Ilnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 34. Sonnabend, den 17. Februar. !S06 (Nachdruck verbalen.) 20] Der Kuppclbof» Roman von Alfred Bock  . Kinder und Enkelkinder hatte sie vor sich her sterben sehen, die Heiterkeit, die ihr ganzes Wesen durchdrang, brach immer wieder siegreich hervor, sie half ihr langes Siechtum ertragen und begleitete sie in die Ewigkeit, denn mit einem Lächeln auf den Lippen schlummerte sie hinüber. Sie war des Schneiders erste und einzige Liebe. Wenn sein Sohn, der als Postbeamter im Elsaß   stand, die Eltern besuchte und das Heiratsthema aufs Tapet kam, pflegte sein Vater zu sagen: Ich Hab nix degegen, wann Du Dich beweibst, aber mach mir's erst emal nach und such Dir eine Frau, wie ich sie Hab." Dabei zog er seine Ammergret*) zärtlich an sich. Nun hatte er sie begraben müssen. Sein Geschäft hatte der Meister verkauft. Danach ging er mit der Absicht um, seinen Wohnsih nach Niederweisel zu verlegen, wo seine Tochter an einen Sattler verheiratet war. Später gab er den Plan wieder auf, bezog den oberen Stock seines Hauses, den er vordem vermietet hatte, und nahm eingesetztes Mädchen" in Dienst, das ihm den kleinen Haushalt führte. Der Fried, der jetzt unter des neuen Brot- Herrn Regiment drunten in der Werkstatt schaffte, kam am Feierabend herauf, stets aufs freundlichste empfangen. Nach Wochen tiefster Niedergeschlagenheit nahm der Meister seine historischen Studien wieder auf. Damit auch der Fried etwas davon profitierte, trug er ihm die hessische Geschichte aus dem Mittelalter vor. Nach solchen historischen Ausflügen kehrten des Meisters Gedanken immer wieder zu seiner Frau zurück. Der Fried begriff das wohl, denn er hatte reichlich Gelegenheit gehabt, sich an der reinen Menschlichkeit der Abgeschiedenen zu er- freuen. Als Lehrling hatte sie ihn oftmals in die Krachen- bürg geschickt, einer armen Familie das Essen zu bringen, die früher bessere Tage gesehen hatte und am Hungertuch nagte. Wie vielen sie im stillen wohlgetan, gewahrte man erst bei ihrer Beerdigung, wo die Stadtarmen, Manner   und Frauen, weinend ihr Grab umstanden. Sie hatt' das Herz auf'm rechten Fleck," sagte der Meister weich. Und er rollte vergangene Zeiten auf. da er, durch die grünen Gefilde der Jugend wandernd, der Geliebten Bekannt- schaft wachte. Das war in Wetzlar  . Dort besaß ihr früh verwitweter Vater ein Häuschen, das höchst malerisch aus der alten Stadt- mauer herauswuchs. Darin betrieb er eine Bierwirtschaft, der es an genügendem Zuspruch fehlte. Erst als seine hübsche Tochter aus Braunsfeld   heimkehrte, wo sie bei einer Tante erzogen worden war, kam mehr Leben in die Schenke. Die Ammergret reichte jedem freundlich dar, was er begehrte, der- bat sich aber die Zudringlichkeiten gegen ihre Person, die rüde Patrone in einem Lokal mit weiblicher Bedienung als ihr gutes Recht in Anspruch nahmen. Die abgeblitzt waren, mieden das Haus und hielten auch andere zurück, dort zu verkehren. Schließlich blieb nur noch ein Trio übrig, auf das der Wirt als Stamm rechnen durfte: ein Katasterbeamter, ein Buch- binder und Unverzagt, der Schneidergesell. Die drei waren ernsthaft in die Ammergrct verliebt, sie beschlossen jedoch, sich miteinander zu vertragen und ohne Murren zurückzu- treten, dafern einer von ihnen sich rühmen könne, das Herz der Schönen gewonnen zu haben. Kalfakter und Fuchsschwänzer redeten dem Vater der Ammergret vor, seine Tochter passe nicht in die Wirtschaft, da gehöre eine minder Zimperliche hinein; wolle er nicht den letzten Gast verlieren, solle er gleich nach einer adretten Person Umschau halten. Also beunruhigt und aufgestachelt, glaubte der Witmann von dreiundsechzig Jahren einen Geniestreich vollführen zu müssen. Er spannte dem Besitzer einer stark- besuchten Kneipe die fesche, beliebte Kellnerin ab und setzte sie nach Jahresfrist als Hausfrau ein. ), Anna Margarete. Wenn etwas imstande war, die Neigung Unverzagts, des Schneidergesellen, zur Ammergret zu befestigen, so war's ihr Benehmen gegen die nur um zwei Jahre ältere Stief- mutter. Höchst abgestoßen durch deren leichtfertige Art, ließ sie ihr Gefühl für das Schickliche doch keinen Augenblick der- gessen, daß es die Frau ihres Vaters war, der sie gegenüber- stand. An einem linden Frühlingsabend stieg der Schneider- gesell, wie er öfters tat, zur Burgruine hinauf, die das alt» beriihmte Städtchen überragt, und genoß den Blick auf das liebliche Tal, den Fluß und die waldreichen Höhen. Da er den wohlerhaltenen Bergfried umschritt, entdeckte er die Ammergret, in Gedanken verloren. Er rief sie beim Namen. Jetzt erst bemerkte sie ihn. Er ließ sich an ihrer Seite nieder, und ihm war, als wüchsen ihn: Flügel und er trüge die Ge- liebte weit fort zu der blauen Halde, auf der noch der Gold- glänz des Tages lag. Dort wohnte das Glück in demantenem Schoß und bot ihnen eine Freistatt an. Und er umschlang sie, und sie widerstrebte nicht. Beseligt fühlte er, daß ihr Schicksal nun in seinen-Händen lag. Sie offenbarte ihm, daß im Vaterhaus kein Bleiben mehr für sie sei, daß sie wieder zu ihrer Tante wolle, die Mutterstelle bei ihr ver- treten. Er bestärkte sie in ihrem Vorsatz und sagte, er hege die Absicht, seinem Meister zu kündigen und in seinem Heimat- städtchen ein eigenes Geschäft zu begründen. Sie folle sich noch ein Weilchen gedulden. Ueber ein Vieteljahr gedenke er nach Braunfels   zu kommen und sie als seine Eheliebste heinizu- führen. Und so geschah's. Auf der Hochzeit erschienen unter honetten Gästen auch der Katasterbeamte und der Buchbinder. Beide blieben unbeweibt. Als der Buchbinder in den besten Jahren einer ansteckenden Krankheit zum Opfer gefallen war, stellte sich bei Eröffnung seines Tcnamcnts heraus, daß er die Kinder der Amniergret zu Erben eingesetzt hatte. Also erging sich der Meister im Garten seiner Lebens- und Liebeserinncrungen. Der Fried aber faßte sich ein Herz und erzählte nun auch, was er daheim erlebt und erlitten hatte. Dabei holte er weit aus, bog vom Hauptweg in allerlei Scitensträßchen ab, ohne daß sein Gönner die Geduld verlor. Als er zu Ende gekommen war, sprach der Meister:Ich geb zu, Fried, sie haben Dich ordentlich in der Scher gehabt. Was ein richtiger Schneider is, der läßt sich so leicht net niederbügeln. Bei all Deinem Malheur freut mich, daß Du auf dem Dotzheimer  seine Mariann kein Stein werfen tust. Das verdient sie wirklich net. Das Mädchen hat Dich gern, nur kann sie net, wie sie will, und muß sich ducken. Ich kenn mich unter den Bauern aus, da heißt's: reich' bei reich und arm bei arm. Ehnder das auf'm Land anders wird, geht die Welt aus den Fugen. Jetzt will ich Dir mal was sagen, Fried. Aus Deiner Verzählnis merkt man's wohl: was Du hast austunken müssen, das sitzt noch in Dir fest. Und bringt keiner mit Gewalt eraus. Der beste Doktor is die Zeit. Du meinst. Du könntest net mehr lustig sein. Kotzblitz, was sind das für Flausen! Jung und lustig gehört beisammen. Du fängst ja erst zu leben an. Laß Dir den Wind um die Nas' gehn und guck Dich in der Welt um. Hernach wollen wir uns wieder sprechen." Es war nicht das erste Mal, daß der Meister den Gesellen ermunterte, auf die Wanderschaft zu gehen. Wenn der Fried von fremden Ländern und Menschen hörte, von volkreichen Städten, von himmelhohen Bergen, von gewaltigen Strömen und gar vom Meer, ergriff ihn ein heftiges Verlangen, all die Wunder zu schauen. Aber das waren nur Stimmungen, die verflogen. Bald befiel ihn wieder die alte Entschlußlosig- keit. Wie in der Lehrzeit ging er frühmorgens auf den Hamniersberg, von dessen Gipfel er bei klarem Wetter den Kirchturm seines Dörfchens sah, und es war ihm ein tröstlicher Gedanke, bloß ein paar Wegstunden von der entfernt zu sein, die er hoch und teuer hielt, ob sie ihm auch verloren war. Eines Abends klopfte der Fried zur gewohnten Stunde an des Meisters Tür. Kathrinlies, die Magd, öffnete ihm und sagte:Der Herr is emal fortgegangen. He muß gleich wieder da sein. Komm doch derweil erein." Der Fried folgte der Aufforderung. Während er wartete, leistete ihm die Kathrinlies Gesellschaft. Man konnte ihr acht- undzwanzig, auch dreißig Jahre geben. Sie war eine hübsch«