Anterhaltungsblatt des DorwürtsNr. 60.Dienstag, den 20 März.1906(Nachdruck verboten.)Die Eroberung von Jerusalem.Roman von Myriam Harry.16] Autorisierte Uebersetzuna aus dem Französischenvon Alfred DeuterMit zärtlichem Lächeln antwortete Kitty:„Ja, ich ängstige mich um ihn, und wenn ich ihn heilund gesund zurückkommen höre, klopft mein Herz vor Freudeso stark, daß ich ihm nicht entgegenzulaufen vermag."Und trotz des etwas lächerlichen Zinksonnenschirms undder ausgepolsterten Socken dachte Elias traurig:„Wie sehr müssen sie einander lieben, und wie glücklichmuß er sich in seinem Glauben fühlen. Ach, hätte ich seineAusdauer gehabt!"Als sie von den Goldmanns fortgingen, sagte Cäcilie:„Sie brennt sich die Haare und trägt durchbrocheneStrümpfe."„Würdest Du es nicht auch tun, wenn ich Dich darumbäte?"„Hoffentlich wirst Du mich niemals darum bitten l"„Warum nicht? Habe ich Dich nicht schon um ganzandere Sachen gebeten, und hast Du meine Wünsche imLibanon nicht erfüllt?" fragte er, ihren Arm zärtlich drückend.„Ach, sprich nicht davon, Elias," erwiderte sie ganz leise.„Damals waren wir im Irrtum befangen und dann, siehstDu, war es auch auf unserer Hochzeitsreise."„Und nun?"„Nun sind wir gesetzte Leute."„Dann hätten gesetzte Leute also kein Recht, sich zu lieben,Cäcilie? Und Dir könnte eine Hochzeitsreise nicht das ganzeLeben hindurch dauern?"Durch das Damaskustor, das düsterste aller Tore, daszum niuselmanischen Viertel führt, kehrten sie heim.Soldaten in schäbiger Uniform exerzierten mit mürri-schem Gesicht. Heulende Derwische mit baumelnden Strickenschtvenkten ihre Lanzen, und vor dem Gitter einer zerfallenenKoubba befestigten dicht vermummte türkische Frauen statt derVotivtafeln Stosflappen, die mit dem Blute eines schwarzenHahnes gefärbt waren.Schon sank der Abend hernieder, als sie in die engenGäßchen einbogen, die von düsteren Arkadenbögen überwölbtwaren. Nachtvögel Prallten wie Gummibälle von den Mauernzurück, und Hunde schnüffelten in den Abfallhaufen herum,die man nach alter Gewohnheit auf der Straße unlher-liegen ließ.Alles sah tot aus, herzzerreißend wüst und öde, wie nacheiner Plünderung, wie nach der Pest' und dennoch ahnte man,daß hinter den verschlossenen Türen Leben pulsierte, daß vonder Höhe der Moiicharabis der Haß herabspähte, daß der'Fanatismus im Hintergrunde dieser Kranibuden wachte, woblasse, regungslose Händler unter einen: von Fliegen ge-schaukelten Strick hockten wie Gehenkte unter ihrem Galgen.Aber beim Vorbeigehen des Jamainschen Paares belebten sichalle diese Marionetten: ihre Augen fingen an vor Wut zurollen, ihre Finger krampften sich um die Bernsteinrosen-kränze und ihre bläulichen Lippen spien verächtlich aus.Elias sagte zu Cäcilie:„Wie sonderbar, daß in dieser Stadt, wo alles in Ascheliegt, jeder einen Vulkan in seinem Herzen trägt."Jetzt bewegten sie sich fast mir tastend vorwärts. VonZeit zu Zeit streifte sie ein Schatten, der— man wußte nichtwo— aus der Erde wuchs, und— man wußte nicht wiewieder verschwand. Die Gewölbe wurden niedriger, dieSchatten geheimnisvoller. Aus den in Dämmerung getauchtenLöchern vernahm man das hohle Glucksen der Narailehs*),hie und da sah man Waffen oder den Schmelz blendendweißer Zähne aufblitzen. Drohende und beschimpfende Worteschwirrten um sie herum.In dumpfem Angstgefühl drückte Cäcilie sich dicht anElias, den hierbei ein jäher Wonneschauer überrieselte.'), Wasserpfeifen.„Ja, Liebling, stütze Dich fest auf mich, laß Dich führen.Nun gefällt mir diese Finsternis, Deiner Aengstlichksit wegen."Und ihre Hüfte umschlingend, küßte er ihr duftigesHaar.Plötzlich gellte an der Kreuzung der Via dolorosa eineschauerliche Stimme:„Zurück, zurück. Du Geschlecht von Hofsärtigen und Be-trügern! Mit Jubelgeschrei kommt Ihr her, im Schmerzwerdet Ihr Euch abwenden! Wehe Euch, Ihr Toren! Jeru»salem ist wie Moloch, es nährt sich von Blut und Tränen!"!"Und in den Weg trat ihnen der„letzte Provbet von Jeru»salem", mit einer Dornenkrone auf dem Kopfe und einemKreuze auf dem Rücken. Seine gelblichen Augen rollten unterden buschigen Augenbrauen wie phosphoreszierende Leucht-kugeln, seine mächtigen Fäuste drohten, und seine Lippenschleuderten Flüche und Verwünschungen.Elias schob den Narren zur Seite und schleppte die halbohnmächtige Cäcilie nach dem Christenviertel unter freienHimmel.Vor der Basilika der Grabeskirche blieben sie einenAugenblick stehen, um Atem zu schöpfen. Rund umher er-hoben sich die Umfassungsmauern des Vorhofes wie dieMauern eines Gefängnisses. Aus den offenstehenden Fenster-flügeln der Kirche drangen wie aus der Tür eines Backofensdichte Dampfwolken hervor. Von oben senkte sich die Nachtherab, von unten stieg die Verzweiflung empor, denn aufdem, um diese Zeit von den Händlern verlassenen Vorhofewimmelte es von menschlichen Gebilden, die weinend undwehklagend auf den Knien rutschten.Cäcilie hatte seinen Arm losgelassen.ruhig und kühl stiegsie die vierzig Stufen empor, welche den Golaathahügel mitdem höheren Teil des Christenviertels verbinden.Nun aber ging ibre Unruhe auf Elias über. Eine Angstbemächtigte sich seiner plötzlich, unwiderstehlich, eine Angstvor dieser Stadt mit ihren Mauern, ihren Gassen und derenFinsternisien, ihren Kirchen und deren Leiden, ihren Be-wohnern und deren Fanatismus. Und er sagte sich: DerProphet hat Recht: sie muß sich wohl vom Besten unseresHerzens nähren.6.In seiner alten sarazenischen Behausung geriet Elias'Glaube von neuem ins Wanken, und bekümmert fragte ersich: Habe ich nur geglaubt, weil ich glücklich war, oder warich nur glücklich, weil ich liebte?Weil er liebte? Nun, er liebte doch noch immer. Gewiß!Aber, was er hauptsächlich liebte, war die Erinnerung an ihreLiebeszeit.Unaufhörlich dachte er in dieser Wohnung an jene Er-innerung. Er suchte sie unter den schattigen Gewölben, wieauf den lichterfüllten Terrassen: mit dem Rosmarinduft derRampe und mit der des bläulichen Wassers, die ausder Zisterne emporstieg, atmete er sie ein. Im weichenRauschen des Beckens hörte er sie und im metallischenRascheln des Palmbaumes, der hinter den, durchbrochenenGitter wuchs.Diese Erinnerung, er trug sie auf den Lippen, er der-schloß sie in seinen: Herzen: in allen Räumen des Hausesfand er ihre Zeugen, unten im Audienzsaale des Agha, woihre Zelte, Feldbetten und Sättel untergebracht waren, bishinauf in sein Obergemach, wo er in einem Zedernholzkastendie winzigsten Andenken an ihre Hochzeitsreise aufbewahrte.Und oft, tvenn Cäcilie fromnie Besuche machte, oder Damenbei ihr waren, um ihr Koch- und Backrezepte zu bringen odersie im Zuschneiden eineS jener verunstaltenden Armenanzügezu unterweisen, kramte er seine Schätze hervor und breiteteihre Reitkleider, ihren Mantel, ibre Stiefelchen, den blauenHutschlcier, ihre Handschuhe und ihre Reitpeitsche um sich aus.Diese Stelle hier erinnerte ihn an einen besonders süßenKuß von dazumal und nun hielt er Nachlese: dort glätteteer die Falten, die noch von einer innigen Umarmung her-rührten, hier lächelte er bei der Erinnerung an ein Lächeln.dort träumte er beim Gedenken eines Traumes: und bei derVorstellung einer anschmiegenden Geste oder des KlangeSeines zärtlichen Wortes seiner Frau konnte er förmlich außerFassung geraten,