Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 38.

Freitag, den 23. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Der Kuppelhof.

Roman von Alfred Bod.

Der Dotzheimer las viel in seinem Andachtsbuch, zumeist die Gebete für Kranke. Er wus daß der Tod zu seinen Häupten stand, und er fürchtete ihn nicht. Lieber sterben, als so jammervoll daliegen und seinen Leuten zur Last fallen. Jeden Augenblick konnte der Sensenmann die inho schwin­gen. Wenn er's nur furz machte. Was danach fam, blieb Gott überlassen. In der gleichen Stube, ja in dem gleichen Bette hatte auch die Bäuerin ihre Tage beschlossen. Während ihrer Krankheit war die Teilnahme allgemein gewesen, und bis in den Abend hinein hatte die Stubentür nicht stillge­standen. Wer besuchte ihn? Der Säuhirtekarl, der alte Bidelmeier, manchmal der Bäckerphilipp. Sonst ließ sich niemand blicken. Sie hatten ihn schon ausgestrichen. Der Mat war der Herr auf dem Hofe. Nun, wer nicht fam, der blieb eben weg. Er grollte keinem deshalb. Er hatte mit allen in Frieden gelebt und wollte in Frieden mit allen sterben. Hatte er wirklich mit allen in Frieden gelebt? Streng genommen, nein. Da war der Karges- was Teufel ging ihn der schlechte Kerl an? Der zählte nicht mit. Stät, stät! Der Sarges war sozusagen doch auch ein Mensch. Und was für einer! Nicht wert, daß ihn die Sonne beschien. Ganz recht, aber doch ein Mensch, von Gott geschaffen mit Leib und Seele, mit allen Gliedern und allen Sinnen. Und stand ge­schrieben: Lieben Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehl übereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit fanft mütigem Geist." Und stand weiter geschrieben: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, so euch beleidigen." Gewiß, das alles hatte der Herrgott durch den Mund des Heilands den Menschen verkündigen lassen. Aber wer tat danach? Er fannte eifrige Stirchengänger, die jahrlang miteinander pro­zessierten und bis aufs Meffer kämpften. Im Dorf waren die Brüder Schweikard, die keinen Gottesdienst versäumten und sich als Todfeinde mit haßerfüllten Blicken maßen. Freilich, fich firchlich nennen und nicht nach den Geboten der Kirche handeln, das war Widersinn, mehr noch, das war Heuchelei. Ein bißchen traf ihn der Vorwurf auch. Das bewies sein Ver­halten gegen den Karges. Wenn auch. Der Herrgott befahl, Born und Galle gegen den Nächsten zu unterdrücken, seine Fehler und Argheiten mit Geduld zu ertragen und ihn zur Umfehr zu vermahnen. Hatte er so beim Karges getan? Mit nichten. Wie die neue Kirche eingeweiht worden war, hatte der Pfarrer Koch aus Grünberg die Predigt gehalten. Eine Stelle darin hatte gelautet, man solle in jedem Menschen das Gute suchen, denn im Grunde sei keiner so schlecht, daß nicht doch etwas Gutes in ihm stede. Das galt auch für den Karges. Sapperment, daß er jetzt erst zu der Erkenntnis fam. Ja, wenn man sich anschickte, vor dem Herrgott seinem Richter­stuhl zu erscheinen, schnappten einem die Augen auf. Droben im Himmel sollte es nicht heißen, daß er hartköpfig, gar un­christlich gewesen sei. Es kostete ihn ja eine große Ueberwin­dung, allein sein Entschluß stand fest: wenn der Karges.den Weg zu ihm nicht scheute, würde er ihm die Hand zur Versöh­nung bieten.

Er überlegte, wer wohl das Mittleramt übernehmen fönne. Am besten dünfte ihm die Mariann. Der gab er seine Absicht kund und schickte sie zu ihrem Schwiegervater. Sie brachte den Bescheid, der Karges sei in Wahlangelegenheiten verreist und kehre erst in einigen Tagen zurück.

Ich hab Sorg, dann is es zu spät," sagte der Doßheimer enttäuscht und fügte hinzu:" No, da hat he wenigstens meinen guten Willen gesehen und unser Herrgott auch."

" Sprecht doch net eso," wollte ihn die Mariann ermutigen. Ihr werd't wieder gesund."

Er schüttelte den Kopf.

Nee, nee. Wie's mich alleweil überfallen hat, läßt's mich net wieder los. Und is es dann so schlimm? Den Weg müssen wir all emal gehen."

Er sann eine Weile vor sich hin, darauf fragte er: Wo is der Maß?"

1906

Ich glaub, he is in die Stadt gemacht," erwiderte die Mariann. Morn is Walbersmarkt."*)

,, Sagt he Dir dann net, wann er fortmacht?" " Nee."

Krach auch! Das hätt ich net gedacht."

Ja, Vater, wenn he nir sagt, ich fann ihn doch net dezu zwingen."

Es war das erste Mal, daß der Doßheimer das Ber­hältnis seiner Tochter zu ihrem Mann berührte. Er hatte längst gemerkt, daß da nicht alles in Ordnung war, aber er hatte sich geflissentlich jeder Einmischung enthalten. Das rieb sich so lang, bis es zusammenwuchs, und die trübsten Morgen gaben die hellsten Tage. Und doch war ihm nicht wohl bei der Sache. Die Mariann war von Natur über­spannt. Damit mußte man immer rechnen. Nahm's der Maß einmal scharf mit ihr, war sie imstand, cinen dummen Streich zu begehen. Vor ihm als ihren Vater hatte sie Re­spekt. Bevor er die Reise ins Himmelreich antrat, wollte er seine Schuldigkeit tun und ihr verdeutschen", wie er über ihre Eheschaft dachte.

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Meiner Sicks," sagte er, ich sein keine drei Schritt weit aus'm Haus gangen, daß Deine Mutter net gewußt hát, wohin. Ich schätz, Du verstehst net mit Deinem Mann umzugehen, sonst wär he net so stökig."

Der ungerechte Vorwurf trieb ihr das Blut ins Gesicht. All die Zeit her hatte sie geschwiegen, nun bra's wie ein Strom aus ihr hervor, und sie erging sich in bitteren Klagen über den Mat. Hatte dieser es zuerst darauf abgesehen, ihr allen Einfluß auf die Wirtschaftsführung zu nehmen, so stumpfierte" er sie jetzt und tat, als sei sie dem Herr­gott sein Garnichts. Früher war sie ihres Vaters rechte Hand gewesen, jest tam sie sich ganz überflüssig vor. Wenn sie dem Hof den Rücken kehrte und dahin brachte sie der Maz- krähte kein Hahn nach ihr.

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Der Doßheimer war höchlich betroffen. Seinem Be­dünken nach waren es bloß laute Worte, Reibereien, die die jungen Eheleute entzweiten. Daß der Mariann von ihrem Mann eine so verächtliche Behandlung widerfuhr, hatte er sich nicht träumen lassen. Mochte sie in ihrer Empfindlichkeit auch manches übertreiben, es blieb doch noch genug, was sie nicht aus den Fingern fuggeln" fonnte. Seine Tochter in der Bedrängung zu sehen, war ihm bei Gott nicht einerlei. War's nicht schriftlich gemacht, daß sie die gleichen Rechte hatte wie der Mazz? Ja, das Papier war geduldig. Der Mag war einer von denen, die niemand neben sich aufkommen ließen, nicht einmal die eigene Frau. Daß er den Hof auf der Höhe hielt, daran war nicht zu rütteln. Da verdiente er alles Lob. Ihm wegen der Mariann ins Gewissen zu reden, war vergebene Mühe, denn er hatte ein hart Gemüt und gab nicht haardid" nach. Wenn er, der Dotzheimer , ins Feuer blies, flogen der Mariann die Funken in die Augen. Sich auf ihre Seite stellen, hieß ihr geradezu schaden. Sie mußte sich halt in ihren Mann schicken. Eh daß er weich­mütig wurde und sich verschnappte, wollte er ein Machtwort sprechen um des lieben Friedens willen.

Der Mat mag sein, wer er will," entgegnete er auf den leidenschaftlichen Erguß der Mariann, he is und bleibt der Mann, wie's in der Bibel steht: ihr Weiber sollt Euren Männern untertan sein. Dadenach richt Dich! Et mit dem Fortlaufen, was ist denn das für Gepläß? Ich sein ein sterbensfranker Mann und laß Dich als mein einzig Kind zurück. Das fag ich Dir: machst Du mir Zwerchheiten und bringst uns' Hof ins Gespreng, müßt ich Dich unter der Erd noch verwünschen!"

Die Mariann wehte es wie Eisluft an. Das also war ihres Vaters Herzensmeinung, das war sein Trost, sein Mitgefühl! Und droben im Himmel der Herrgott befahl: Du sollst Deinen Vater als meinen Stellvertreter ansehen, sollst ihn hoch und teuer achten, sollst es mit Wort und Tat be weisen. Jefus, daß ihr der Kopf nicht zersprang!

" Ihr könnt ganz ruhig sein," sagte sie tonlos, ich mach feine Zwerchheiten und bring den Hof net ins Gespreng."

Sie ging hinaus. Als sie nach einem Viertelstündchen mit der Abendsuppe für den Vater wieder hereinkam, war der

*) Walpurgismarkt.