Kranke eingeschlafen. Sie setzte den Teller auf den Ofen und trat ans Fenster. Auf der Gasse herrschte reges Leben, denn es war Wal- purgisabend. Kleine Mädchen, mit bunten Papiermützen und Papierstreifen aufgeputzt, liefen vorbei,Walpermänn- chen" sprangen hinterher. Die Burschen schmückten die Brunnen mit Birkenreisern. Bedächtige Männer malten mit Kreide drei Kreuze an die Türen der Wohnhäuser und Ställe, damit die Hexen bei ihrer Rückkebr vom Blocksberg Menschen und Vieh nicht schaden konnten. Der alte Bickelmeier, dessen Haus an einem Kreuzweg stand, steckte drei Holunderschöst- linge mif den Mist. Die Weiber brachten die Besen in Sicher- heit und erzählten sich Hcrengeschichten. Alle verspürten er­schauernd das geheimnisvolle Weben der Walpurgisnacht. Just schlug's zehn, als der Dotzheimer   aus unruhigem Schlaf erwachte und über Beengtheit klagte. Dazu gesellte fich ein Reißen in der Brust. Das wurde so schlimm, daß er aus deni Bett sprang und nicht zu bewegen war, fich wieder niederzulegen. Die Mariann machte ihm auf dem Sessel ein Lager zurecht. Torthin schleppte er sich. Sein Gesicht war mit kaltem Schweiß bedeckt, seine Schläfen waren eingefallen. Auf'm Bett liegt das Andachtsbuch," sagte er kurz- atniig mit ersichtlicher Anstrengung.Wo's Zeichen is, les'." Die Mariann nahm das Buch, setzte sich zu ihm und las. Während sie las, hatte der Dotzheimer ein paar mal ge- seufzt. Nun schaute sie auf. Sein Unterkiefer war herab- gesunken, seine Augen starrten sie glanzlos an. Sie sprang auf. Vater, was is Euch?" Er antwortete nicht. Da beugte sie sich über ihn und sah, er war tot. 18. Während der Zacharias Allendörfer nach dein Ehrenamt des Volksvertreters trachtete und in den Wählerversamm- lungen des Bezirks vom Wanderredner des Bauernvereins als ein Mann von altem Schrot und Korn, von deutscher Biederkeit und streng rechtlichem Lebenswandel gepriesen wurde, saß sein Sohn der Matz, als Landwirt fest im Sattel. Seine Bodenbearbeitung war mustergültig, sein Viehbestand war weitaus der größte im Dorf. Er beschränkte sich nicht auf die Zucht, er kaufte auch frischmelkende Tiere, um sie reichlich gefüttert wieder zu veräußern. Die Viehhaltung bildete seine wichtigste Einnahmequelle. Es war ein Triumph für ihn, als der Bürgermeister, der für einen großen Neid- hart galt, ihn imPflug" vor allen Leuten herausstrich und sagte:Wann einer sein Werk im Zug hat, is es dem Dotz- heimer sein Aere*). Der ruht net und hat eine gewichste Nas'. Hut ab vor dem Allendörfermatzl" Das Verhältnis zu seiner Frau gestaltete sich von Tag zu Tag schlechter. Ihre empfindsame Art war ihm ein Greuel, vor allem wurmte ihn, daß seine Hoffnung auf Nachkonimenschaft sich immer noch nicht erfüllte. Er sah seinen Besitz sich mehren, aber er wollte auch wissen, für wen er fich plagte. Solange sein Schwiegervater lebte, hatte er sich in seinem Benehmen gegen die Mariann immerhin noch einen Zwang auferlegt, nun der Alte gestorben war, ließ er seiner rüden Natur freien Lauf, und seine Roheit kannte keine Grenzen. Zu Boden gedrückt und zur Untätigkeit gezwungen, saß die Mariann, die letzte der Dotzheimer  , auf ihres Vaters Gut, und ihr jammervolles Leben führte immer tiefer hinab. Johanni war's, daß sie vom Totenacker kommend bei sinkendem Tag dem Dorf zuschritt. In der Trauerkleidung, die sie trug, machte fich die Blässe ihres Gesichtes doppelt bemerkbar. Am Rödelerhang saßen zwei Mädchen. Die sangen: Ach, wie bin ich so Verlaffen Auf der Welt von jedermann Gehe einsam durch die Gassen, Niemand nimmt sich meiner an. Vater, Mutter sind geschieden, Durch den Tod von mir getrennt, Sic genießen Himmelsfrieden, Ich leb traurig in der Welt. Ach, wie dunkel find die Mauern, Und wie sind die Ketten schwer, Gott, wie lange wird es dauern, Hier ist keine Rettung mehr." Die schwermütige Weise war ihr wohlbekannt. Leite sang sie den letzten Vers mit:
*) Schwiegersohn.
Wenn ich auf dem Kirchhof liege In dem stillen Kämmerlein, Pflanzet mir auf meinem Grabe Rosen und Vergißnichtmein." Tagüber hatte sich die Sonne verborgen gehalten, jetzt am Abend trat sie in vollem Glanz hervor, um gleich darauf hinter den Basaltblöcken des Geiselsteins zu verschwinden. Den Himmel aber überflammte eine rote Glut, die ihren Schein auf die Landschaft warf. Man meint,'s tat wo brennen," sagte der Säuhirtekarl, der vor seiner Behausung stand, als die Mariann vor- überging. In der Lohmühlsgaste kam ihr der alte Bickelmeier entgegen. Ich such Dich wie eine Stecknadel," rief er. Ja, was is?" fragte sie erwartungsvoll. Er dämpfte seine Stimme. Der Fried is dal" Der Fried!" schrie sie auf.Ei Du allmächtiger Gott!" Ja. Ich hab's ihm gesagt, daß Du ihn noch emal sprechen wolltst. Das freut ihn sehr. He hat erst gedenkt, er könnt Dich so zufällig in meinem Häusi treffen. Nee, Hab ich gesagt. Meine Frau tut an den Zufall net glauben. Und kann nix bei sich behalten. Dernach is der Spitakel fertig. Das hat he auch eingesehen und hat gesagt, er wär für alle Fäll heut abend am Lindgesborn. Im Dorf dürft Ihr Euch net sehn lassen. Du weißt, wie's is mit dem Ge- trätsch. Etz mach's, wie Du willst." Also sprach er und entfernte sich so rasch, als es seine gichtischen Beine erlaubten. Seit Monaten hatte sie auf den Moment gepaßt, daß der Alte erscheinen und ihr zuraunen würde:Der Fried is da!" Nun war er wirklich gekommen. Ihr ganzes Herz flog ihm entgegen. Und doch, der Gedanke an den Gang zum Lindgesborn beunruhigte sie. Wenn der Matz erfuhr, daß sie ihrem alten Schatz ein Stelldichein gab, halbtot schlug er sie. Zu langem Zaudern war keine Zeit. Was tun? Ja, konnte sie denn auch nur einen Augenblick im Zweifel sein? Der Fried war da, der Fried! Mochte komnien, was da wollte, für den Fried war ihr kein Opfer zu groß. Sie eilte heim. Der Knecht war eben dabei dem Vieh die Tränke zu geben. Der Bauer, berichtete er, sei mit dem Bäckerphilipp nach Ulrichstein   gefahren und kehre erst am andern Tage zurück. Sie atmete auf. In ihrer Kammer zog sie sich ein besserenMutzen" an und band sich ein feines Tuch um den Kopf. Für den Fried mußte sie sich doch ein bißchen putzen. Glock neun war sie auf dem Haibacher Weg. Von da bis zum Lindgesborn war's nur einen Büchsenschuß weit. In der großen Stille, die sie umgab, hörte sie nur das laute Pochen ihres Herzens. Jetzt noch ein paar Schritte. Auf der Steinbank saß wer. Fried. Fried!" Er sprang auf. Eben noch hatte er sich in seiner Phan- tafie die Freude des Wiedersehens ausgemalt. Umhalsen wollte er die Heißgeliebte, ihr Gesicht mit seinen Kiissen be- decken. Nun, da sie in ihrem schwarzen Gewand bleich und verhärmt vor ihm stand, trat ihm das Wasser in die Augen. Und er ergriff ihre Hand und stammelte:Das is aber recht, daß Du kommen bist." Das muht ich doch, Fried," sagte sie in atemloser Er- regung. Du hast viel durchgemacht?" fragte er voll Mitgefühl. Sie senkte den Kopf. Das weiß Gott  !" In so einem Jahr kann viel passieren. Ja, Fried, mehr als eins tragen kann." Er zog sie neben sich auf die Bank. Denk emal an, den Tag, wo Dein Vater selig gestorben is, sein ich in einer schrecklichen Unruh gewest. Und wüßt von nix." Das is sonderbar." Was hat ihm dann eigentlich gefehlt?" He hat's erst auf'm Magen gehabt. Das hat sich der- nach aufs Herz geschlagen. Acht Tag vor seinem Tod krag er Nasenbluten. Und fiel ein Tropfen auf seine Hand. Da wüßt ich's: nu geht's zu End." Hat he dann noch viel gelitten?" Ja, he hat viel aushalten müssen, aber deletzt is er ruhig eingeschlafen." 's scheint, Du hast Dir bei dere Wartung zu viel zu- qemut.'