Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 67.
Donnerstag, den 5. April.
( Nachdruck verboten.)
1906
Ach, welch erbauende Predigt! Welch Flare, tiefe Aus
Die Eroberung von Jerufalem. legung der heiligen Schrift!"
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Ich bin nicht so glücklich, wie man glaubt," fing Cäcilie wieder ganz leise an. Ich ängstige mich um meinen Mann und seine Religion. Im Anfang unserer Ehe war er ganz anders. Da folgte er mir in allem. Wir lafen zusammen die Bibel und gingen gemeinsam zur Kirche. Jetzt findet er feine Zeit dazu, und beim geringsten Vorwurfe geht er fort oder schließt sich bei seinen Gößen ein. Ach, diese Gözen! Mir kommt es vor, als ob sie ihn so ungläubig machen!" Nun, und weiter?"
Da habe ich zu Gott gebetet, Tag und Nacht ihn angefleht, mir doch, da meine Kräfte unvermögend sind, Hülfe zu senden, einen Verbündeten, der erleuchteter und gläubiger ist als ich, um das verirrte Herz meines Gatten wieder auf den rechten Weg zu leiten."
,, Und Sie glauben, daß er Sie erhört habe?" Sie waren am Ende des Ganges angelangt und standen nun im vollen Lichte. Vor ihnen breitete sich der Zionsplaz im Sonnenglaste aus, und dahinter hob sich die graue, düstere Linie der Umwallung scharf vom lachenden, heiteren Himmelsblau ab.
„ Ja," sagte fie, ihn fest anblickend, ich bin fest davon überzeugt. Eine innere Stimme sagt es mir. In Ihre Hände, Herr Pastor, befehle ich meinen Mann."
Ich will bei dem, was ich tue, den Eingebungen des Allerhöchsten folgen. Haben Sie Vertrauen zu mir. Klagen Sie mir Ihr Leid, ich nehme die Bürde gern auf mich. Gehören wir ja doch zu derselben geistigen Familie; der gleiche Glaube verbündet uns."
Lange und innig drückten sie sich die Hand. Dann ging er, dieses kleine, schwarze Staubkorn, ohne Schatten und ohne Umrisse, quer über den vom Sonnenlicht überfluteten Blat, und er trat so heftig auf, daß der tausendjährige Hügel unter feinen Schritten widerhallte.
Aber sarkastisch grinste die düstere Davidsburg mit ihren zahnlüdigen Schießscharten hinter ihm drein.
3.
Seit der Zeit war Pastor Zorn oft Gast im Hause des Agha, und Frau Jamain ging regelmäßig alle Sonntage zum neuen Bethause, das man hinter der Grabeskirche auf dem Territorium der alten Pommernritter erbaut hatte.
Es war ein langer, nüchterner, weißgetünchter Saal mit einfachen Bänken und zwei Reihen Fenstern, durch deren gewöhnliche Glasscheiben das Tageslicht grell in den Raum fiel. Nur an der blaßblau getünchten Decke gligerten ein paar Silbersterne. Auf dem schwarzen Altar, der wie ein Katafalk aussah, streckte ein Marmorkreuz seine Arme aus, und auf der von einem schwarzen Baldachin überragten Kanzel stand der Doktor der Theologie im Trauertalar, erklärte die Bibelterte und ermahnte die Gemeinde zu einer Frömmigkeit ohne Lauheit und Toleranz.
Auf der ersten Bank, der Kanzel gegenüber, saß Cäcilie und hörte andächtig zu. Manchmal trafen sich ihre Blicke und da fühlte sie, daß er für sie predigte.
Eine evangelische Glückseligkeit durchschauerte sie, ein heiliger Eifer rötete ihre Wangen. In Gott und feinem heiligen Worte schmolz ihr ganzes Sein dahin, hinter den Sternen der Dede glaubte sie den Himmel sich öffnen zu sehen.
Tränen verschleierten ihre Augen, und sie bedauerte, nicht mehr Christi Braut zu sein.
Wenn er dann schwieg und das Auditorium, vom Harmonium begleitet, den Schlußgesang anstimmte, dachte sie mit Herzbeklemmung, daß sie nun bald diese fromme, ihr vertraute Stätte verlassen müsse, um daheim, in dem alten Sarazenenhause einen vom Heidentum begeisterten Gatten vorzufinden und ein Töchterchen, dessen Sprache sie kaum verstand.
In der Vorhalle versammelte sich die ganze Gemeinde. Schwester Charlotte und die anderen Diakonissen trockneten sich die Augen.
Und Herr Simon und Herr Nikodemus antworteten: ,, Wie man doch gleich den studierten Theologen heraus erfennt. Man fühlt ordentlich, wie sich da die Seele eines wahren Gläubigen ergießt!"
Und der gute Fischer war dann der erste, der zugab: " Ja, solche Sonntage stärken und erheben einen für die ganze Woche."
Durch die Tür der Sakristei kam Doktor Zorn daher, den rechten Arm steif herabhängend, zwei Finger der linken Hand in Brusthöhe zwischen die Knöpfe feines Ueberziehers gesteckt, in einer genau einstudierten Haltung, welche gleichzeitig den Militarismus und die Geradheit des Christentums ausbrüden sollte. Mit raschem, strengem Blid musterte er seine geistliche Herde.
Ohne Talar verlor er viel von seiner Würde, Cäcilie aber sah noch immer um seine schweißfeuchte Stirn den Glanz des Mortes strahlen.
Herablaffend tauschte er mit allen einen Händedruck, mik Frau Jamain aber unterhielt er sich längere Zeit und oft begleitete er sie sogar.
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Nach Ihnen, Herr Prediger."
Und wirklich trat er vor ihr ein.
Im Hintergrunde waren die Türen der Basilika weit geöffnet. Ueber der sich dort drängenden Menge fah man den von Küssen glatt geschliffenen und von Lampen und Leuchtern umgebenen Salbungsstein".
"
Er nahm seine Kopfbedeckung nicht ab, und sie verbeugte sich nicht.
Der ganze Platz halfte von durchdringendem Kyrie eleisonGeschrei wieder. Von Priestern verschiedener Konfessionen geleitete Prozessionen stießen aufeinander und stritten sich um den Vortritt in die Kirche. Und inzwischen löften die Bilger fich in einzelne Gruppen auf und rutschten, die Fliesen füffend, auf den Knien umher.
Welche Schande!" rief der Pastor. Aber troßdem beflage ich diese Unglücklichen tief, die an eine dem Boden anhaftende Heiligkeit glauben. Wann werden sie wohl Christi Worte verstehen: Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."
Sie schritten die Stufen hinauf, wo die ganze Bettlerschaft von Jerusalem , diefer Haufen von Lumpen und Elend, griechische und lateinische Gebete stammelte. Dann bogen sie rasch in das Fälschergäßchen" ein, wo hinter dem Kerzenvorhange goldgrundige Heiligenbilder funkelten. Hier war das Gedränge so start, daß sie oft stehen bleiben mußten oder mit fortgerissen wurden. Gläubige Pilger und Touristen stießen und zankten sich vor den Läden, fauften hier eine Rose von Jericho, handelten dort um ein Fläschchen Jordanwasser, eine Dornenkrone oder eine Paradieskarte.
Beim Andrang der Käufer stürzten manchmal ganze Haufen von Kruzifiren und Weihrauchbroten den Vorübergehenden auf den Kopf.
Hübsche Chorknaben drängten sich um die Priester. Ein schwüler, sinnereizender Duft wogte über der Menge. Herr Zorn wurde ganz aufgebracht:
" Lauter Gößendienerei! Gößendienerei, Aberglaube und Abweichung vom wahren Christentum. Ach! Kehrte Jesus zurück, wie würde er sie von den Türen seines Heiligtums fortjagen! Wie betrübt es mich, wenn ich daran denke, daß auch Ihr Gatte zu dieser Nasse gehörte, die in der Finsternis tappt. Warum haben Sie ihn eigentlich geheiratet?"
,, Um ihn zu befehren," antwortete sie ganz aufrichtig, denn schon lange war in ihr die Erinnerung an ihre bräutlichen Gefühle verblaßt.
Der schwüle Dunst wurde immer stärker. Cäcilie wurde von einem Schwindelanfall ergriffen und lehnte sich schwer auf den Arm des Pastors. Etwas verwirrt blickte er sie an, faßte sich jedoch rasch und sagte:
Rasch! Rasch! Beeilen wir uns, aus dieser ungefunden Umgebung herauszukommen, damit wir nicht auch noch bon dieser heidnisch- sinnlichen Atmosphäre angesteckt werden."