278 Es war ein ärmliches Begräbnis, ohne Blumen und ohne großes Gefolge, bei strömendem Regen und mitten im Freudentaumel des vom Durste befreiten Jerusalem . Lachend und kreischend stieg man mit sämtlichem Kuchen- jgeschirr auf die Dächer; Weiber tanzten übermütig auf den Straßen, daß der Kot spritzte; Männer fingen das Labsal in den Händen auf und schlürften gierig, daß es den Bart herabträufelte. Ein Blinder lag platt auf dem Bauche und trank wie ein Hund aus einer Pfütze; die Kinder hockten unter den Traufen oder standen mit zurückgebcugtem Kopfe und ließen sich den Regen geradewegs in den Hals laufen. Allad karim! Allah kariml(Gott ist gnädig.) Man berauschte sich am Wasser. Der schwarz angestrichene Sarg sechs Bretter wurde von arabischen Waisen getragen, die mehr Lust hatten zu tanzen, als einen Leichnam zu schleppen. Der Zug kam aus der Sackgasse heraus, ging an den inneren Gräben entlang, an der Davidsburg vorbei, und kletterte dann nach kurzer Rast an der anglikanischen Kirche mühsam den steilen Weg empor, der zum armenischen Kloster führt. Endlich ging man durch das hohe Zionstor hinaus, um die Wälle herum und stieg dann wieder zum protestantischen Kirchhof hinab, der dicht am gegenüberliegenden Abhang des Berges lag. Nur wenig Leute folgten. Die einen hatten sich noch nicht recht von ihrem Schrecken erholt, andere hatten nicht recht- zeitig bestellt werden können, noch andere überwachten die Füllung ihrer Zisterne; im Grunde aber hegten alle einen heimlichen Groll gegen diesen Missionar, der sich törichter Weise von den Türken hatte hinmetzeln lassen. In den Augen der ganzen Stadt war es eine Blamage. Die Mohamedaner erfüllte sie mit Stolz, die Israeliten mit Freude, und den Katholiken kam sie sicherlich auch zu statten. Unaufhörlich fiel der Regen, fiel auf die arme Kitty, auf den armen Toten, drang durch den roh gezimmerten, schlecht angestrichenen Sarg und tröpfelte in schwarzen Tränen Von den vier Ecken der Bahre. Und je mehr der Sarg seine Trauerfarbe verlor, desto mehr löste sich auch das kleine Trauergefolge auf, so daß an dem zur Hälfte mit Wasser gefüllten Grabe schließlich kaum ein Dutzend Personen blieb. Bon Pastor Zorns Stirn nur halbwegs geschützt, haspelte der anglikanische Geistliche, der seinen Talar bis zu den Knien - aufgehoben hatte, seine Rede rasch herunter, und kürzte die Gebete so viel wie möglich ab, während der Sarg mit gluck- sendem Laut immer tiefer einsank, und die am Grabesrande vis über die Knöchel im Kot Stehenden den Kopf zwischen die Schultern zogen und sich wie nasse Katzen schüttelten. Dann reichte jeder der Witwe seine kalte, nasse Hand und entfernte sich eilig, über den voraussichtlichen Schnupfen und die UnVollkommenheit dieser Welt nachdenkend. Elias blieb mit Frau Goldmann allein zurück. Sie hatte geweint, sie war nicht ohnmächtig geworden, iftc hatte sich nicht ins Grab zu stürzen versucht, wie es in Jerusalem Mode war; aber er glaubte nie etwas s o Ver- lassenes, Klägliches und Schmerzvolles gesehen zu haben wie diese starre und stumme Gestalt auf dem öden Kirchhofe, wo die Heuschrecken sogar die Rinde der Zypressen abgenagt hatten und die Leichensteine in Wasserlachen schwammen. Er bot ihr seinen Schirm und seinen Arm. Langsam stiegen sie den von Gewittergüssen verwüsteten Hügel empor. Die Regentropfen rieselten noch immer von ihrer Witwenhaube auf die bleichen Wangen herab, und ihre bläulichen Lippen zitterten unaufhörlich in bitterstem Schnierz. Sie frieren doch nicht?" Ohne auf seine Frage zu achten, seufzte sie: Der arme liebe Mersch! Der arme liebe Mensch! Wie enttäuscht muß er in seinem nassen Grabe sein! Er wäre am liebsten bei der Predigt des Evangeliums inmitten seiner Juden gestorben, damit der Anblick seines Martyriums ihre Bekehrung beschleunige." Liebte er denn das Leben nicht, da er so sehr den Tod herbeisehnte?" Ja, er liebte das Leben; aber vor allem das der anderen. Auch mich hat er gerettet. Er wähnte es durch seine Religion getan zu haben, aber das ist nicht der Fall. Er hat mich be- kehrt durch seine Güte und durch seine messianische Liebe. Ihnen kann ich es wohl sagen, oft genug hat man es ihm vor- geworfen, dem Armen! er hat mich aus dem Schmutze gezogen. And doch hat er mich geliebt, wie man eine ehrbare Frau, wie man eine Jungfrau liebt, ohne mich jemals seine Seelengröße oder sein Mitleid fühlen zu lassen." Und habt Ihr Euch in Christo geliebt, wie man hier sagt?" konnte Elias sich nicht enthalten, zu fragen. Ich weiß es nicht. Wir haben uns geliebt, ganz schlicht, aber völlig, von ganzem Herzen und auch mit jeder Faser unseres Fleisches. Und ist eine so völlige Liebe nicht immer göttlich?" Ach! wenn meine Frau Sie doch hören könnte!" Und im geheimen dachte er: O Cäcilie, Du bist die Tochter eines Pastors und eine Gottesbraut gewesen, aber an diese kleine Tingeltangel- sängerin reichst Du doch nicht heran." Sie waren auf dem Gipfel des Berges angelangt. Dort erhoben sich sonst die Maulwurfshügel der Aussätzigen, jetzt aber war keine Spur mehr davon übrig. Die Regengüsse hatten sie unterspült und forgeschwemmt, und dieaußerhalb des Lebens und der Mauern Wohnenden", die vorher in ihrer Freude über den Regen getanzt und gesprungen hatten, sahen jetzt ernüchtert und bestürzt ihren Häusern nach, die als dünne Schmutzfäden den Berg hinunterglitten. Mir geht es wie jenen," sagte Kitty,in einer Stunde hat das Schicksal meine Hütte zerstört; von nun an werde ich keinen Schutz mehr haben." Nein," rief Elias lebhaft,nein, sagen Sie das nicht. An mir sollen Sie einen Freund haben; ich werde Sie nicht im Stiche lassen!" Zum erstenmal hob sie den Kopf und betrachtete Elias aufmerksam und erstaunt; dann stützte sich ihre kleine feuchte Hand leicht auf seinen Arm. Danke! Sie sind gut,,, und unglücklich; ich fürchte..." Ja, ich bin fast ebenso verlassen wie Sie," sagte er ganz leise, indem er sich etwas zu ihr hinabbeugte. Er schwieg; vor Rührung war ihm die Kehle wie zu- geschnürt, und seine Augen füllten sich bei dem Gedanken, daß eine Frau ihn vielleicht verstände, daß er einer Frau Mit- leid einflöße, mit Tränen süßer Trauer. Schweigend setzten sie ihren Weg durch den Sturm fort. Bor der Davidsburg sagt sie zu ihm: Leben Sie wohl und haben Sic Dank.." Kommen Sie nicht mit uns? So können Sie doch nicht weiter gehen. Sie müssen sich erst erholen, Cäcilie er- wartet Sie sicherlich." Nein, ich möchte mich lieber verabschieden und allein bleiben." Und mit trübem, doch nicht bitterem Lächeln fügte sie hinzu: Sie vergessen, daß ich nicht mehr die Frau des Missio- nars bin." (Fortsetzung folgt.! )Zlexanäer L. Kielland* Nach einer Pause von fünfzehn Jahren hatte sich der Bürger- meistcr von Stavanger , Alexander Lange Kielland , wieder der Schriftstellcrei zugewandt. Er ist in diesem Jahre wieder mit seinem NapoleonbuchNings um Napoleon " auf dem Büchermarkte erschienen. Es sei wohl vorbei mit der Schreiberei, hatte er selbst gedacht, da erwachte wieder der Trieb. Es werde noch lange nicht vorbei sein mit dem Leben, hatte der kräftige Mann es gewollt, da warf der Tod ihn plötzlich nieder. Geboren am t8. Februar 1849, ist Kielland nur 57 Jahre alt geworden. Er war der Sohn eines Großkaufmanns und studierte in Kristiania die Rechte. Tann ging er nach Paris ', nachdem er in Stavanger eine Großziegclci besessen hatte. In Paris , es war im Jahre 1879, daß er dahin ging, wurde er zum Schriftsteller. Er wurde es zunächst nicht als Norweger, er wurde es durchaus als Franzose. Er schrieb Novellen und Noveletten, die in Frankreich spielten. Sie sind voll feiner Beobachtung, voll einfacher und naher Tatsächlichkcit. Schon gleich hier zeigt sich das feste Gepräge einer Art: werden nicht extreme Falle als der Darstellung würdig gewählt. ES wird nicht übertrieben und ausgesucht. ES wird zum Nächsten gegriffen, zum Geringsten, zum Alltäglichsten. Ein merk- würdiger Reportersinn ist m der Beobachtung: sie faßt auf, was ihr begegnet. In schlichter, sachlicher Weise wird an das Tat- sächliche gehalten. Es wird der Sinn des Tatsächlichen dargetan. Und dieser Sinn ist satirisch. Es gibt einen Humor, der seine Wirkung ohne Kunstmiitel her- vorbringen kann. So gibt es auch eine Satire, die der Uebertreibung nicht bedarf. Sie hat in diesem Falle die gleiche Art wie der Humor: sie hat nur auf Gegensätzlichkeit hin zu arbeiten. Je feiner, diskreter, je wirklicher und echter sich diese Gegensätzlichkeit in der Wirklichkeit bewahrt, um so schärfer kommt die Satire heraus, um so freier und unabhängiger wird sie. Sie hat dann kein Schwert, sie hat nur den Stich. Sie hat keinen Dolch, sie hat dafür das Gift.