Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 43.
Freitag, den 2. März
( Nachdruck verboten.)
1906
jedoch seine Schalmei gelassen. Zeitweise spielte er darauf. Ach, war das süß, süß und klagend. Es war, als ob alle
Die Eroberung von Jerufalem. eideplätze von Ephrata auf dem Hoſpitalhoſe ſängen, als ob
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Roman von Myriam Harry . Autorisierte Ueberseßung aus dem Französischen von Alfred enter
Elias wickelte sich in seine Bettücher, wies Speise und Trank fort, um nur ja nicht zu Kräften zu kommen, und sah so unglücklich aus, daß die Diakonissin, die sich den Grund seines Summers gar nicht erklären konnte, mehrmals mit dem Blick nach dem an der Wand aufgehängten, auf Stramin gestickten Vers hinwies:
,, Befiehl dem Herrn deine Sorgen
Und hoffe auf Ihn!"
Seine Verzweiflung milderte sich allerdings am nächsten Tage, als die Oberin ihm gestattete, auf der Veranda, der Schwester Cäcilie gegenüber, am Tische Platz zu nehmen. Diese wand immerfort Dornenzweige, und er fabrizierte nun Kreuze aus Olivenftäben dazu. Wenn sie eine Krone vollendet hatte, reichte sie ihm dieselbe hinüber und er nagelte sie an sein Kreuz und lehnte sie dann in Reih' und Glied neben die anderen gegen die Balustrade. Später sollten sie nach Europa versandt werden, zum Verkauf in Wohltätigkeitsbazaren zum Besten des Diakonissenhauses von Zion.
Da er mit seiner Arbeit oft früher fertig wurde als sie, pflückte er dann wohl eine Passionsblume von der Laube ab und betrachtete neugierig diese Blüte, die inmitten ihres Perlmuttersternes die Attribute der Passion trug: die Nägel, den Schwamm, den Hammer und die Krone, und die der Sage nach am Ostermorgen auf der Schwelle des Grabes erblüht sein sollte. Er sann:
„ Es ist doch merkwürdig, wie hier alles, alles sich auf Ihn bezieht, alles von Ihm beeinflußt wird, alles sich Ihm anpaßt: die Steine, Tiere, Pflanzen, Menschen; und dabei soll man nu denken, daß Er vielleicht niemals gelebt hat." Aber Schwester Cäcilie rief ihn bald wieder durch ein Lächeln zur Arbeit zurück.
Dann sagte er sich, während er seine Stäbe wieder zur Hand nahm:
,, Und Er hat doch gelebt, sei es auch nur hier und in diesem Lächeln!"
Manchmal plauderten sie.
Dabei beichtete er ihr seine Hoffnungen, bitteren Erfahrungen, Entmutigungen. Sie schien ihn zwar nicht völlig zu begreifen, aber sie bedauerte ihn, und dieses Mitleid genügte ihm. Uebrigens dachte er selbst, während er so redete: Wie nichtig ist das alles und wie fern." Er blidte um sich. Auf der Galerie, die den inneren Hof durchzog, ruhten noch andere, in weiße Flanellanzüge gekleidete Kranke, und andere Diakonissinnen in blauer Kleidung flebten gepreßte Blumen in Albums oder stickten Bibelsprüche auf Sophakissen.
In der Luft schwebte ein süßer Duft. Durch die dicken Hospitalmauern drang kein Geräusch von außen herein. Man kam sich von der ganzen übrigen Welt getrennt vor, getrennt vom lärmenden Jerusalem , im Schuße eines mystischen Verstecks, wo alles nur Frieden, Wohlsein, Andacht atmete.
Elias dachte bei sich: Vielleicht kann ich nach meiner vollständigen Genesung als Krankenwärter hier bleiben."
Manchmal erzählte Schwester Cäcilie ihm von ihrer Familie. Sie war die älteste Tochter eines elsässischen Pastors, dem zwei Frauen neun Kinder geschenkt hatten. Im Alter von achtzehn Jahren war sie barmherzige Schwester geworden, und alle ihre Ersparnisse sandte sie für die jüngeren Geschwister nach Hause.
Manchmal auch saßen sie schweigend nebeneinander. Man hörte dann, wie die Eidechsen über das Laubendach huschten, und wie die Knospen der Passionsblumen mit dem weichen Laut eines Russes aufbrachen. Wie Schneeflocken sahen die Schwesterhäubchen auf der Veranda aus. Von Zeit zu Zeit löste sich eine Liane vom Gitter und glitt, nachdem sie Schwester Cäcilies Wange gestreift hatte, liebkosend über Elias Stirn.
Dann durchschauerte es ihn.
Unten im Schlafraum für die Eingeborenen lag ein Hirte aus Bethlehem . Man hatte ihm ein Bein amputiert, ihm
all ihre grünen Säfte und all ihre schwermütigen Düfte auf diesen Melodien schwebten. Ein wundersames Heimweh schlich sich dann in die Laube. Elias feß sein Kreuz sinken, blickte Schwester Cäcilie an und träumte... Und sie errötete und zerstack; sich die Finger an den Dornen ihrer Krone. Eines Tages fragte er sie:
"
Sind Sie ganz glücklich?"
" Ja," antwortete sie ausweichend, denn ich liebe die Armen und Kranken."
,, Auch ich habe sie geliebt, aber mir hat es das Glück nicht gebracht!"
Weil Sie dieselben nicht in Jesu Christo geliebt haben!" „ Christus!... Ich habe ihn gesucht, doch nirgends gefunden. Weder in Jerusalem ist er, noch anderswo."
„ Er ist überall; aber vielleicht haben Sie nicht recht verstanden, ihn zu suchen."
„ Schwester Cäcilie, wollen Sie mir helfen, ihn zu suchen? Wollen Sie, daß wir ihn gemeinsam suchen?"
Er hatte sich vor der vor ihm Sizenden auf die Knie geworfen.
,, Schwester, liebe, teure Schwester, wollen Sie, daß wir ihn gemeinsam suchen? Sagen Sie mir, wollen Sie?" Sie war blaß geworden, sehr blaß, und ihre Hände zitterten in seinen, die sie umklammerten.
Sie blickten einander an, prüfend, bis auf den Grund ihrer Seele. Dann verschleierten sich die klaren blauen Augen Cäcilies; sie senkte die Lider und fing sanft zu meinen an, ohne zu wissen, ob sie weinte, weil sie Jesum verließ oder der Liebe entgegenging.
Einige Wochen später wurde Elias Jamain mit Schwester Cäcilie in der kleinen Kapelle der Diakonissinnen getraut, die des Platzmangels wegen zu gleicher Zeit als Apotheke diente. Drogengerüche ersetzten den Weihrauchduft, als vor dem mit einer schwarzen Decke überhängten Tische Pastor Fischer im schwarzen Talar ihre Hände vereinigte und dazu die Worte sprach: „ Der Herr segne Euch und behüte Euch;
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über Euch und sei Euch gnädig;
Der Herr hebe sein Angesicht über Euch
und gebe Euch Frieden."
Die Neuvermählte hatte ihr blaues Diakonissengewand anbehalten. Auf ihren blonden Haaren trug sie eine Krone aus Passionsblumen. Schwestern, Kranke und Arme waren ihre Hochzeitsgäste.
5.
Ihre Hochzeitsreise machten sie nach Galiläa und ließen sich bei der Abmessung der Länge ihrer kleinen Etappen nur vom Wetter und ihrer Laune leiten.
Bei Tagesanbruch weckte sie Lerchengesang; ihr Frühstüd war nach Thymian duftende Ziegenmilch, die ihnen ein kleiner, noch vom perlenden Morgentau schimmernder Hirtenfnabe in einem Lederbecher brachte.
Hinter ihnen brach man die Zeltstangen ab, zog die Pflöcke aus, rollte den Bezug zusammen, und dann brachen beim Klang der Schellen die Maultiertreiber auf, die sie erst wieder kurz vor dem nächsten Halteplaze überholten.
Sie blieben dann allein mit ihren Pferden, die auf die Gerstengarben schnoben, um den Staub fortzublasen.
Gern hielt Elias sich noch eine Weile auf dem verlassenen Lagerplate auf. Wehmütig betrachtete er die beiden verräucherten Steine des primitiven Herdes und den abgerupften Rasenkreis, der die Stelle bezeichnete, worauf das abgebrochene Belt gestanden, die Stelle, wo er geliebt hatte, wo morgen wieder neues Gras sprossen, wo ihre Spur auf ewig ausgelöscht sein würde.
Dann hob er Cäcilie in feinen Armen empor, drückte sie einen Augenblick an seine Brust und setzte sie dann in den Sattel, der breit und tief war wie ein Thron. Nun erst kam der kleine Führer, um sie zu holen und befestigte die Halfter der alten, einäugigen Stute am Schwanzriemen seines Esels. Elias folgte auf einem reinblütigen Hengst son Yemen .