Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 61.

Mittwoch, den 28 März

( Nachdruck verboten.)

Die Eroberung von Jerufalem.

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Roman von Myriam Harry  . Autorisierte Ueberseßung aus dem Französischen  

bon Alfreb peuter

Elias erhob sich und stieg vom Berge herab. Das Geräusch seiner eigenen Schritte entriß ihn seiner Versunkenheit.

Der Davidsturm warf seinen unförmigen Schatten auf den öden Zionsplay, aber Gänseblümchen   wuchsen zwischen den Fliesen, in den Schießscharten zitterten Gräser und gelber Lack hing über den Wassergräben. In dieser ernsten und ewig unveränderlichen Stadt war hier ein föstliches Pläßchen er blüht, reizend in seiner zarten Anmut und seinem nur zu ver­gänglichen Frühlingshauche.

Elias erinnerte fich der Geburt seiner Tochter und dachte: Meine Seele ist wie Zion. Dede und wüft und leer; aber ein Blümlein ist zwischen den Fliesen emporgeblüht, und das Lallen meiner Tochter wird darin berklungene Töne wieder wecken."

Er bog in das finstere Gäßchen ein, durchschritt den großen Sarazenenhof, stieß die kleine Pforte auf und ging schnell nach dem noch im Schatten liegenden Zimmer hinauf. Als er beim Eintritt Cäcilie bleich und lächelnd in den Kissen liegen sah und einige Schritte davon ein kleines rotes Etwas, das an einer braunen Brust sog, da ergriff ihn eine solche Rührung, daß er zu seinem Weibe hinstürzte und ihre Hände tüssend, ausrief:

,, Cäcilie, Christus ist auferstanden! Er ist wirklich auf­erstanden!"

Dann sette er sich schluchzend neben ihr Bett. Von Mitleid ergriffen sagte die bethlehemitische Amme in tröstendem Tone zu ihm:

,, Weine nicht, Herr! Gott   ist gnädig, dieses Mal ist es nur ein Mädchen, aber das nächste Mal wird es ein Knabe sein, Inschallah!">

Aber als ob das Kind diese Beleidigung verstanden hätte, ließ es die Brust los, wandte das Köpfchen nach seinem Vater hin und fing an zu schreien.

Vergnügt nahm dieser es in seine Arme. Sogleich be­ruhigten sich seine überreizten Nerven und fröhlich sagte er: Cäcilie, nun habe ich auch einen Namen für sie ge­funden; sie soll Ziona heißen."

11.

Man taufte Ziona unten im Audienzzinier des. Agha. Die bethlehemitische Amme im goldenen Kopfput und weißen Schleier hielt sie auf ihren mit Ringen geschmidten Armen, während Herr Fischer ihre Stirn mit Jordanwasser benekte. Der anglikanische Prediger im roten Chorrock las das Evangelium St. Joharnis, und der Missionar Goldmann, dessen unwattierte Beinfleider um seine dürren Beine schlotterten, weinte bei der Erinnerung an seine eigene Be­fehrung und Taufe in seinen Apostelbart.

Kitty sang in hellem Seleide am Harmonium einem Geschenk Elias und die arabischen Waisenfinder mit ihren fahlgeschorenen Köpfen und engen Anstaltsanzügen schluchzten nach besten Kräften.

Frau Fischer, die in ihrem mit Gewalt zugeknöpften Hochzeitskleide fast erstickte, recte und streckte den Hals, während Cäcilie, die ein Kleid von malvenfarbiger Seide trug, am Arm ihres Gatten glücklich und vornehm lächelte.

Sinter ihnen standen paarweise, ernst und würdig, die Hände auf dem Bauche gefaltet und mit niedergeschlagenen Augen, sämtliche Mitglieder der protestantischen Gesellschaft Jerusalems  , vom Schweizer   Banfier nebst Gemahlin bis zu den amerikanischen Resurreftionisten mit ihren Gattinnen. Die letzte Reihe bildeten die Diakonissinnen, deren weiße Tüll­häubchen gut mit dem Kalfanstrich der Wände harmonierten. Im schwarzen Mantel, auf den Kreuzgriff seines Schwertes geftüßt, stand ganz allein am Eingange unter dem mächtigen Türgewölbe Bohemund  , Graf d' Iblin de Courte nay, Edler von Askolon, Jaffa   und Arzur, Großprior des Malteserordens und Freiherr   vom Heiligen Grabe,

1906

Auf Elias inständige Bitten war er gekommen, um, so zu sagen, als stummer Taufzeuge den Geist des Positivismus bom Haupte Zionas zu bannen.

Seine hohe poetische Gestalt überragte die ganze Ver­sammlung und trug in dieses alte Sarazenenhaus etwas vom Glanz und der Größe des verstorbenen Rittertums hinein. si

Draußen auf dem Hofe wurden alle Bettler und Krüppel Jerusalems   gespeist. Von Zeit zu Zeit hörte man zwischen dem Klappern der Krücken und Stöcke die Stimme des ältesten der Blinden  , der den Segen Allahs   auf den Emir von Zion und seine Tochter herabflehte.

Nur die Ausjägigen fehlten bei dem Festmahl, da sie niemals die Stadt betreten durften. Als endlich Haus und Hof sich geleert hatten, stieg daher Elias selbst zum 3ionstor hinauf, wo die außerhalb des Lebens Stehenden" auf ihr Almosen warteten.

Als er sein Geld verteilt hatte, näherte er sich dem jungen, Mädchen, das abseits saß.

Sie erkannte ihn wieder und bedeckte in plöglich auf­steigender Scham das Geficht mit einem Zipfel ihres Ge­wandes. Mit brennenden, traurigen Augen blickte sie ihn an. Gib mir eine Hand!"

Sie reichte ihm ihre Schale hin.

Nicht Deine Schale, Deine Hand!"

,, Das ist verboten," erwiderte sie mit zuuernder Stimme. Tut nichts, gib sie mir!".

Er beugte sich zu ihr herab und legte ihr ein Goldstück in die kleine Kinderhand, deren Finger sich bereits frümmten, und deren feines Handgelenk schon zu schwellen begann. Sie erschauerte. War es, weil sie mit seinem Fleisch in Be­rührung fam, oder weil sie der Anblick des Goldes erregte? Der Zipfel ihres Aermels fiel zurück. Er sah, daß ihre Lippen mit Blasen bedeckt waren und ihre Zähne sich zu lockern an­fingen.

Von neuem trafen sich ihre Blicke. Leise sagte sie:

,, Ach, Herr, warum ist Dir nicht auch ehristi Macht ver­liehen, da Du doch sein Herz hast?"

Er schritt langsam zu den Wällen zurück, an die sich eine verfallene Moschee lehnte. Es war das Heiligtum der Aussätigen. Rings berum hingen verwitterte Sereuze und Marienherzen; auch Tuchstücke, die Votivgegenstände der Mos­lemin. Denn die Aussätigen, die feine eigene Gottheit haben, beten zu allen Heiligen und setzen ihre Hoffnung auf alle Wunder.

Als Elias an diesem vom Winde hin und her gewehten Lumpenfranze vorbeischritt, seufzte er:

Ach! marum bin ich nicht Christus? Wie gern würde ich allen Gebeten, welche diese Zumpen verförpern, Erhörung schenken!".

Traurig stieg er den Hügel hinab; da sah er, daß ihm eine zarte, vornehme Gestalt entgegenkam, deren blonde Haare einen lichten Schein auf diesen düsteren Weg des Elends warfen.

Es war Cäcilie. Sie batte noch ihr malvenfarbenes Kleid an und eine Libanonscbärpe um die Schultern geworfen. Elias erbebte vor Freude.

Sie legte ihren Arm in den feinigen.

Ich wurde schon recht ungeduldig. Wie lange Du doch fortbleibst!"

Er antwortete nicht, sondern drückte sie nur fester an sich. Dem armenischen Kloster gegenüber setzten sie sich auf eine Bank, auf der er sich erst fürzlich ausgeruht hatte, und lehnten sich an die dahinter stebe ide Zeder.

Ein duftender Grasteppich breitete sich zu ihren Füßen aus.

Ans der alten grünen Ruppel des Klosters drang das Geräusch einer Messe, leise und feierlich, als ob es das in seinem Ewigkeitstraum erstarrte Zion nicht stören wollte. Vor der Tür des Klosters stand ein junger Mönch und beobachtete sie. Er hatte lange, lockige Haare, glühende Augen und einen roten Mund, der nach Leben lechzte. Hinter ihm im Vorflur brannte eine kleine Lampe und nur undeutlich fonnte man die abgebärmten Züge eines Christusbildes erkennen. Elias hatte Cäcilie umarmt und dachte:

Ich möchte doch lieber nicht Christus sein und auch nicht