatte dem Fest zuerst fernbleiben wollen, auf Drängen seiner Mutter war er dann doch hingegangen. Nach der Fahnenweihe schaute er eine Zeitlang dem Karussell zu, später faßte er in der Nähe des Tanzbodens Posto und war Zeuge, wie der Maß um die Mariann herumschwänzelte.
Von Stund an, daß sich sein Mädchen von ihm abgekehrt, war er wie betäubt umhergegangen. Die Quelle, der sein Lebensmut, seine Arbeitsfreudigkeit entsprangen, war bersiegt. Das gutgemeinte aber, lästige Geschwäß seiner Mutter trieb ihn aus dem Haus. Tagüber lag er auf einer Halde unweit des Winterbergs und starrte in die Luft. Ob der Himmel über ihm blaute, ob er sich mit Wolfen bedeckte, er fah es nicht. Einmal zog ein schweres Gewitter auf, Hageltörner prasselten nieder, und ein Feuermeer war um ihn.