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Die Hufe der Tiere glitten auf den feuchten Steinen aus, Schlangen zischten unter den Disteln, die Nebel verzogen fich.
Im Often tauchten Bogen rosigen Lichtes am Himmel auf. Rosige Fluten wälzten sich darüber hinweg. Wie Kronen aus Rubin funkelten die Gipfel in Juda; über Moab wogte es wie ein purpurner Gazeschleier und die näher gelegenen Hügel von Ephraim schienen ebenso viele blühende Pfirsichbäume zu sein. Je höher aber die Sonne stieg, desto mehr nahm Palästina wieder sein ödes, kahles Aussehen an. Graue Steine, fahles Strauchwerk, gleißende Regungslosigkeit und Stille.
Elias liebte diese öde Traurigkeit, die sein Glück um so auffälliger hervorhob; in dieser absoluten Einsamkeit konnte er besser dem Gesange seines Herzens lauschen.
Meistens schwiegen sie, ihre Pferde gingen im Schritt, und so dicht nebeneinander, daß ihre beiden Schatten auf dem Wege in einen verschmolzen.
Wurde die Hige zu stark, so spannte er einen großen Archäologen- Sonnenschirm auf, faßte seine Frau um die Taille und füßte, während er sie auf einer Seite vor der Sonne schützte, auf der anderen ihren schneeigen Nacken.
Vor ihnen ritt der kleine Führer, der sich niemals umblickte, und blies seine schwermütige, einschläfernde Melodie, während die schwarzen Troddeln seines Sattel- und Baum zeuges lustig zwischen den grauen Beinen des Esels im weißen Wegeftaube hüpften.
Oft berengerte der Pfad sich zwischen den Felsenmauern und Dornenhecken. Dann blieb Elias etwas zurück, um Cäcilie passieren zu lassen. Ihr Reisemantel aus ungebleichter Bastseide paßte ausgezeichnet zu der Farbe des Gesteins, ihr wehender, blauer Schleier zu der des Himmels. Und wenn er sie so blond, so blau durch die unendliche Dede des Verheißenen Landes" vor sich dahinziehen jah, fühlte er, daß in ihr sich alles vereinigte, was er in dieser Welt wünschte und in der anderen erhoffte.
Gewöhnlich machten sie in irgend einem weltverlorenen Weiler Halt, oder an einem biblischen Orte, fast immer im Schatten eines Delbaumes oder am Rande eines Ziehbrunnens.
Der Ejeltreiber zog dann unter seinem Backsattel eine Matte, und aus der Tiefe seines Mantelsaces falte Speisen hervor. Manchmal famen Hirten herbei, um an der Mahlzeit teilzunehmen. Zum Tausche dafür gaben sie Salz und spielten ein Liedchen auf ihrer Flöte. In ihren Mänteln aus Tierfellen und den wie Ziegenohren herabhängenden Kopftüchern ähnelten sie den Tieren ihrer Herden, deren scheuer, unruhiger Blick und scharfer Geruch ihnen ebenfalls eigen war. Auch Kinder von wildem und schönem Aussehen wagten fich schüchtern heran; sie brachten Sträuße aus Asphodelen und Cyclamen, die sie den Reisenden von weitem zuwarfen, and stoben dann schrill zwitschernd wie aufgescheuchte Schwälbchen, so schnell sie laufen konnten, davon.
Vom Brunnen her erschallte in regelmäßigen Zwischenräumen der dumpfe Laut der Waschbläuel; kurz und jäh, wie auf Pfeilen abgeschnellt und im Sonnenglast vibrierend, riefen flare, metallische Stimmen sich von Hügel zu Hügel an. Allmählich aber verstummte, von der großen Schlaftrunkenheit des All befallen, jedes Geräusch. Die Sonne verzehrte den ganzen Raum. Alles flammte. Steine, Sträucher, Menschen, Tiere, ja sogar der Schatten leuchtete im Wiederscheine auf. Von der Sonne verzehrt, erstarb die Erde unter einem goldenen Leichentuche.
Frau Jamain schlief an der Schulter ihres Gatten ein, und er wiegte sich in Träumen, in denen, wie jezt um sie herum, alles in Licht getaucht war und in tiefem Schweigen bor Freude strahlte.
Nahte der Abend, so setzten sie sich wieder in Marich. Und an allen Quellen erneuerten sich patriarchalische Szenen. Evangelische Legenden berkörperten sich und wurden in ihrem Rahmen lebendig.
Elias fühlte jezt den biblischen Geist in sich. An diesen Orten ward ihm der verborgene Sinn der Gleichnisse klar, und er wurde wieder gläubig.
Oft zogen Karawanen vorbei. Von ferne zeichneten sich gegen den blassen Himmel die Kameelshöder wie eine Sette dunkler Kuppen ab; beim Näherkommen glitten sie schweigiam wie stille Barken vorüber, nur hinter den Schleiern hervor
riefen jonore Stimmen ihr:
,, Salaam aleikum!" Worauf Elias antwortete: Friede sci mit Euch!"
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Dann meinte er, sich zu seiner Frau wendend:
,, Ach, Cäcilie, gibt es wohl einen schöneren Gruß, als den ihren? Diese Leute allein verstehen das Leben, da sie sich den Frieden wünschen. Den Frieden, Cäcilie, den Du mir gegeben hast!"
Die Pferde wiehern und sehen sich in Galopp. Sie wittern das Lager, die Tränke und das Futter.
Die vorausgeeilten Maultiertreiber haben bereits die Zelte aufgeschlagen. Eine Rauchsäule steigt zwischen zwei Steinblöcken ferzengerade empor, wie ein Brandopferrauch. Und rund herum hocken im Halbkreise Gestalten, wie zur Zeit der Propheten, in hellen und dunklen Gewändern und ergötzen sich am Dufte des Fleischtopfes.
( Fortsetzung folgt.)
( Nachdruck verboten.)
Vom alten Roßmäßler.
Zum 100. Geburtstag am 3. März.
Ich mußte! Schlicht. und doch stark stehen diese zwei Wörtlein auf dem Lebensbuche dieses Mannes, der, einer Leipziger Kupferund mit Wort und Zeichenstift emsig beschreibend begann und stecherfamilie entsproßen, als ein akademischer Naturfoscher sammelnd schließlich als ein höchst ernsthafter Volkslehrer sein Leben beschloß. Weithin wurde dieser Volkslehrer gehört, und wir Eozialdemokraten haben durchaus begründeten Anlaß, eine Gelegenheit, wie sie ein hundertster Geburtstag bietet, zu benutzen, um die Erinnerung an das Wollen Emil Adolf Roßmäßlers auszufrischen. Denn er ist einer von denen gewesen, die nach der Niederlage der deutschen Revolution nicht feige und untätig beifeitefrochen; nein, er suchte nun aus einem uns widerstehlichen Muß der innersten Ueberzeugung die engste Verbindung mit der Arbeiterschaft, um ihr den Weg zur Freiheit durch Förderung der geistigen Bildung ebnen zu helfen. Und als die Vortruppen der modernen Arbeiterbewegung fich rührten, um aus dem Stillstandslager des bürgerlichen Forischrittes nach links abzurücken, sah er bes forgt auf jeden Schritt, und schließlich grüßte er die Fahne der neuen Demokratie, als er nämlich sah, daß sie die Frage der Volkserziehung, die ihm in der Mitte der ganzen Kulturbewegung stand, verständnisvoll in ihrer großen Bedeutung erfaßte.
Nur die ersten Jahre der deutschen sozialdemokratischen Bewegung erlebte Roßmäßler er starb im Frühjahr 1867, aber Mutterboden der Bewegung war, und er hatte, wann er auch nicht er erlebte sie in Leipzig , also in der Stadt, die so etwas wie der vertrauensvoll mit Lassalle gehen mochte, doch gar wichtigen Anteil an dem Ereignis der Ereignis der ersten Schritte der deutschen Sozialdemokratie. Bom proletarischen Klassenkampfs gedaufen darf man in seinen Schriften nichts finden wollen, aber er fühlte doch das herrschende Andauern der Schwingungen, die der Stoß der großen Revolution von 1789 erzeugte. Er sah in der politischen Bewegung seiner Gegenwart den Kampf des Geistes mit dem törperlichen Machtbesitz". Wenn ihn so sein Suchen nach einem tieferen Gedanken, der die Zeiterscheinungen zusammenfassend erklärte, auch nicht über eine ideologische Spiegelung der Vorgänge hinausgelangen ließ, so war er doch in einer gebrochentopfhängerischen Zeit einer, der nach großen, kämpferischen Gedanken fuchte. Und das eben macht sein Leben von der Märzrevolution hinauf bis in die sechziger Jahre geschichtlich bemerkens vert: es zeigt uns ein Stück Entwickelung des politischen Denkens in Deutschland , ein Stück politischen Kämpfens in der schweren Reaktionszeit der fünfziger Jahre und vor allem ein Stüd lebergang von der verfallenden bürgerlichen Demokratie zur proletarischen Sozialdemokratie.
Von folchem Uebergange redet uns auch das Leben des alten Demmler, das Leben Johann Jacobys, die beide wenig älter als Roßmäßler waren, aber länger lebten und den Uebergang mehr vollendeten als Roßmäßier. Dieser tam von der besonderen Seite der Naturforschung her, und er hat immer selbst den engen Zusammenhang seiner naturforscherlichen mit seiner politischen Persönlichkeit betont. Er wollte Einheit in seinem Leben und revolutionär stürmischen, wohl aber im Kerne ehrlich- ernsten, fich Wesen fühlen: dieses Bedürfnis wurzelt in feiner durchaus nicht felbst treuen Natur, die sich die Geschlossenheit ihres Charaters in den Zeitläufeu nach 1848, die das Renegatentum so. üppig wuchern ließen, zu bewahren wußte.
Roßmäßler mag 40 Jahre alt geworden sein, ehe er sich ernsthaft mit Politit zu befaffen begann. Er war schon Lehrer an der Forstakademie zu Tharandt , als die Julirevolution ausbrach. Sie mag ihn immerhin berührt haben, aber sie wühlte sein Inneres nicht auf, brachte ihm feinerlei entscheidenden Antrieb. Aus seinen Knabenjahren reichten Erinnerungen an die Befreiungskriege und an Herd gehabt, in feine junge Manneszeit herüber, aber die löften bloß die Burschenschaft , die im Hause seines Vaters gewissermaßen ihren romantische Stimmungen aus, teine politischen oder gar revolutionären Regungen. Als im September 1830 in Dresden Unruhen ausbrechen, die das altfeudale Ministerium wegfegen, legt Roßmäßler in größter Eile den dreistündigen Weg zur Residenz zurück. Ihn trieb aber ein