Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 44.
Sonnabend. den 3. März.
( Nachdrud verboten.)
Die Eroberung von Jerufalem.
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1906
brequins sich im Winde bewegten, und sämtliche breiten wie Froschmäuler abgeplatteten Schnäuzchen der kleinen Wilden reflektierten,
Auf das Abendbrot wartend, hatten die Gatten in ihren Lehnstühlen Platz genommen. Mit Behagen genoß Elias diese köstlichste Stunde im Orient.
Ihnen gegenüber baute Nazareth sich an einer Berglehne auf. Es ähnelte durchaus nicht den verfallenen, in schauerRasch sinkt die Nacht hernieder, lau und klar. Die neu- lichem Schweigen daliegenden Städten Samarias. Aus gierigen Besucher kehren ins Dorf zurück. Die Diener wickeln grünem Gebüsch ragten rote Dächer hervor. Das vertraute sich in ihre Mäntel. Profil eines Kirchturmes zeichnete sich am Himmel ab, hellgetünchte Klöster winkten einladend, und auf einem steilen schwingen flatterten.
Beide Gatten steigen zur Quelle herab, die unter der Liebkosung des Schilfrohres wonnig seufzt.
Bitte, gib mir aus Deiner hohlen Hand zu trinken," sagt er.
Cäcilie bückt sich über den Wasserspiegel, klemmt ihren langen Mantel von gelber Seide, in dem sie wie ein gigantisches Schilfrohr aussieht, zwischen die Beine und hält ihm dann die hohle Hand hin.
Wenn er sich aber, um zu trinken, darüber beugt, so spreizt sie mutwillig die Finger, das Wasser läuft hindurch, und, um sie zu bestrafen, beißt Elias in ihr rosiges, feuchtes Händchen.
,, Kleiner Unart!"
empor. Im Mondlicht schimmert ihr weißes Zelt zwischen Eng aneinander geschmiegt steigen sie wieder zum Lager den dunklen Oliven wie ein Marmorgebilde, wie ein Tempel
stiller Liebe,
6.
Am zehnten Tage durchzogen sie die Triften von Nazareth , die mit Blumen übersäet waren, wie eine heimatliche Wiese. Aus der Ebene, wo die Sonne zur Rüste ging, kehrten die Frauen heim. Ihre Kleidung bestand aus dem weißen Gewande der Galiläerinnen, über das eine weiße Tunika fiel, die um die Taille von einem roten Gürtel zusammengehalten wurde, dessen schwere Fransen ihnen gegen die Beine schlugen. Garben schwankten auf ihren Köpfen und umgaben ihre schwer mütigen Gefichter mit einem großen, schaukelnden Heiligen schein.
Eine von ihnen hielt an der Hand ein kleines Mädchen, das ganz ihr glich mit seinen schwermütigen Augen und dem traurigen Lächeln. Hinter ihnen trieben zwei Knaben, unter deren Stirn die Augen mit sinnendem Ausdruck hervorblickten, ein störrisches Zicklein.
So mag einst Jesus durch diese Felder heimgekehrt sein," sagte Cäcilie, die Bibel erzählt uns, er habe Brüder und Schwestern gehabt; sie müssen diesen hier geglichen haben."
" Ja," antwortete Elias, man möchte sagen„ Die heilige Familie". Muß man nicht staunen über die Größe dieses Volkes, das durch viele Jahrhunderte seine ganze althergebrachte Einfachheit zu bewahren wußte? Oft denke ich mir, Cäcilie, daß wir vielleicht größer und vor allem glücklicher wären, wenn wir einfacher lebten. Verſtände man sich doch der Natur anzupassen, ihr, die sich niemals ändert! So zu sein, wie der Sperling in der Luft, wie die Lilie auf dem Felde, wie diese Frauen, die mit Aehren beladen in der Abendstille heimkehren, die vielleicht an einem ähnlichen Abende zur Erde zurückkehren und sich mit deren Staub vermischen werden, ohne gedacht, ohne gezweifelt, vielleicht gar, ohne gebetet zu haben, die je doch Brot und Kinder hervorbrachten. Gibt es wohl eine schönere Bestimmung als ihre?"
Was Du da sagst, ist sündhaft, Elias. Wie können sie glücklich sein, wenn sie nicht glauben, und wie sollen sie die ewige Seligkeit erlangen, wenn sie nicht Christen sind?"
Sie sind unbewußt Christen, weil sie Christi Landsleute sind, kleine Diakonissin ," sagte Elias, der seine Frau gekränkt zu haben fürchtete.
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Schon waren sie im Lager angelangt, das in einem Gehege blühender Granatbäume aufgeschlagen war. Vor den am Abend weit geöffneten Zelten hatten die Maultiertreiber von würzigen Kräutern ein Feuer angemacht. Ein ganzer Schwarm arabischer Kinder drehte sich darum, vor Erstaunen fast auf die Knie sinkend, und die Augen weit aufsperrend beim Anblick dieses Zeltpalais aus doppelter türkischroter Leinwand, dessen mit Spiegeln besäte Lam
Fußpfade stiegen die Nonnen empor, deren Hauben wie Vogel.
die an den Zelten vorübergingen, fnieten am Wege nieder. Plöglich hörte man das Abendläuten. Zwei Kapuziner,
mystischen Regung erfaßt, hätte auch Elias sich am liebsten auf Es war ein feierlicher Augenblick. Von einer köstlichen, dieser roten Erde, unter diesen blühenden Granatbäumen niedergeworfen, diefem friedlichen Städtchen gegenüber, wo Jesus vor Gott und den Menschen an Weisheit und Alter und Gnade zugenommen hatte. Doch wagte er es nicht in Gegenwart Cäcilies, die mit gefalteten Händen und geschlossenen
rasch zur Quelle herab. Lippen ſizen geblieben war und im stillen betete. Nazarenerinnen, mit dem Kruge auf dem Kopfe, stiegen rasch zur Quelle herab.
Später stiegen sie langsam wieder empor, auf dem Kopfe den, von dem mit Ringen geschmückten Arme gestützten Krug, gerade und aufrecht tragend. Ihre weißen Schleier wehten hinter ihnen, und beim Wiegen ihrer Hüften begleitete ein metallisches Klingeln ihren rhythmischen Gang. Sie schienen völlig verwandelt; ihre bisher so matten Augen strahlten jegt, und ihre bräunlichen Wangen erglänzten nun fast ebenso sehr, wie die feuchten Rundungen ihrer Krüge.
Ich muß an die Samariterin denken," sagte Elias ,,, die wahrscheinlich ebenso wie diese Frauen mit dem Kruge hinausging, um Wasser zu schöpfen, und mit dem Quell ewigen Lebens im Herzen heimfehrte. Mir scheint es, als ob auch in mir ein Quell lebendigen Wassers sprudelt."
Weil Du über den Irrtum hinaus bist. Auch Du warst nur ein Samariter, der auf hohen Bergen und in Steintempeln" betete. Jetzt aber hast Du gelernt, wie wir, den Vater anzubeten, nicht hier, nicht in Jerusalem , sondern überall, und zwar überall im Geiste und in der Wahrheit."
Cäcilie sagte dies in trockenem, pedantischem Tone, und ihr Gesicht hatte dabei einen verbissenen Ausdruck, den ihr Gatte an ihr noch gar nicht kannte.
Mit einem Schlage sank seine fromme Erhebung. Sie also empfand nicht ebenso wie er.
Sie war nicht bis zu Tränen gerührt durch die schlichte Schönheit der Dinge, die sie umgaben, nicht durch die alles verklärende Hoheit dieses Abends? Sie dachte an pharisäische 3änkereien, Dogmenunterschiede, die sie trennten, während sein von Zärtlichkeit und Liebe geschwelltes Herz ihr ent gegenflog.
Er litt unter dieser Engherzigkeit, die ihm heute zum ersten Male auffiel, und zwar um so peinlicher, als gerade in dieser Stunde die Seele der Natur sich zu erweitern, mit der menschlichen Seele zu beben und in eins zu verschmelzen schien.
Vor allem verlegte ihn ihre Selbstsicherheit und die Verachtung, die sie seinen Irrungen gegenüber zu bezeugen schien. Arme, kleine Diakonissin! Sie, die niemals in Zweifeln gebangt, was fonnte sie von der Wahrheit wissen?
Die
Wissen wir denn überhaupt, Cäcilir, was Wahrheit ist? Jeder sucht sie; feiner findet sie; wir stellen sie uns sehr kompliziert vor und vielleicht ist sie ganz einfach. Die Wahrheit ist vielleicht alles Schöne, was uns bewegt und erhebt, wobei unsere Seele einen Augenblick erbebt. Der Abend, ein Windhauch, ein Duft, die roten Granatblüten, die wie Blutstropfen auf dem Boden und auf Deinem hellen Kleide liegen. Wahrheit! Schau, das sind jene Leute, die dort schweigend wandeln, deren Kleidung so harmonisch ist, deren Schritt so edel, deren Geist ohne Hoffnung, deren Herz ohne Traurigkeit ist und die nichts zu ihrem Glück brauchen, als etwas Wasser und ein paar Legenden. Wahrheit ist Leben, ist Liebe. Ein Leben voller Toleranz, eine Liebe voller Zärtlichkeit! Sich