Kleidung der protestantischen Schwestern, das, ihm halb denRücken zukehrend, an einem Tische saß.Sie glättete mit den Händen dornige Zweige, um siekronenartig zusammen zu winden. Brombeerranken lagenhoch gehäuft neben ihr auf dem Boden. Manchmal bückte siesich, um eine aufzuheben, und dann kam zwischen ihrem Tüll-Häubchen und dem Leinwandkragen der zarte Nacken einerBlondine zum Vorschein. Die Sonnenstrahlen, die sich durchdas Blattwerk drängten, umgaben sie wie ein Heiligenbildmit einem goldigen Nimbus und streiften auf ihre schlankenFinger geistliche Brautringe.Elias richtete sich in seinen Kissen auf. Mit verklärtenAugen und wie beim Gebet ausgebreiteten Armen betrachteteer diese so zarte, friedliche, blonde Erscheinung, die mit heitererSeelenruhe Tornenkronen wand.Träumte er?Welch köstlicher Traum!Endlich also war er von dem beklemmenden Alpdrückenerlöst, wo krumme Nasen, zusammengekrallte Finger undwulstige Lippen im Hexensabbat um sein Herz getanzt hatten.Endlich also hatte er aufgehört zu irren, immer umher-zuirren zwischen schwarzen Sackgassen, unter düsteren Gewölben, in feuchten Krypten, um bei einem leeren Grabmalanzulangen. Nicht mehr sollte er phantastische Stimmenhören, die da heulten:„Ich bin es, der allein Christi Kreuz besitzt!"„Ja, doch ist es falsch; ich habe zwar nur das Kreuz desSchachers, aber es ist echt!"„Ihr besudelt unser Heiligtum, Ihr Schismatiker!"„Scheret Euch fort, Ihr Lateiner; jetzt ist die Stunde fürunsere Messe gekommen."Ach, gewiß! Dieses ganze Schreckgespenst war mit seinemFieberdelirium verschwunden. Keine Leere mehr! KeineFinsternis! Kein Stroit! Hier war Ruhe, Helle, Leben! Wobefand er sich? In einer Kapelle oder in einem Hospital?War's eine Heilige oder eine Krankenwärterin, diese blaueSilhouette, deren dicke, goldene Flechten er durch denMousselinstoff des Häubchens schimmern sah?Doch das kümmerte ihn wenig, seit er jetzt die Gewißheithatte, am Ende seines Leidensweges, am Ziele seiner Kummer-pilgerschaft angelangt zu sein. Dies hier war ein Zufluchts-ort, dies hier Schutz und Obdach. Und er fühlte sich ganzüberschwemmt von sonnigen Lichtfluten, ganz durchtränkt vonZärtlichkeit. In die Kissen zurücksinkend, weinte er— vorGlück.Die Diakonissin eilte herbei.„Gott sei Dank! Gott sei Dank! Er ist gerettet!" sagtesie in französischer Sprache.Und diese Stimme klang Elias so lieblich, daß er ihreTöne am liebsten geküßt hätte.Er erholte sich rasch. Aber er blieb blaß und schwach, mitdem Verband um die Stirn und dem unsichtbaren Druck, derauf seiner Seele lastete.Doch diese Mattigkeit behagte ihm gerade, und er be-dauerte beinahe seine Genesung. Sein schmales weißbezogenesBett, dieses luftige Kämmerchen mit den kalkgetünchtenWänden, deren ganzer Schmuck aus einem schwarzen Kreuzüber seinem Bette und einem Bibelspruch über der Tür be-stand, riefen ihm seine Kinderjahre, die er mit seinemMütterchen in der stillen, kleinen Stadt verlebt hatte, in's Ge-dächtnis zurück.Und wenn die Schwester abends zurückkehrte, um seineUmschläge zu erneuern, ihm einen kühlenden Trank einzu-flößen oder sein Bett zurechtzulegen, ehe sie ihm ein„Gottbehüte Sie" zurief, empfand er ein tolles Gelüst, sie an sichzu drücken, semen Kopf an ihre Schultern zu pressen, wie erals ganz kleines Kind bei seiner Mutter getan, und sie zubitten:„Ach bleiben, bleiben Sie bei mir und vor allem heilenSie mich nicht so schnell! Sie sehen ja, daß ich nur oinKranker bin, dem das Leben so sehr viel Leid zugefügt hat,nur ein Kind, Ihr Kind, das keinen Willen, keinen Stolz,keinen Glauben hat, nichts außer Ihnen. Tun Sie mit mir,was Sie wollen, aber schicken Sie mich nicht fort, stoßen Sicmich nicht wieder allein hinaus ins Leben!"Und am Tage, da ihm der Doktor sagte:„Morgen könnenSie aufstehen", fühlte Elias eine so schmerzliche Erschütterung,als ob man ihm erklärt hätte:„Morgen wird man dich indeinen Sarg betten."(Fortsetzung folgt.)](Nachdruck verboten.)Wegen prekvergeben.�Ein Gesängnisbild.Von Karl Böttcher.(In Zelle Nr. 190 in einem norddeutschen KreiZgesängniS dieGefangenen Schräder, Naumann und Dr. Walldorf,Chefredakteur einer großen Zeitung.(Ein vierter Zelleniusasse hatsoeben einen Fluchtversuch gemacht.) Schlüsielrasieln hinter derZellentür. Die Tür springt auf.)Gefangenwärter(eintretend, grob):„Ihr denkt wohl.der Lumpenkerl von Ausreißer kommt durch?... Nee—is nich!"Ich"™ de"}(ftefien rasch auf. nehmen militärische Haltung).Gefangen Wärter(winkt ihnen ab).(Beide setzen sich und arbeiten an ihrem Arbeitstisch währenddes ganzen folgenden Auftritts, Schräder mit dem Anstreichen vonHolz? oldaten, Naumann mit der Fertigstellung eines Totenkranzesbeschäftigt.)Dr. Walldorf(bleibt fitzen, betrachtet eine Photographie).Gefangen Wärter(zu Dr. Walldorf, ironisch):„Na, Sie—Sie können wohl nicht aufftehen, wenn ich komme?"Dr. Walldorf(erhebt sich nachlässig; mit einer über-trieben höflichen Verbeugung, lächelnd):„Pardon!"(Bleibt nach»lässig stehen.)Gefangenwärter(auf die Photographie deutend):„Washaben Sie denn da wieder?"Dr. Walldorf(nachlässig):„Eine Photographie."Gefangenwärter(etwas erregt):„Ich Hab' schon frühermal gesagt, daß so'n Bilderaufbau in der Zelle nich geduldet wird—(tritt näher, steht die Photographie genauer; barsch) am allerwenigstenBilder von Frauenzimmern!"Dr. Walldorf(ruhig, überlegen):„Erlauben Sie, das istmeine Braut!"Gefangenwärter(nimmt die Photographie vom Tisch,guckt sie an):„Das Weibsen— Ihre Braut?... Mit so verdächtigen Locken?... Un so'n bloßen Hals?... Un solchen Schmacht-äugen? Ihre Braut?... Das machen Sie'n andern weis?"Dr. Walldorf(etwas erregt, sehr bestimmt):„Ich muß Sieersuchen, von meiner Braut mit mehr Respekt zu sprechen.(Reißtihm die Photographie aus der Hand, stellt sie wieder auf den Tisch.)Her damit!"Gefangenwärter(verächtlich):„Braut oder nich Braut— meinethalben Ihre Schwiegermutter... Is mir doch ganzegal. Aber aufbauen dürfen Sie sie nich! Davon steht nischt inder Gefängnisordnung. Und bloß auf die Gefängnisordnungkommt's an. Da heißt's: vorschriftsmäßig parieren... Also wegdamit I"Dr. Walldorf(etwas verblüfft):„Ich denke aber doch—"Gefangenwärter(grob):„Nischt haben Sie hier zudenken."Dr. Walldorf:„Ich meine nur"—Gefangenwärter(einfallend):„—im auch nischt zumeinen haben Sie... Aber Sie werden sich doch keine Unan-nehmlichkeiten zuziehen wollen. Ich gebe Ihnen bloß den gutenRat, meinem Befehl zu gehorchen."Dr. Walldorf(ironisch):„Den Gefallen kann ich Ihnen jatun I"(Nimmt die Photographie, steckt sie in die Brusttasche.j_Gefangenwärter(ärgerlich):„Uebrigens, Sie— Sie...Sie sollten gar nich aufmucken... Heute war'n Sie dran, dieZelle zu scheuern— un wie hat das Ding ausgesehen!... Hunds-miserabel! Skandalös I's war'ne Affenschande!"Dr. Walldorf(verwundert):„Sollte ich denn die Zellescheuern?"Gefangen Wärter(ironisch):„Wer denn sonst, wenn Siedran fin?... Ich doch nich?... Diesmal Hab' ich die Zelle vonIhren Kollegen austäumen lassen... das nächstemal kommen Sieaber nich drumrum; da können Sie sich drauf verlassen— un wennSie sich aus den Kopf stellen."Dr. Walldorf(sehr ruhig und überlegen):„Ich möchte Siedarauf ausmerlsnni machen, daß Sie in einem ganz eigentümlichenTon mir mir sprechen.(Stolz, mit Nachdruck): Sie haben keinenVerbrecher vor sich!"Gefangenwärter:„Da hört aber alles auf... einfachzum Lachen! Sie tun immer, als ob Sie mit Ihrem„Preßver-gehen" gar nicht'reingehoren in die Zelle!"Dr. Walldorf: Sehr richtig. Ich gehöre auch nicht in dieGefängniszelle."Gesänge nivärter:„Aver Sie sin dazu vom Gerichtverurteilt.(Mit Nachdruck): Rechtskräftig verurteilt!"Dr. Walldorf:„Mein sogenanntes—„Vergehen" verdientnicht die Gefängniszelle. Ich habe in meiner Zeitung nur eineIdee zum Ausdruck gebracht— eine Idee, die ich mit meinemNamen vertrete... und auch jetzt noch und stets jvertreten werde.Die Gefängnisstrafe wird daran kein Tüpfelchen ändern. Ob nuneiner etwas schreibt oder ein Verbrechen begeht— das ist doch einUnterschied I"*) Szene aus einem Einakter gleichen Titels.