Nnterhallungsblatt des Forwärls Nr. 48. Freitag, den 9. März. 1906 lNaihdrull vevbolen.) Vie Eroberung von Jerusalem . Roman Von M y r i a m Harry. SZ Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen Von Alfred Heuler Oft schwärinte Elias, wenn er Vor ihr kniete: „O mein Jerusalem ! Mein erobertes Jerusalem ! Ich wußte wohl, daß Du mein sein würdest." Sie sprachen nun Von ihrer freudlosen Kindheit, und das erweckte in ihm eine unendlich weiche, zärtliche Stimmung. Was sie getrennt gelitten hatten, galt ihm nun als ein Pfand für ihr gemeinsames Glück. Sein Mitleid für Cäcilie vermehrte noch seine Zuneigung zu ihr: er war ihr gewissermaßen dankbar dafür, daß sie ohne ihn kein Glück genossen hatte. Unaufhörlich befragte er sie iiber ihre Vergangenheit, um ihr die Gegenwart noch an» genehmer, süßer, freudvoller gestalten zu können. Er stellte sich vor, wie sie im Alter von zwölf Jahren, klein und schwächlich wie sie war, die jüngeren Stiefgeschwister schleppen mußte, bis ihr fast der Atem verging... „Mein armer Liebling! Nun werde ich Dich tragen!" ... wie sie mit schlaftrunkenen Augen beim ersten Hahnenschrei aufstehen mußte... �Schlafe, mein Schatz! Schlafe bis Mittag!" ... wie sie frostbebend die Eiskruste auf der Waschschüssel zerschlagen mußte... „Hier, mein Lieb, bist Du im Lande der Sonne: wärme Dich an meinem Herzen!" ... wie für sie die Kleider gut genug waren, die man ihr aus dem abgeschabten, schon grünlich schillernden Ueberzieher ihres Vaters, des Pastors, zuschnitt... „Dafür sollst Du jetzt Bilkis Gewänder tragen, meine kleine Königin!" ... wie sie für den höchsten Lurus ein Fläschchcn Eau de Eologne hielt, das ihr einmal ein spleeniger Engländer ge- schenkt hatte... „Nun sollen Galaads Balsame und Jemens Wohlgerüche Dein sein, meine Blume!" ... wie sie mit sechzehn Jahren ins Seminar eintrat, init achtzehn Jahren Diakonissin und ihrer zarten Gesundheit wegen nach Egypten zur Pflege der Blinden gesandt wurde, wie man sie später nach Jerusalem versetzte, wo sie seit sechs Monaten gewirkt hatte, bis— „Du Dir die Finger an den Dornen der Krone stachst. Eriniierst Du Dich noch? Alles in der Welt hätte ich dafür gegeben, jenes Tröpfchen trinken zu dürfen. Du aber. Du Böse, hattest es schon am Tischtuch abgewischt. Nachts suchte ich mit einem Lichte die Stelle, um meine Lippen darauf zu drücken." Eines Tages erzählte Cäcilie ihm: „Nicht weit vom Pfarrhause lag eine Schmiede, an der wir auf dem Wege zur Schule vorbei mußten. Der Schmied war ein großer, schwarzer Mann mit kleinen, blinzelnden Augen und einem ungeheueren, roten Barte, in den er immer vor sich hmbrummte. Man hatte uns gesagt, er sein ein böser Menschenfresser, der kleine Kinder verzehrte: das hinderte uns jedoch nicht, unterwegs vor der offenen Schmiede stchen zu bleiben, um zuzusehen, wie die Funken umhersprühten und die Kohlen in der Kiepe Feuer fingen. Eines Tages hämmerte der Schmied an einem rotglühenden Kreuze, das so groß war wie ein Hufeisen. Es sah schöner aus als das Kreuz auf dem Altar.„Das ist von Gold, vou reinem Gold", kicherte er in seinen Bart und fuhr dann, mit einem Blick zu mir, fort: „Heh, Du da, kleine Pastorin, wenn Du herkommst und die Hand ausstreckst, gebe ich es Dir." Die anderen Kinder stießen mich vorwärts:„Geh' doch, geh' doch!" Ich legte Bücher und Federkasten hin und ging, meine Hand ausstreckend, ent- schlössen hin. Er ließ sein Kreuz hineinfallen. Da, sich' her, Elias, hier kannst Du noch die Narben der Brandwunde sehen.' „O Liebling, Liebling! Warilm war ich nicht da?" Mit Thränen in den Augen bedeckte Elias die kleine Hand, in die der Unmensch sein rotglühendes Kreuz hatte fallen lassen, mit zärtlichen Küssen. Während solcher Erzählungen seiner Frau erschien sie ihm als das rührendste Wesen, an das er nicht denken konnte, ohne daß sein Herz sich schmerzlich zusammenzog. Er sah darin einen Beweis ihres einfachen, treuherzigen Wesens und dachte, glücklich zugleich und betrübt: Mein Gott, was wäre aus ihv geworden, wenn ich sie nicht getroffen hätte! Sie so leicht- gläubig und wehrlos gegen die Niedertracht der Welt: sie, dis rotglühendes Eisen für Gold hält. Und eine neue, eine heroische, beschützende Liebe fesselte ihn noch inniger an sie. So durchstreiften sie Syrien . Sie sahen Tadmor, diese Königin der Wüste mit ihrer Doppelallee von Palmen und Porphyrsäulen, Damaskus mit seinen rosenroten Moscheen, Sidon mit seinen unter den Fluten schimmernden Nekropolen, Beirut , die Glückliche, deren grüne, üppige Umgebung ihren Duft bis weit ins blaue Meer sendet. Später durchzogen sie den Libanon, dessen einschläfernden sinnlichen Reiz einst Salomo besungen hatte: den Libanon mit seinen schneebedeckten Felskämmen, seinen Gedern , seinen blumeniibersäten Schluchten, seinen zahlreichen Quellen, die sich unter Oleandern dahinschlängeln, und mit seinen auf den Hochplateaus liegenden Bürgen und befestigten Klöstern, wo Drusen und Maroniten sich mit ihrem Haß bekämpften. Ihre Reise ähnelte in gewissem Sinne einem Triumph- zuge. Elias scheute keine Ausgabe, sie so genußreich wie möglich zu machen. Unpraktisch, wie er war, kannte er den Wert des Geldes nicht. Bei jeder Gelegenheit streute er es aus, einfach, weil es ihm Vergnügen machte, auch in den Augen anderer die Freude zu sehen, die er selbst empfand. Weil er sich für den Glücklichsten der Menschen hielt, kam er sich auch reich vor. Ueberall in den Zouks und Bazaren, wie auch in euro- päischen Magazinen oder bei umherziehenden Händlern hielt man sich unendlich lange auf. Hier stapelte Elias Teppiche und Schärpen auf, kaufte wohlriechende Essenzen und Filigran- arbeiten ein, zu Geschirren ließ er sich Mäntel aufreden, zu Nargilehs*) Babuschen:**) hier dachte er nur daran, Cäcilies etwas kühle Schönheit mit dem üppigen, schillernden Luxus einer Bagdader Haremsfavoritin zu umgeben. Und wollte sie, durch all' diesen muselmanischen Poiasi eingeschüchtert, ihn nicht begleiten, so entschlüpfte er ihr schon beim Morgengrauen, wenn sie noch schlief und weckte sie dadurch, daß er seine Einkäufe um sie ausbreitete. Zuerst schalt sie: dann aber nahm er sie in seine Arme, wiegte sie, liebkoste und hätschelte sie und schwatzte ihr so viel ungereimtes, kindisches Zeug und so viel liebe, ernste, ver- ständige Worte vor, daß sie, ganz benommen, entzückt und! überwunden, alle Vorwürfe vergaß, sich in ganz unbegreif- lichem Taumel mit fortreißen und alle Phantastereien ihres Gatten geduldig über sich ergehen ließ. Uebrigens hatte sie sich in einigen Wochen ganz ver- wandelt. Ihr schüchternes Pensionsmädelauftreten war viel sicherer, ihre Diakonissensteifheit graziöser geworden. Ihre Taille war schlanker, ihr Haar weniger glatt und schlicht, ihre früher zu ruhigen Augen belebten sich und zu ihrem Jugend- reiz— mit sechsundzwanzig Jahren sah sie wie eine Neun- zehnjährige aus— gesellte sich nun eine noch diskrete, aber schon verführerische Frauenschönheit. Unter der Anleitung ihres Gatten hatte sie gelernt, sich zu kleide». Ueber ihr ecrufarbiges Reisekleid warf sie einen großen Mantel von weißer, silberdurchwirkter gefranster Seide� zierliche, gelbe, spitze Schnabelschuhe bekleideten ihre Füße; ein goldgestickter Gazeschleier, dessen lange, in flockige Pom- poms auslaufende Fransen ihr um die Schultern tanzten, ver- lieh ihr die mysteriöse Grazie einer syrischen Prinzessin. Sogar ihren alten einäugigen Klepper hatte sie gegen einen Vollblutrenner vertauscht. So kam es, daß die Araber, wenn sie dre Beiden, ihn stf groß und braun, sie so zierlich und blond— vorbeireiten sahen, sich umwandten und ihnen nachriefen: •) Türkische Wasserpfeife. Ledcrpcmtosfeln.
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23 (9.3.1906) 48
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