Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 59.

Sonnabend. den 24 März.

1906

dahintraben. Ihr übermäßig vergrößerter Schatten fiel

( Nachdrud verboten.) auf den gegenüberliegenden Hügelzug und zeichnete darauf vier apokalyptische Ungeheuer, deren vom Horizonte gleichsam

Die Eroberung von Jerufalem. abgeschnittene Köpfe ins Leere gefallen zu ſein ſchienen.

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Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen

von Alfred peuter

Wochen waren bergangen.

Eines Abends- Cäcilie schlief bereits in ihrer Kammer, während Elias noch auf der Terrasse seinen Träumereien nachhing und nach den rosigen Bergen Arabiens hinüber­blickte meldete Assir:

-

,, Herr, Slamin erwartet Dich am Stadttore und schickt einen Boten, der Dich hinführen soll."

Gut! Folge mir!"

Rasch stieg Elias, nachdem er sich mit Geld und Waffen versehen hatte, in den Hof hinab.

Bis über die Ohren vermummt, huschten die drei Männer durch die schlafenden Gäßchen zum Mogrebinertore, wo gegen ein beträchtliches Bakschisch die türkische Wache den Torflügel ein wenig öffnete.

Der über dem Delberge am Himmel hängende Mond übergoß das Tal Josaphat mit seinem Lichte und verwandelte dieses düstere, schaurige Reich des Todes in einen feenhaften Eisgarten.

Dornen haften sich in ihre Mäntel, unter ihren Füßen gerieten Steine ins Rollen und weckten ein lebhaftes Echo in den Schluchten. Herumschweifende Schakale flüchteten scheu. Endlich bemerkte Elias am Fuße des im Mondlichte wie Schnee schimmernden Absalomsgrabes ein schwarzes Belt und vier fahle abgeftumpfte Kegel.

" Ist es dort?" fragte er den Boten. Dort ist's!"

Schweigend stiegen sie weiter hinab und wieder empor, bis sie endlich an Ort und Stelle angelangt waren.

,, Hier bin ich," sagte Slamin, hinter dem Höcker eines Kamels auftauchend. Du siehst, ich habe Wort gehalten." Dabei ergriff er einen Spahn des Wachtfeuers und reichte ihn Elias, damit dieser zwei zu seinen Füßen liegende Basalt­bruchstücke prüfen fonnte.

Auf den Knien liegend untersuchte der Gelehrte die beiden Steinstücke. Seine Schläfe pochten, seine Rehle war. bor fieberhafter Erregung ganz ausgedörrt. Nein, diesmal hatte Slamin seine Erwartung nicht getäuscht. Obgleich er die in den Basalt gemeißelten Buchstaben nicht entziffern konnte, sah er doch auf den ersten Blick, daß sie nicht aus der Fabrik der Maler herstammten.

Während die Männer auf einem Reichensteine die mit­gebrachten fünfhundert Piafter Stück für Stück nachzählten, stand er auf und erblickte durch die Zeltöffnung eine große, schlanke, verschleierte Gestalt, die ihm den Rücken zufehrte. Nun erhob sie, wie um etwas an ihrem Kopfpuz zu ordnen, die Arme, und als dabei ihre weiten, nachschleppenden Aermel zurüdglitten, gewahrte Elias zwei bräunliche, volle, mit Silberringen geschmückte Frauenarme. Ein herber Duft nach Gazellen und Thymian strömte von ihr und dem Belte aus.

Seine Inschrift ganz vergessend, dachte Elias: Gern sähe ich ihr Gesicht, ob es dem Idol ähnelt.

Das galt, wie er wußte, hei den Arabern als ein Vor­zeichen großen Unglücks.

Herr, beeile Dich mit der Heimkehr!" rief Slamin, vor Furcht die Schultern einziehend, denn auch ihm war jenes böse Vorzeichen soeben aufgefallen.

10.

Es war am Ostermorgen.

Jerusalem regte sich bereits. In dieser Auferstehungs­nacht hatte es keine Ruhe genossen. Litaneien und Gesänge hatten seine Ohren ermüdet, Tränen und Schweißgeruch seine Nase belästigt. Auch hatten Streitigkeiten und Prügeleien seine Heiligkeit befleckt. Blut war geflossen, und türkische Soldaten hatten, mit dem Bajonnett in der Faust, den Frieden wieder herstellen müssen. Nun aber läuteten und klangen die Glocken, nun schlugen Weihrauchwolfen umhüllten die Heilige, die Synamdren. alle Herzen, alle Lippen sangen zugleich: Er ist auferstanden! Christus ist auferstanden!" Auf seiner Terrasse wiederholte Elias mechanisch: Auferstanden! Auferstanden!"

und

Auch er hatte nicht geschlafen. Die ganze Nacht hindurch hatte er gewacht, abwechselnd bei Cäcilie und in seinem Ar­beitszimmer. Auch in ihm hatten Rämpfe stattgefunden, Todesängste mit froher Hoffnung abgewechselt. Nun fühlte er sich erschöpft, als ob alle Kraft ihn verlassen, doch auch stolz, als ob sein Geschick sich erfüllt hätte. Ihm war zumute, als sei aus seiner Seele eine doppelte Blüte entsprungen. Er trat an den Rand der Terrasse.

Das Morgenrot übergoß seinen weißen Mantel und färbte ihn purpurn. Sein Antlitz strahlte, sein Körper wuchs, mit Herrschergebärde grüßte er die Stadt.

Er sah wie ein Christus aus.

Und er fühlte sich auch selbst wolfenhoch erhoben, von Sonnen getragen, als Sieger über das Elend und die Bitter­nisse des Lebens. Und alles nur, weil unten im dämmerigen Gemach ein neues Lebewesen schlummerte, und weil hier auf diesem von der Morgensonne beleuchteten Tische die Genesis einer ganzen, inzwischen verschwundenen Menschheit pochte. War's Gelehrtenstolz oder Vaterfreude? Er wußte nicht, welches dieser beiden Gefühle das stärkere war. War ja doch auch eins so eng mit dem anderen verknüpft, daß er sie fast verwechselte, denn in dem Augenblicke, da er das klägliche Geschrei seines neugeborenen Töchterchens gehört hatte, war auch der Name der Göttin zum erstenmal von seinen bebenden Lippen gefallen.

Er kehrte in das Arbeitszimmer zurück und warf sich auf feinen Divan.

Papiere füllten den ganzen Raum, bedeckten den Boden und hingen auf den Totenstelen. Große, weiße weiche Blätter Fließpapier, auf dem sich drei verstümmelte Zeilen reliefartig abhoben. Ueberall an den Wänden, auf Regalen und auf den Fliesen wiederholten sich dieselben primitiven, plumpen Buchstaben: Pfeile, Rundschilde, Karrees, Triangeln. Teils in Kohlezeichnung, teils vergrößert und farbig ausgeführt, wiederholten sie sich bis ins Unendliche, wie eine barbarische Beschwörungsformel, wie ein verhängnisvoller Zauberspruch. Doch Elias lächelte ihnen verliebt zu; kosend glitten seine

Doch Assir hatte die Steine bereits in seinen Mantel ge- Blide über die Manern, brünstig füßten sie die Blätter, denn

wickelt.

,, Komm, Herr, laß uns gehen, die Nacht schreitet fort!" Mit Slamin zusammen stiegen sie wieder zur Stadt empor. Von Zeit zu Zeit wandte Elias sich nach dem weißen Mausoleum und dem kleinen schwarzen Zelte um.

was noch kein menschliches Auge entziffert hatte, las er ge­läufig, las er mit Wonne, las er mit Grauen:

Ich Königin von Moab ... Dir Astaroth Kar­naim, auf Deinen Befehl, o Göttin der Göttinnen... Er­höht Und zu Deinen Füßen erwürgt."

Ein eiskalter Schauer rieselte ihm den Rücken hinab, rote

Und den Gelehrten lauernd anblickend, fuhr Slamin Sterne tanzten ihm vor den Augen, der Tisch rötete sich wie

"

Wer ist jene Frau?" fragte er endlich.

Eine Moabitin!"

"

fort:

Gefällt sie Dir?"

"

Ich habe sie ja nicht gesehen."

Am Fuße der Wälle wandte er sich zum letzten Male um.

Das Zelt war verschwunden, aber auf der nach Moab führenden Straße sah er vier dunkle Kuppen die Kamele

-

ein glühender Altar: feierlich raie ein Tempel der Wüste er­schien ihm sein Zimmer.

Das dort also war die Astaroth Karnaim,' die Mond­Astaroth, die Göttin des Mel- Kart und der Abglanz Baals , die Ashera der Bibel, welche die Frauen Salomos auf hohen Bergen und unter grünen Bäumen" anbeteten; die star, die sich in die ägyptischen Hypogäen( Totengrüfte) einschlich,