Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 47.

Donnerstag, den 8. März.

( Nachdrud verboten.)

1906

sprung sich im Dunkel der Vergangenheit verlor, dessen Geist jedoch mächtig und befruchtend genug gewesen war, zum Bau solcher Tempel zu begeistern, die noch immer Stand hielten,

Die Eroberung von Jerufalem. während schon überall umher die Kirchen wankten.

8]

Roman von Myriam Harry  .

Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred euter

Elias dachte an die Geschichte der ersten Jahr­hunderte des Christentums, an seine Streitigkeiten, seine Konzile, seine Eroberungszüge gerade in diesem Lande, dann weiter an all' das zu St. Jean d'Acre   im Namen des Naza­reners und Jerusalems   vergossene Blut, an all' die fränkische Ritterschaft, an alle Paladine und Kreuzritter, die wie Mönche beteten, wie Löwen kämpften und wie Märtyrer starben.

Umsonst all' dieser Heldenmut, ausgelöscht die ganze glühende, inbrünstige Begeisterung! Nichts übrig geblieben von allem, als hie und da ein rostiges Helmstück, das Rosses­hufe wieder ans Tageslicht brachten. Oder aber am Dorf­eingange unter einer schattigen Sycomore ein als Tränke dienender alter Stein- Sarkophag mit dem Malteserkreuz im Schilde, an dem die muselmanischen Frauen beim Füllen ihrer Wasserschläuche die nackten Beine rieben.

Schließlich schwieg auch der Islam, und es ergriff das Wort das Heidentum in seiner schönen, unvergänglichen Sprache, durch die ungeheuere Menge seiner Tempel und durch die Glut und Kraft seiner in Stein gemeißelten Götter­gestalten.

Nun traf Jamains Kleine Karawane oft bei Sonnen­aufgang oder Sonnenuntergang Beduinenstämme an, welche auf ihren Dromedaren nach einem altertümlichen Ritus ihren Gott, die Sonne, anbeteten.

Jesus   erschien ihr dadurch verkleinert und sein Schatten, der die galiläischer Ebenen und Genezareths Berge erfüllt hatte, glitt jetzt an ihren Augen vorüber, winzig wie der Schatten der Hirten, welche um die Felsblöcke schlichen; und die Worte des Evangeliums, auf denen ihr Glaube ruhte, kamen ihr leicht wie Federn im Winde vor, hier, angesichts des Zeugnisses dieser Pfeiler, die sich gigantisch, siegreich, ewig der Sonne entgegenreckten, deren Kult sie verherrlichten.

Die Sicherheit, mit der sie sich die Führung ihres Mannes angemaßt hatte, verließ sie plöglich. Zum erstenmal fühlte sie sich unsicher, schwankend, verloren vor diesem ungeheuer­lichen Unbekannten, und von geheimem Grauen erfaßt, wandte sie sich schutzsuchend an Elias. Am dritten Tage besuchten sie die Tempel.

Ach! Wie liebte er sie da, als sie sich verschüchtert an ihn drückte, als ihre scheuen, bangen Augen ihn fragend anblickten, als ihr halbgeöffneter Mund ängstlich auf seine Antworten lauschte und ihre Füße im Schutt zögernd seine Fußtapfen suchten, um dort sicher aufzutreten.

Er berauschte sich an der Größe der Ruinen und der Hülf­losigkeit seiner Frau. Das Heidentum, das diesem Boden entströmte, stieg ihm zu Kopf und begeisterte seine Liebe. Vor seiner glühenden Einbildungskraft belebten sich die ent­schwundenen Jahrhunderte wieder, und von der Macht dieser Beredtsamkeit unvermerkt mit fortgerissen, folgte Cäcilie ihm stolpernd hin zum Zaubergarten, wo er vom Mythenspalier goldene Legendenfrüchte pflückte.

Hier streckte der Tempel weit hinaus in die Wüste seine langen Marmorpropyläen, durch welche der vom Roten Meere herkommende Morgensonnengott auf feuchten Sohlen nahte."

" Dort, auf jenen Wällen, die so ausgedehnt sind wie Beinhäuser, opferten vierhundert Sklaven Baals vierhundert Stiere dem Mittagssonnengotte, dessen feurige Zunge mur dann schwieg, wenn sie ihren Durst in Blut gelöscht hatte."

Wenn aber Cäcilie das Verschwinden sichtbarer Kenn­zeichen des Christentums beklagte, so freute ihr Gatte sich beinahe darüber, indem er den Triumph dieses heidnischen Landes mit dem seiner Zärtlichkeit verglich, die sich nun endlich, falscher Scham und falscher Skrupeln ledig, dem Naturgesetz und menschlichen Bedürfnissen gemäß frei ergießen durfte. Und hinter seinem Damascener- Schleier, dessen bunte Seiden- Westen zu geht, heulten die nackten und von Geschmeide pompoms bei jedem Schritt seines Pferdes tanzten, gab er sich glühenden Träumen hin.

Als sie eines Abends an den Ruinen einer alten Kirche vorbeikamen, rief Cäcilie:

Elias, begreifst Du eine solche Gleichgültigkeit im eigenen Vaterlande des Glaubens? Mein armer Vater wird sehr be­trübt sein, wenn ich ihm dieses schreibe, und mehr als je be­dauere ich, daß Du kein Missionar bist. Wie herrlich wäre es, diese Kapellen wieder aufzubauen und den Unglücklichen hier, die ihre Sünde und ihr Elend nicht einmal ahnen, das Evan­gelium zu predigen. Du hast doch Theologie studiert, warum also sollten wir beide die Heiden nicht befehren können?

Bekehre mich zunächst, kleine Diakonissin  ," sagte Elias verliebt, während er sein Pferd dicht neben das ihrige trieb. Du scherzest, aber Du hättest es wirklich recht nötig, denn im Grunde genommen seid Ihr Katholiken auch nichts anderes als Gößendiener," erwiderte sie verletzt.

Jawohl, weil wir solche kleinen, bösen Heiligen, wie Dich, anbeten. Doch sieh'! Du weißt ja, daß Dein Mann alles will, was Du willst, daß er alles glaubt, was Du glaubst, und daß er sogar Pastor würde, wenn

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Er hatte sie um die Taille gefaßt und flüsterte ihr den Rest des Sates mit einem Kuß ins Ohr.

,, Elias," sagte sie vorwurfsvoll und errötend, ohne ihm jedoch ihre Lippen zu entziehen.

Doch der übernatürliche Glanz ihrer Augen war ver­schwunden.

Sie waren in Baalbeck  .

9.

Zwei Tage schon lagerten sie angesichts der Ruinen, ohne ein weiteres Vordringen zu wagen, überwältigt von dieser titanenhaften Großartigkeit, die Jahrhunderten Troz bot.

Cäcilie sprach nicht mehr vom Christentum; kaum las sie noch in ihrem Testamente. Zum erstenmal begriff sie, daß : außer dem ihrigen noch ein anderer Gott eristierte, dessen Ur­

Und hier wieder, am Rande dieser Terrasse, die nach

flirrenden Priesterinnen des Abendsonnengottes wie Hyänen, um alle anzulocken, die der Liebes hunger peinigte." Cäcilie bebte vor Grauen.

Genug, Elias, genug! Höre auf, ich bitte Dich, wie schrecklich, wie abscheulich!"

Doch er riß sie weiter mit sich in den Wirbelsturm seines Enthusiasmus. Er fühlte die Kraft eines Helden und die Inspiration eines Gottes in sich.

"

Er zog sie über die Steinblöcke zu sich empor, er kroch mit ihr im Schutt, ihre bebenden Lippen küssend, und sie an sein Herz drückend, fletterte er mit ihr die schwankenden Stufen empor. Ueberall verstand er die Vergangenheit wieder zu be­leben, überall ihre Geheimnisse zu entschleiern. Das dort war das Heiligtum von Baalat, der Gemahlin Baals  , dort von Tanit  , Baals   Abglanz; von Astarte  , Baals   Antlitz; von Samoun, Baals   Thron; von Eshmoun, Baals   Wagen; von Moloch, Baals   Bauch. Hier stand vielleicht der Tempel Hators, der schwarzen Venus; dort herrschte Tadmonz, der Herr der Dämmerung, und dort erhob sich ohne Zweifel das Heiligtum der syrischen Göttin, der Ungenannten und Unnennbaren, die zugleich Mutter und Sohn, Mann und Weib, sanft und grau­sam war, deren Antlig feiner geschaut, deren Mysterium feiner ergründet hat."

,, Sei still, Elias, sei still! Du lästerst," hauchte Cäcilie

entsetzt.

Doch er riß sie weiter mit sich fort, bis in den wahren Tempel der Sonne, des Baal   der Baals. Er war freis­förmig, ohne Dach, von mächtigen Säulen gebildet, und von einer Höhe, daß sein Anblick fast Schwindel erregte.

Die Nischen rund umher waren leer, die Opferaltäre zer­fallen. Beschädigte Statuen lagen auf der Erde, und zer­brochene Säulen, die wie gefällte Riesen aussahen, waren von Nesseln überwuchert.

Elias und Cäcilie ließen sich auf einem Kapitälfragmente

nieder.