Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 54.

Sonnabend, den 17. März

( Nachdrud verboten.)

1906

rief die Oberin, ihr diesen unschuldigen Kinderschmuck fort­reißend. Ah, solch eine Koketterie! Aber die ist den Arabern schon angeboren! Besonders dieser hier! Täglich müssen

Die Eroberung von Jerufalem. ir dagegen ankämpfen. Ach, meine Damen, wenn Sie noch

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Roman von Myriam Harry .

Autorisierte Ueberfeßung aus dem Französischen

bon Alfred peuter

Elias hörte nicht mehr zu. Mit halbgeschlossenen Augen, den Rücken an dieselbe Balustrade gelehnt, an der er seiner­zeit die Kreuze aufgerichtet hatte, ließ er noch einmal das Frühlingsidyll an seinem geistigen Auge vorüberziehen.

Mit ihren blonden, wieder um den Kopf aufgesteckten Flechten, ihrem schwarzen Kleide und dem weißen Nacken glich sie fast ganz der ehemaligen Diakonissin , die lächelnd Dornenkronen wand.

Der Schatten einer Passionsblumenranke huschte wie der Geist eines Russes über ihre Wange, und einen Augenblic glaubte Elias vom Hospitalshofe her die zarten Staccato­flänge der Schalmei zu vernehmen.

Was ist aus dem kleinen bethlehemitischen Hirten ge­worden, dem man das Bein amputierte, und den Sie mit aller Gewalt befehren wollten?" fragte er auffahrend.

,, Er ist gestorben," antwortete trocken Schwester Char­lotte. Und die Lektüre des Briefes nahm ihren Fortgang. Er ist gestorben...!"

Elias knipste die Asche seiner erloschenen Zigarre fort. Auch die kleine Beduinenschalmei war tot: nie mehr würde er sie hören; die ganze Poesie um ihn war tot, be­graben mit dem jungen Ziegenhirten.

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Nun reizte ihn beinahe schon der Anblick Cäciliens in ihrem Krankenwärterinnenanzuge, wie er sie an diesen scheuß­lichen, grauen Strümpfen so eifrig stricken sah. Sie machte einen so mittelmäßigen, so selbstzufriedenen, so spießbürger­lich- glücklichen Eindruck. Hinter ihr, in dem weißgetünchten, friedlichen Stübchen sah er, wie man das Tafelgeschirr auf­stapelte und die übriggebliebenen Ruchen unter grüne Gaze­gloden fette. Sogar die perlmutterglänzenden Sterne im Herbstroten Laub waren schon längst verwelft; an ihrer Stelle blähten sich jekt gelbe schwammige Kapseln.

Wie bedauerte er sein Rommen! Wie bedauerte er den Eintausch der frischen Romantik seiner Erinnerungen gegen diese banale Wirklichkeit!

Und eine ungeheure Traurigkeit befiel ihn, als ob ihm ein großes Unglück zugestoßen sei.

Er wandte sich vom Tische fort und blickte in den Hof.

Die Girlanden aus künstlichem Moose mit den Papier­blumen und Goldrosetten erinnerten ihn an fläglichen Jahr­marktsflitter. Im Hofe drängten sich die kleinen arabischen Mädchen, denen man zu spielen befohlen hatte, eng anein­ander. Linkisch, verdrießlich, verlegen über ihre nackten Glieder und ihrer Häßlichkeit bewußt, ähnelten sie mit ihren furzgeschnittenen Haaren und engen Kleidern gerupften, traurigen Vögelchen im Käfig.

Elias taten sie leid. Er wäre gern hinuntergegangen, um ihnen die Pforte ihres Käfigs zu öffnen und ihnen zuzu­rufen: Flieget fort, Ihr armen, kleinen, bekehrten Wilden! Flieget zurück zur Einfachheit, zur Natur! Um glücklich zu sein, braucht man weder Religion, noch Zivilisation. Kehrt zurück zu Eurer natürlichen Unwissenheit, zu Euren Oliven­gärten, zur Sonne. Badt Euer Brot in der Asche, schöpft Euer Wasser aus Zisternen und schenkt Euren Gatten Kinder! Darin liegt das wahre Glück. Ach, auch mir geht es so wie Euch; gefangen bin ich wie Ihr, auch ich bin ein Opfer." Doch nun war der Brief zu Ende! Man erhob sich. Schwester Charlotte begleitete ihre Gäste bis zum Hofe, wo die Waisen sich knirend verabschiedeten.

Eine von ihnen, ein entzückend zierliches und troß seiner europäischen Kleidung bildhübsches Mädchen, hatte sich zwei rote, von der Girlande abgepflückte Papierrosen hinter die Ohren gesteckt und aus Goldpapier einen Stopfreif sowie Arm­bänder angefertigt. Nun hatte sie nicht mehr Zeit, sich ihres Schmuckes zu entledigen.

Ah, Du garstiges Geschöpf! Warte nur, Dir werde ich! Willst Du wohl sofort herkommen und mir alles abgeben,"

ein Bläßchen in ihren Gebeten übrig haben, empfehle ich Ihnen diese Ajouna."

Und während ihre Warze auf der violetten Unterlippe bor Entrüstung bebte, flüsterte sie Cäcilie zu:

,, Sie ist eine Frucht der Sünde, ein Kind der Liebe!"

5.

Die ganze Woche verlief unter Besuchen; man stattete sie entweder zu Fuß ab oder auf Eseln, die man von den Montres auf dem Davidsplaße mietete. Denn Cäcilie mochte aus Gründen, die sie zwar nicht eingestand, ihr Gatte aber leicht erriet, nicht mehr zu Pferde steigen.

Dabei machten sie mit den verschiedenen, im Heiligen­lande so zahlreichen, protestantischen Seften Bekanntschaft, bon den in der Koloniaebene angesiedelten Mormonen, die dort, nach dem Vorbilde der Patriarchen, mit ihren Weibern, Kindern und Herden leben, bis zu den amerikanischen Re­furreftionisten, welche dem Delberge gegenüber im höchsten Gebäude Jerusalems hausen, von wo aus eine Wache un­aufhörlich nach Ihm ausspähet, der da gesagt hat: Wachet und betet, denn ich werde euch überraschen, wie der Dieb in der Nacht." Dort leben sie, zwölf Männer und zwölf Frauen, so wie die Jünger, in einer vollständigen Gemeinschaft, in der jeder sich Ihm widmet, für den an ihrem Tische stets ein Play gedeckt, in ihrer Wohnung stets ein Zimmer bereit ist. Dann kam die Reihe an die modernen Villen, mit Dach­ziegeln und grünen Fensterläden, die zerstreut längs des Weges nach Jaffa lagen und sämtlich auf einen biblischen Namen getauft waren. Der universelle Krämer bewohnte den Turm zu Babel", der Bankier das Haus Eloims" und der englische Pastor hauste in den Lilien von Galiläa", wo Herr und Frau Jamain ihn, mit zwei reizenden Bübchen auf den Knien, bei der Ausarbeitung seine. Predigt antrafen, während Mrs. Brown ab und zu einen Blick auf den Tee­fessel warf und dabei hebräische Buchstaben auf einen Tisch­läufer stickte.

Von da begaben sie sich nach dem Schlößchen von Mag­dala" zu Herrn Goldmann, einem getauften Juden, der nun Missionar geworden war. Seine Frau war eine ehemalige Sängerin aus einem Variététheater in Port Said , die er aus Mitleid geheiratet hatte. Nun machte ihre profane Stimme alle Sonntage einen Läuterungsprozeß durch, indem sie aus Dankbarkeit von der Orgel der anglikanischen Kirche herab bei der Lithurgie mitwirkte.

In der Woche, so sagten die Lästermäuler, wurde sie wieder eine frivole Person", denn Frau Fischer hatte sie eines Tages beim Trällern leichtfertiger Lieder überrascht, zu denen Stöckelschuhe a la Louis XV. den Taft schlugen. Außerdem hatte sie einen Spiegelschrank in ihrem Schlafzimmer und schlief mit ihrem Manne zusammen in einem breiten eng­lischen Bett.

Cäcilie hielt sich kluger Weise etwas zurück. Elias gab sich jedoch noch liebenswürdiger als gewöhnlich, denn er fand die Frau weder dumm noch schlecht, und in dem Manne einen ganz außergewöhnlichen Missionar mit schönem, semitischem Kopfe, voll glühender Begeisterung und hinreißender Bered­samkeit, der zu jedem Opfer bereit war, den alles tief bewegte und der seinem neuen Glauben den ganzen hartnäckigen Enthusiasmus des alten zubrachte. Aus seinen Augen, seiner Stimme, seinem ganzen Gebaren leuchtete die Freude zu glauben und zu überzeugen. Die Schöße seines Rockes flogen; die jüdischen Stirnlöckchen, die er beibehalten hatte, tanzten; troßdem aber war nichts Lächerliches an dem Manne, der eher einem erleuchteten Apostel ähnelte.

Er erzählte von seinen Widerwärtigkeiten, seinen Ge­fahren, seinen Erfolgen. Und man sah ihn, wie er die Pforten der Synagogen aufbrach, die Thorarollen stürzte, um an ihrem Plaze das Neue Testament aufzustellen und der ob solcher Tempelschändung versteinerten Gemeinde zurief: Weg mit Eurem eitlen Geschwäß! Ich bringe Euch das neue Geset und lebendige Propheten!" und man sah ihn, wie er an der Klagemauer mitten in das lithurgische Jammern und