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Und er führte fie nach der Davidstraße, wo die Musel- Boltsftamm hat er ein gutes Zeil feiner urwüchsigen Art mitgeerbt. Auf dem engeren Heimatboden haben einst der Bundschuh" wie die manen schläfrig in ihren Gewölben hockten. Reformation blutige Spiele geliefert. An den Troßtöpfen der Franken zerschellte so manche Ritterschaft wie zelotischer Pfaffenhochmut. Revolutionäre Oppositionsluft liegt diesem Volksschlag im Blute. Von dem allem hat Conrad viel mitbekommen.
Auf dem Zionshügel angelangt, fragte Cäcilie regelmäßig: Wollen Sie, verehrter Herr Pastor, uns nicht die Ehre erweisen, unser bescheidenes Mahl zu teilen?"
Fast immer nahm er die Einladung an; stets erwarteten ihn dann derbe deutsche Gerichte und Mehlspeisen, die Cäcilie selbst zubereitet hatte und deren Duft die Familientafel wie Heimatsluft umschweben sollte.
4.
Binnen Jahresfrist machte der Protestantismus in Jeru salem auffallende Fortschritte.
Früher schüchtern und sich mehr passiv im Hintergrunde verhaltend, wurde er jetzt kampfbereit und fortschrittlich. Man sammelte einen Grundstock für wissenschaftliche Missionen und eröffnete eine Schule, in der Pastor Born Geschichts- und Religionsunterricht erteilte, und wohin auch Cäcilie ihre Tochter schickte. Die Kolonie vergrößerte sich noch durch zu gezogene Aerzte, Architekten und Ingenieure. Das lutherische Bion wurde sogar mit einer Zeitung bedacht,„ Die Trompete von Jericho", die monatlich einmal im Hinterzimmer eines bekehrten Juden gedrudt wurde. Das Papier war gelb wie Pergament, die Lettern primitiv wie diejenigen Gutenbergs. Darin veröffentlichte der Pastor unter dem Pseudonym Josua" schmetternde Artikel, mit denen er, wie einst sein Namensbruder, die Manern des Aberglaubens und Gößendienstes zu stürzen gedachte, um an ihrer Stelle eine Feste der Wahrheit und Gerechtigkeit aufzubauen. Von Zeit zu Zeit steuerte auch Cäcilie unter dem Namen„ Lilie von Saaron" ihr literarisches Schärflein in Form fleiner Jugendschriften bei, die ohne Ausnahme mit flammenden Bekehrungen oder efviger Verdammnis endigten.
Wenn Pastor Fischer sie las, feuchteten sich seine Augen, und nie mehr nannte er sein Patchen, auf das er stolz war, anders als unsere teure Schriftstellerin".
Auch sonst fielen Frau Jamains Worte schwer ins Gewicht. Sie organisierte Wohltätigkeitsbazare, eröffnete Substriptionslisten und sogar in den Synodenbeschlüssen merkte inan Spuren ihres Einflusses. Jeden Sonnabend verteilte sie Bibeln und jeden Mittwoch Kleidungsstücke sowie Arzneien, von deren Anwendung die arabischen Bettler leider nicht die geringste Ahnung hatten.
Im ganzen Hofe roch es nach Apothekerwaren, sogar oben auf seiner Zerrasse fand Elias Wollsachen und Verbandwatte vor. In ihrem schwarzen Kleide mit den weißen Mermelaufschlägen und ihren unter einem Filetnetz verborgenen blonden Flechten sah Cäcilie aus wie eine Krankenwärterin oder Lehrerin.
( Fortfekung folgt.)
Wer ihn seit zwanzig Jahren fennt, wer lange Zeit seinen persönlichen Umgang genossen hat, droben in München , wo er ansässig und wo er wohl seshaft bleiben wird: der hochgewachsene, breitbrüstige Unterfrante, heute wie damals immer derselbe Feuerfopf, immer dieselbe Kraftnatur, voller bajuwarischer Derbheit und grunddeutscher Ehrlichkeit, zu jeder Stunde waffenbereit, um die Horde literarischer Flidschuster, aesthetischer Billendreher, salbungshungriger Moralpfaffen und urständiger Kunstbanaufen aufs breite Lästermanl zu schlagen ich fage nur, wer Conrad kennt!
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Und seine Schriften gelesen hat! Sie befunden seines Schöpfers rajsige Ursprünglichkeit mitsamt allen Tugenden und Fehlern. Fast möchte man fagen, man fönne seine Mängel lieben: so urfräftig springen fie aus einer an Goethes Vorbildlichkeit gemahnenden genialischen Vollnatur hervor, die freilich auch zuweilen posirende Blendlichter aufsetzt. Aber wo ist ein moderner Künstler zu finden, durch dessen Wesen die große Zeitseele schladenrein hindurchgegangen wäre!
Was Conrads Nörgler und Feinde auch immer sagen mögen eins fann feine noch so geflissentlich betriebene Geschichtsfälschung aus dem Gedächtnis der Mitlebenden vertilgen, nämlich die unumstößliche Wahrheit: daß der modernen Literatur diese Ulrich Hutten - Gestalt bitter notwendig gewesen ist. Jene Betwegung wäre ja wohl einmal gekommen; der Anschluß an die politische und soziale Entwickelung der Dinge mußte über furz oder lang gefunden werden. Aber zu einem Bauernaufstand" in der Literatur würde es schwerlich ohne Conrad gekommen sein.
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Conrad ist am 5. April 1846 zu Gnodstadt unweit von Mellrich stadt geboren. Vom bäuerlichen Vaterhause, vom unterfränkischen
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Die früheste Periode seiner publizistischen Wirksamkeit zeigt reformatorische Tendenzen. Eine erste Reihe fleiner Schriften befaßte fich mit der Reform der Erziehung, und zwar vorwiegend der Erziehung des Volfes zur Freiheit"( 1872, dreimal aufgelegt). Eine zweite Reihe befaßte sich mit der bürgerlichen Moral und Kultur in der Erscheinung der Freimaurerei . Hieher gehören: Die Loge im Kulturkampf"," Flammen! Ein Buch für freie Geister" und Der Freimaurer ". Eine dritte Reihe befaßte fich in scharf aggressiver Form mit der ultramontanen Afterkultur. Die in diese Kategorie gehörenden drei seiner bedeutendsten Bücher aus Italien ( Spanisches und Römisches"," Die legten Päpste" und Die religiöse Krisis") wurden im Mai 1878 in Preußen prozessiert, zum Teil vernichtet und der Verleger in eine Geldstrafe von 300 M. genommen. Conrad weilte seit Jahren im Auslande. Bereits 1871 hatte er den fränkischen Schulstubenstaub abgeschüttelt und war nach Italien gegangen, wo er nun fieben Jahre lang literarischen und philologischen Studien oblag. Sodann folgte ein fünfjähriger Aufenthalt in Paris mit Rundgängen durch und französischem Boden reifte eine vierte Reihe von Schriften her. Spanien , Portugal , Belgien bis nach England. Auf italienischem an, die der modernen Kunst und Dichtung gewidmet sind, und zwar: Die Musik im heutigen Italien "," Rossini und Wagner", " Parisiana"," Französische Charakterköpfe"," Madame Lutetia" usw. Es ist eine Luft, sie zu lesen. Das Porträt des geiftsprühenden, trokig und herausfordernd waffenflirrenden Streiters wie originellen Caufeurs, als den wir ihn fennen, tritt uns in diesen Büchern entgegen.
Anreger und Neutöner in seiner Ganzheit.
Und doch noch nicht der Reorganisator, der schöpferkünstlerische
Als erster Leitstern auf dem Wege seiner Entwickelung war ihm Richard Wagner erschienen. Wagnerianer war ich, feit ich als zehnjähriger Junge auf meinem fränkischen Heimatdorfe zum ersten Male Melodien aus" Tannhäuser " und" Lohengrin " auf einem alten gebrechlichen Hammerflavier spielen fonnte. Und ich war Michicheaner, als ich 15 Jahre später in der Buchhandlung von Detten und Rocholl zu Neapel die ersten Seiten von der Geburt der Tragödie " gelesen hatte," bekennt Conrad in seinem Werkchen on Emile Zola bis Hauptmann". Zu Wagner und Friedrich Nietzsche gesellte sich Zola , dessen Roman Ventre de Paris" ( Der Bauch von Paris") Conrads Lektüre auf seiner Reise nach Seinebabel bildete. Nun reifte dieser der Erfüllung inbrünstigster Sehnsucht nach einer modernen Kunst entgegen. Der Verkehr mit den bedeutendsten französischen Schriftstellern, in erster Reihe mit Bola, öffnete ihm die Augen über die heillose Versumpfung der deutschen Literatur. Ihr stellte er in der Frankfurter Zeitung ", für die er an Stelle Mag Nordaus von 1879 bis 1881 die Barijer Briefe schrieb, Emile Zola in mehreren Auffäßen entgegen. Er ist damals so ziemlich der Einzige gewesen, der den Schöpfer des naturalistischen französischen Romans mannhaft gegen die Anwürfe als Schweinepriester und moralischer Lump verteidigte!
1879 tam Conrad nach langjähriger Abwesenheit von der deut schen Heimat nach München . Im Frühling des nächsten Jahres wurde Jbsens„ Nora" am Hoftheater gegeben. Diese Aufführung und eine Wallfahrt zur Villa Wahnfried des Bayreuther Meisters Wagner: das waren Conrads einzige Erlebnisse in der bayerischen Hauptstadt. Was er da von der deutschen Dichtung sah und hörte, verstimmte ihn bis ins tiefste Mart.
Wieder nach Paris zurückgekehrt, hielt er in den Wintern von 1880 bis 1882 Vorträge in deutscher und französischer Sprache über Wagners Meistersinger, über Schopenhauer , Nietzsche, Hamerling, Wilbrandt u. a.
Aber nun litt es ihn nicht mehr länger in der Fremde. 1882 übersiedelte er dauernd nach München . Im gleichen Jahre ließ Conrad sein erstes Novellenbuch, die parischer- deutschen Liebesgeschichten„ Lutetias Töchter" erscheinen. Ein Vorläufer zwar der naturalistischen Richtung Jüngstdeutschland, aber es war die jüddeutsche Note, die von der später aufgebrachten Note der„ konsequenten Naturalisten" in Berlin merklich verschieden ist. Eins war Conrad flar, und deswegen hatte er sich auch nach Deutschland begeben: daß mit der senilen Literatur von Gestern" aufgeräumt werden müsse. Der erste Anlaß hierzu wurde 1883 auf dem Darmstädter Schriftstellertage genommen. Dort erklärte Conrad in öffentlicher Debatte und hernach in einem etwas humoristisch frisierten Trinkspruch: wenn der deutsche Schriftstellerstand etwas bedeuten wolle in der heftig erregten Welt, das weitergehe als das Interesse an Goldschnitt- Lyrif, Familienblatt- Romanen und sanften Theatralikerscherzen, dann müsse er in seiner Literatur Eigenschaften entwickeln, die einem Helden- und Künstlervolke auch rechtschaffen zu Gesichte stehen. Das war deutlich genug gesprochen. Die Tat ließ Conrad Ende 1884 folgen: er gründete aus eigenen Mitteln die Zeitschrift Die Gesellschaft". Nun war Das Sammelorgan für die neue Literatur geschaffen; der„ Bauernfeldzug" begann. In geschlossener Kohorte stürmte Jungdeutschland den Parnaß. Dem Herausgeber der Gesellschaft" war es teineswegs darum zu tun, das naturalistische Prinzip in seiner engsten Faffung als alleinseligmachendes Dogma der deutschen Jugend zu