— 279 DicseS feine, versteckte, nödstnirfcabc Eist, da? ist die satirische Kraft Älexairder Kiellands, bei aller Flächenhaftigkcit in dem Gegensatz der Darstellung, bei aller Realität in dem Stoff. Und so ist er schon gleich— und gleich vollkommen. Hier wirkte der Norweger , der neu die französischen Zustände, die in Paris gipfelnde europäische Kulturwelt, kennen lernte. Mit der ihm angeborenen Beobachtungs- gäbe wäre er, wenn er in der Heimat geblieben wäre, vielleicht auf das Einzelwesen, auf die Darstellung der Individualität mit allen gegensätzlichen Seiten verwiesen worden. In Paris bekam seine Anlage eine andere Richtung. Er fand etwas Neues vor, was er daheim nicht gekannt hatte: den Klassengegensatz. Daheim stand dem Alten das Junge noch nicht gegenüber, es rührte nur erst daran. Man besaß das Alte zu sicher, zu ganz. ES war eine zu vollkommene Ganzheit, so daß es den Enkel immer wieder vcr- führte, sich dem Großvater zu unterwerfen und seine Art fort- zusetzen, statt ihm eine neue Art und den neuen Geist entgegen- zusetzen. Nun fand der in seiner Beobachtungsgabe schon auf die Gegensätzlichkeit gerichtete junge Kielland die Klassengegensätz- lichkcit in Paris neu vor, ja er fand sie schon so ausgebildet vor, daß man bereits in den Klassenkampf eingetreten war. Das be- stimmte sein Schaffen. Davon ward seine Darstellung abhängig. Daher gewann seine Satire ihren Klassencharakter. Reichtum und Armut, obere Gesellschaftsklassen und Proletarier, mißbräuchlichen Rechtsbcsitz und Rechtsverschandelung neben völliger Rechtlosigkeit und Entrechtung, Freiheit und Unfreiheit, Bewegung und beweg- liches Wollen, Gebundenheit durch staatliche, beamtliche und kirch- liche Bevormundung. Der Triumph des Mammons und der Heuchelei, die Machtentfaltung der satten Moral und Eigentums- Herrschaft. Die Autorität des Ueberkommenen. Immer die zwei Seiten der Medaille. Die Vorderseite wird durch die Rückseite beleuchtet und bewertet. Der Glanz wird durch das Dunkel charakterisiert. Im„Volksfest" zu Germain-en-Laye gewinnen wir einen Einblick in die Schau- und Belustigungsbuden von der Rück- seite aus. Wir sehen das Trübe und Bittere der armen Existenzen, um dadurch den Trug und Schein ihres Auftretens verachten zu lernen. Uns, die wir sie dazu zwingen, verachten zu lernen. DaS Leben verachten zu lernen, das solche Notwendigfeiten geschaffen. Der kleine Komödiant, dem die Mutter den Sou abgenommen: „Wie die Brandung einen Augenblick den Sand trocken legt, während die neue Welle sich sammelt, so ergoß das Leid sich in schweren Wogen über das Kinderherzchen." Und weiter:„Sein Anzug war so lächerlich, sein Körper so mager; sein Weinen so bitterlich schwer, und sein Schmerz so groß und erwachsen." Keine Sentimentalität. Kritik in Nebensätzen. Selten eine Unterstreichung. Hier und da eine Gestalt, die das Sprachrohr des Dichters ist, ein Anstürmender, der ganz von Wollen und Kampf erfüllt ist, nicht selten einer, der zwischen zwei Polen sich hält, zwischen dem Satten und dem Hungrigen, und überlegen ist; der seine Erkenntnisse in For- derungen, seine Forderungen zugleich auch in Erkenntnisse umsetzt. So der Kandidat Viggo Hansen in„Treuhcrz", der mir nun gerade von vielen einfällt: „Darf ich zuerst fragen, was der Herr Kandidat unter einem vernünftigen Verhältnis von Schuld und Strafe verstehen?" „Zum Beispiel," antwortete Viggo Hansen, der jetzt ganz wild war,„wenn ich von einem Großhändler mit zwei- bis dreihundert- tausend Tonnen Kohlen hörte, daß er einem armen Teufel ver- wehrt hat, seinen Sack zu füllen, und daß derselbe Großhändler dann zur Strafe hierfür von wilden Tieren zerrissen wurde, ja, sehen Sie, das könnte ich sehr leicht begreisen! Denn zwischen so großer Herzlosigkeit und so grausamer Strafe bestände doch ein vernünftiges Perhältnis." Und dann zerreißt der Hund„Treuhcrz" wirklich die arme Diebin, die dem reichen Kohlenhändler in ihrem Handkorbe ein paar Pfund Kohlen nächtens fortgetragen. Dach es gibt noch ein deutlicheres Beispiel für die Art von Kiellands Schaffen, ja in diesem Beispiel ist zugleich ein ganzes Bild für das Wesentliche seiner Art festgehalten. Es ist in der Novcllette„Siesta". Da ist der Ire— einer von„den Armen in England"— und ist Anatole, der sich an Trüffeln übcrgesscn, und zwischen ihnen Mademoiselle Louison, die„drei arme Nähmädchen zu sich hinauf genommen in ilzre eigene Wohnung und sie die ganze Nacht hindurch an ihrer Toilette für das Fest im Hippodrom habe näben lassen und außer dem Arbeitslohn den armen Mädchen noch Kaffee und Kuchen gegeben hatte"—(hier ungenannt die Wohl- tätigkeit und die Wohlfahrtseinrichtungen der Gesellschaft ironisiert) — und dann spielt der Ire, wie der Teufel, wie ein Dämon, und stört den anderen die behagliche verdauende Ruhe der Siesta. Aber wie er spielt, das ist wieder so charaltcristisch für ffielland:„der Künstler schien die linke Hand zu einer Faust zu ballen, die sich nie- mals wieder lösen sollte, während die rechte im Diskant perlende Läufe wie Flammen hin und her warf. Es klang, wie wenn sich im Keller etwas unheimlich Grausiges vorbereitete, während die da oben bei Kerzenschein tanzten und lachten und sich lustig hielten." Wie versteckt und deutlich, in der Realität gebunden, ist der satirische Sinn in dieser Gegenüberstellung, und wie hilft die Satire und die Ironie förmlich mit zur Darstellung! Sie scheint gar nicht Zweck zu sein. Die Dinge erfordern ein« Auseinandersetzung und Vorstellung für sich selbst, aber betrachtet man sie dann genau, so haben sie ihr Gesicht verkehrt. Es ist wie in altfranzöfischen Legenden, in denen einem der fromme Legendensinn unter der Hand zu einem geilen, schlüpfrigen Zotenfinn verkehrt wird. Wie hier der Mystizismus auf seine reale llnierlage ernüchtert wird, so wird der Realismus bei Kielland in eine satirische Bcdcutungi erhoben. Es ist der Lcbenslügesinn Ibsens , der diesem vorwiegend für das Individuum gilt— auch wenn er den„Fall" zur typischen Bedeutung erhebt,— es ist dieser Lebenslügesinn für die Allgemeinheit, für die bestehenden Zustände darin. Und da das Beispiel der „Siesta" angeführt, sei es auch ausgeführt, zugleich auch, um die temperamentvollere Darstellungskunst Kiellands zu zeige»:„Aber in den drohenden, murmelnden Lauten tief unten begann es sich wieder nach oben zu regen. Die Töne liefen ineinander, über- vorbei aneinander, nach oben, beständig nach oben, ohne weiter zu kommen. Es entstand ein wilder Kampf, nur hinauf zu gelangen; es wimmelte wie von kleinen, schwarzen Gestalten, die kämpften und rangen;— ein rasender Eifer,— eine fieberhafte Hast,— ein Klimmen und Fassen und Klammern mit Händen und Zähnen,— einander mit den Füßen stoßend,—. Fluchen,— Geschrei,— Bitten,— und inzwischen glitten seine Hände langsam, so qualvoll langsam hinauf." Ist hier im Klavier, spiel nicht eine ganze Zeit, ihr untergründiges Ringen und Wühlen und Mühen, ihr qualvolles Aufsteigen, ihr zerreibender Kampf sym» oolifiert und realistisch-ironisch zugleich dargestellt?„Anatole/' flüsterte Mademoiselle Adele leichenblaß, er spielt die Armut!"■ „Ach,— diese Trüffeln!"— jammerte Anatole und begann sich zu krümmen vor Schmerz." Glänzend ist das. Ein schneidender Hieb, eine unfehlbare Spitze. Und Kielland verließ Frankreich und Hing in die Heimat— und auch seine Kunst ging in die Heimat. Mit neuen Augen sah er die Verhältnisse zu Hause an. Er sah sie in dem scharfen Gegen- satze der Verhältnisse in der Fremde. Im Jahre 1880 erschien der Roman„Garinan und Worsc", der eine Satire auf das norwegische Bürgertum dar stellte; die schneidende Satire auf das Beamtentum folgte im nächsten Jahre, sie war in dem vielleicht bedeutendsten Romane Kiellands,„Arbeiter" enthalten. Schule, Kirche, Gesell- schast, Familie, sie erliegen seiner zersetzenden und anklagenden Darstellungskunst.„Else",„Schiffer Worse",„Verheiratet", „Gift" mit der Fortsetzung„Fortuna ",„Schnee" folgen sich bis zu dem Roman„Jakob", der im Jahre 1891 das Schaffen Kiellands auf lange Zeit abschließt. Kaum mehr als ein Jabrzehnt— im Jahre 1879 waren die Novclletten erschienen— und ein seltener Glanz und Reichtum, eine hervorragende dichterische Kraft, die sich auch in Natur- und Dkenschenschilderungen bewährt, wie in„Ar- beiter",„Schiffer Worse",„Else",„Gift" und„Schnee"— erobern sich den Beifall Europas . Kielland gehört der Weltliteratur an.. Er ist wohl der schärfste Gcsellschaftssatiriker unter den modernen Dichtern. Elegant, geistreich, gedankenvoll, treffend und geschickt in der Idee. Seine Komposition� ihrer flächenhasten Art entsprechend, ist selten straff. Aber es cst eine bewundernswerte Ruhe, eine geklärte und sichere Ueberschau darin. Es ist nichts von unten gesehen, kein« Froschperspektive, es ist Höhenblick in allem. Kielland ist heimgezogen wie sein Jakob Worse, mit geschärften Augen für die Zustände in seiner Heimat, aber auch mit der Er- kenutnis, daß er selbst noch nicht genug verstanden werden kann, um denen zu helfen, denen er helfen möchte. Sie sind noch zu fest mit dem Alten verllammcrt, sie sind noch nicht frei und selbständig genug, das Volk ist noch„zu loyal und religiös", wie es der Amt- mann in„Arbeiter" sagt. So ist Kielland ein Kampfer wohl, aber kein Polemiker. Diese Erkenntnis sowie sein Temperament versagten es ihm wohl. Seine Tendenz bekam keine Waffen, die hauen und schlagen. Die Waffe seiner Tendenz ward der Spott, dieser selbe Spott, der ihre Waffe bei Heine und Börne war. dieser Spott, in dem so viel Entferntheit und Fremdheit, so viele blutende Liebe und hassendes Weh ist. Dieser unerbittliche Spott, der Schleier um Schleier wegreißt, und der doch so unmachtig ist, weil ihm die EntWickelung nicht zu helfen scheint, weil die herrschenden Gewalten und Zustände immer noch stärker find, als seine Porgeschritienheit und Fortschrittlichkeit. Die Waffe der Einsamen und Wein- stehenden ist dieser Spott, ist die Satirc und Ironie, die Gegensätz- lichte it, aus der sie geschmiedet worden, beherrscht sie zugleich. Zu- gleich aber auch siegt sie in ihr. Aber dieser Sieg spielt sich rein auf künstlerischem Gebiete ab. Er muß mithelfen zu einem anderen Sieg, der auf sozialem Gebiete errungen werden muß. " Ein Kämpfer hatte seine künstlerischen Waffen ruhen lassen, um auf konirnainalem Gebiete— im engbcgrenzten Kreise— positiv zu wirken. Wir in der Fremde messen den Erfolg dieses Wirkens nicht.. Wir flechten einen Lorbeer um sein dichterisches Wehr- geHange, und wir beschauen daß Gesellschaftsbild, das er vor uns aufgerollt, um neue Forderungen im Sinne seiner Verneinungen zu stellen, denn seine Wirklichkeit ist wahr und sein Nationales ist international, weil es dieselben Gegenkräfte sind, die dem fort- schreitenden Geiste ein Hemmnis bilden, und weil der Kampf nicht ausgekämpft ist, von dem er ausruht.— ; � i' Wilhelm Holzamer . kleines feuitteton. — Frühling im Orient. Der„Franks. Ztg." wird aus Saloniki geschrieben: In der L e v a n t c ist der Frühling ein- gezogen. Er tan, auch hier mit Brausen, mit heftigen, kalten Nmkd- j stürmen, die das Wardatal herniedersausten, und söhnartigen. ' warmen Südstürmen, die die blaue See hochaufwühlien und dig Wogen donnernd an den Strand warfen, so daß sie mit ihren weiß'ei»
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23 (10.4.1906) 70
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