Anterhaltungsölatt des vorwärts Nr. 70. Dienstag, den 10 April� 1906 (Nachdruck verboten.) Vie Eroberung von Jerusalem . Roman von Myriam Harry . LI) Autorisierte Uebersetzung auS dem Französischen Von Alfred Zenker .,O l die Zivilisation wird Ziona nicht viel anhaben. Aber sehen Sie doch, da steigt auch noch Herr Fischer mit seinen Neubekehrten zum Zionstor hinauf. Was gibt es denn heute?" Wahrscheinlich irgend eine Versammlung bei meiner Frau. Gegenwärtig findet täglich eine statt. Ich weiß nicht mehr, wohin ich mich flüchten soll, um ruhig arbeiten zu können. Ach ja, das hatte ich ganz vergessen: heute findet ein Wettgesang statt. Das ist ein Einfall von Frau Goldmann, um Cäcilie, die sehr schlecht singt, zu demütigen. Innerlich verabscheuen sie sich, während sie sich äußerlich süß anlächeln, und wenn meine Frau die Missionarsgattin nicht ihres Har- moniums wegen brauchte, so hätte sie dieselbe schon längst auf den Index gesetzt. Dabei scheint diese Kitty weder dumm noch boshaft zu sein." Kitty, die kleine Kitty... ja, hübsch... sehr hübsch." Und der Doktor, der langsam aus seiner Betäubung er- wachte, machte mit seiner Pfeife in der Luft eine liebkosend streichelnde Bewegung. Sieh da! unser Amenjeu wacht auf," rief der Ritter, der sich erstaunt umwandte.Woher kennen Sie, alter Haschischraucher, denn eine Missionarsfrau? Sie sind doch nicht etwa krank, alter Freund?" Das ist eine alte Geschichte... als ich Marinearzt in Port Said war. Die kleine Kitty... wir liebten sie sehr, sie war immer heiter... lachte immer. Jedesmal, wenn wir vor Anker gingen, besuchten wir sie... ja.... Ich bin ihr hier begegnet... sie hat mich nicht wiedererkannt... hübsch... ja, sehr hübsch..." Dann wiederholte er die liebkosende Gebärde mit seiner feinen, wachsbleichen Hand. Aber auch das alles ist eitel... nichtig... und martert den Geist..." Ach ja, Sie haben recht, all' das ist eitel, und ich weiß wirklich nicht, warum Leute, wie wir, sich solcher Kleinigkeiten wegen den Kopf zerbrechen. Was gehen uns diese Frauen an, diese Prediger, diese Jndustricrittcr da unten und die ganze Zivilisation! Wir haben etwas, das uns über die Häßlichkeiten und den Posi- tivismus dieses Jahrhunderts hinwegtröstet. Wir haben unseren Traum: ich den von der Eroberung meines Jerusalem und Sie den von Ihrer Göttin!" O, meine Göttin! Es gibt Augenblicke, da ich auch an sie nicht mehr glaube," seufzte Elias. Aber sehen Sie doch, kommen Sie doch herauf, hier können Sie besser sehen! Nie habe ich einen schöneren Sonnen- Untergang bewundert! Wir haben die Sonne für uns, Eliiis! Sie zollt uns Beifall!" Bon der Warte schauten der Ritter und der Gelehrte nach Zion hinüber, das wie eine goldene Flamme lohte, und weiter im Osten nach Moab , das wie eine Frauenschärpe in allen Regenbogenfarben schillerte. 6. Es war ein furchtbar trockener Sommer. Die Luft glühte wie ein Backofen, man wußte nicht, woher all dieses Feuer kam, aus den vulkanischen Nissen der Erde oder vom gelben Himmel, der wie eine von der Sonne durch- glühte, schweflige Wolke tief herabhing. Das Pflaster des Zionsberges brannte durch die Sohlen: Wolken von Heuschreckenschwärmen kamen mit dem Winde aus der Wüste her und fraßen, nachdem sie das spärliche Grün der ganzen Umgegend abgenagt hatten, dann auch das, was noch von den verkümmerten Hängegärten übrig geblieben war. Die Salomonischen Teiche waren leer. Die Zisternen der Stadt trockneten zusehends aus, Wasser aus der Quelle Siloah und dem Hiobbrunnen war fast so teuer wie Rosen» essenz. Jerusalem seufzte wie eine durstende Hündm. Selbst der Abend brachte weder Kühlung noch Erfrischung. Auf den um die Dachkuppeln laufenden Terrassen blieben die weißen Gestalten unbeweglich wie Tote in ihren Leichen- tüchern. Kein Schleier wehte, keine Armspange klirrte, kein Schakal heulte den Mond an. Nur im mohamedanischen Viertel hörte man, von Stunde zu Stunde immer weiter um sich greifend, etwas wie ein Feldgeschrei, bei dem die Christen erzitterten: Allah il Allah! Fakire durchzogen heulend und tanzend die Stadt. Sis kamen aus Arabien von der Pilgerfahrt nach Mekka zurück., Sie nährten sich vom Staube der Straße und tranken ihren eigenen Schweiß. Sie predigten auf ihrem Wege den heiligen Krieg. Denn verweigert der Himmel den Regen, so dürstet die Erde nach Blut. So durcheilten sie die Straßen, ihre Lanzen schwenkend und ihre Wangen mit kleinen Pfeilen durchbohrend. Und unterwegs schwoll der Zug der grünen Fahnen und Turbane, der Trommelschläger und Querpfeifer immer mehr an. Leute, die sonst im Hintergrunde der Läden schlaftrunken die Perlen ihrer Bernsteinrosenkränze durch die Finger gleiten ließen, sprangen auf wie wilde Tiere: Wasserträger gaben allen, die darum baten,aus Liebe zum Propheten" umsonst zu trinken: geputzte Negerinnen verhießen den Glaubensstreitern ihre Liebe zum Lohn: sogar Kinder knirschten mit den Zähnchen und gebürdeten sich, als ob sie die Köpfe der Franken herunter» säbeln und ihr Fleisch kurz und klein hacken wollten. Die Schauer eines Blutbades flogen über die Stadt hin. Juden und Christen versteckten sich in ihren Häusern, und acht Tage lang vergaß man aus Angst vor dem Tode die Qualen des Durstes. Pastor Zorn, der sich trotz allen Gottvertrauens in seinem modernen Hause nicht recht sicher fühlte, suchte hinter den alten Sarazenenmauern der Jamains Schutz. Auch der Bankier flüchtete sich mit seiner Familie dorthin- Herr Goldmann, der um 5titty besorgt war, brachte sie eben- falls dort unter: er selbst aber durchstreifte, heldenmütiger und begeisterter als je. trotz inständigster Bitten seiner Frau, die Straßen, und verschmähte sogar sein auswattiertes Bein- kleid und den mit Zinkblech gefütterten Schirm. Seine Juden! Man könnte seine Juden morden! Müßte aber auch ihr Leib verderben, so sollte doch wenigstens ihre Seele gerettet werden. Und während er das Judcnviertel durchstreifte, bald in die Synagogen, bald in die kleinen schmutzigen Wohnungen eindrang, verkündete er die Nichtigkeit des Gesetzes sowie die Verachtung des Todes, da das Zeitalter der Liebe angebrochen und die Auferstehung verheißen sei. Elias bat ihn, wenigstens einen Revolver mitzunehmen« Der Ewige ist mein Schild!" Und er zeigte ihm eine Bibel, die er zum Schutze deZ Herzens in die linke Brusttasche gesteckt hatte. Eines Tages aber trug man ihn in das Haus der Jamains. Man hatte ihm die Augen ausgestochen und den Körper mit Lanzenstichen durchbohrt. Sein Blut war in Strömen geflossen und hatte die Erde getränkt. Trotzdem lebte er noch. Man legte ihn auf den Diwan im unteren Zimmer, Kitty warf sich über ihn. Mein Lieb, mein Lieb! Was haben diese elenden Juden mit Dir gemacht?" Die zerfetzten Lider über den leeren Augenhöhlen be» w:gt«n sich, als ob er weinte. Ach, Kitty! Nicht die Juden waren es. Gott ist un> gercchi! Gott ist ungerecht! Ich hatte ihn so sehr gebeten» mich unter den Steinwürfen der Kinder Israels sterben zn lassen, und nun haben mir die Eisen der Heiden den Todes» stoß versetzt." Einige Minuten später hauchte er infolge der vielen Wun» den wie der erlittenen Enttäuschung seine Seele aus. Er»- staunt und erschüttert sah Elias die vergrämte, schmerz- verzogene Totenmaske, aus der die ganze Apostelschönheit ge- schwunden war. Am selben Abend öffnete der Himmel seine Schleusen, die grüne Horde zog nach Hebron weiter, und nach Löschung ihres Durstes fand die Stadt auch ihren Frieden wieder, Am folgenden Tage begrub man den Missionar.