Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 73. miss
-zis 1960 gia
do 09 at Freitag, den 13. April.
daft
( Nachdrud verboten.)
1906
Doch gelang es ihr nicht, ihre Gedanken zu sammeln. Unwillkürlich suchte sie in dem gegenüberstehenden Rohr sessel das Bild des Pastors. Und da sie diesen Plat leer sah,
Die Eroberung von Jerufalem. fam ein Gefühl unendlicher Verlassenheit über sie. Sie dachte
Spot
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9.
Kittys Opfer war jedoch nutzlos gewesen. War ihre über stürzte Abreise, oder vielmehr ihre Flucht, nicht ein Geständnis ihres bösen Gewissens, ein unwiderleglicher Beweis ihres Schuldbewußtseins? Und am folgenden Tage, einem Sonntage, wählte Pastor Zorn zum Tert seiner Predigt das sechste
Gebot.
an ihr Leben vor der Ankunft des Herrn Zorn, und wunderte sich, daß sie diese Leere in ihrem Herzen hatte ertragen können. Was tat er jetzt? Betete er für sie?
Gewöhnlich brachten sie den Sonntagnachmittag gemeinsam zu, fast immer sie beide allein. Es war ein Tag der Ruhe. Sie stickte ihm ein Käppchen oder Pantoffeln. Er rauchte aus einer mit den Straßburger Störchen bemalten Porzellanpfeife. und indem sie sich so in ihre Erinnerungen an das ferne Bater land vertieften, schlossen sie sich von der Außenwelt ab und schufen sich in diesem fremden, mohammedanischen Hause ein kleines, christliches, heimatliches Plätzchen.
Heute umgab diese Heimatluft sie nicht mehr. Wie einsamt und verlassen war sie doch!
Durch das vergitterte Fenster sah sie Assir, der aus der Bisterne Waffer schöpfte, aus der er bei der letzten Dürre im Wassereimer einen Frauenschädel heraufgeholt hatte. Ein Chamäleon gähnte auf dem verblühten Granatbaume; und in der verräucherten Küche bliesen die Bethlehemitin und Ziona all- luftig in die Asche.
Auf der ersten Bank, der Kanzel gegenüber, saß Cäcilie und schluchzte, den Kopf in ihr Taschentuch vergraben; aber fie weinte weder aus Eifersucht noch aus Aerger über ihre beleidigte Frauenehre, sondern aus Gram, daß Christus in ihrer Person beschimpft und die Sünde in ihr Haus eingedrungen sei. Nach dem Schlußgesang bezeugten in der Vorhalle alle Anwesenden, die Augen voll keuschen Zornes, ihr das gemeine Mitgefühl durch einen innigen Händedruck. Und man sagte sich:
" Die arme Frau Jamain, wie schwer prüft sie der Herr und wie wenig hat sie es doch verdient!"
Aber dann beruhigte man sich auch wieder damit: " Ja, aber Er züchtigt doch nur die, welche Er liebt!" Der immer versöhnliche Herr Fischer streichelte ihr mit seiner rauhen Hand die Wangen :
Komm' mit, meine kleine Schriftstellerin, Jefus hat uns befohlen, nicht einmal zu vergeben, sondern siebenzigmalSiebenmal. Du weißt auch, wie schwach unser Geist und wie böse unser Fleisch ist; fomm', Du wirst sehen, er wird gebessert zu Dir zurückkehren."
Und Amalie trocknete ihre Albinoaugen und legte bei dem Gedanken, auch ihr hätte so etwas widerfahren können, den Hals noch mehr als sonst in Falten.
Mit gefurchter Stirn und leichenblassen Lippen begleitete Pastor Zorr Frau Jamain wie gewöhnlich, verließ sie jedoch am Fuße der Davidsburg; denn als echter Christ konnte er sich doch nicht an den Tisch eines Ehebrechers setzen, besonders am Sonntag.
Während der Mahlzeit beobachtete Cäcilie Elias durch den Dampf hindurch, der zwischen ihnen von der Schüssel mit Sauerkraut aufstieg, das, ach! umsonst bereitet war( es war das Lieblingsgericht des Pastors). Sie dachte:
Nie habe ich ihn so traurig und niedergeschlagen gesehen. Man hat recht, wenn man sagt, daß die Sünde ihre Strafe in sich selbst trägt. Sein Anblick schmerzt mich fast; wollte er sich schuldig bekennen und mir zu Füßen fallen, ich glaube, ich würde ihm verzeihen."
Und bis zum Ende des Mahles gefiel sie sich in dem Gedanken, ihren Gatten vor ihrer Großherzigkeit im Staube liegen zu sehen.
Er aber dachte, indem er seinen Teller zurückschob: Sie hat noch rote Augen; sie hat wieder über einen Bibelvers oder über ein Vergißmeinnicht der pastoralen Rhetorik geweint. Es stünde ihr besser an, sich von meinem Elend rühren zu lassen, denn die Angst vor dem Leben hat mich gepackt."
hinaus.
Er erhob sich, zündete sich eine Zigarre an und ging Sie blieb mit Ziona allein, die an der Erde hockte und sich damit die Zeit vertrieb, einem Kätzchen Puppenkleider anzuziehen, während die Bethlehemitin das Gedeck abtrug. Da erinnerte sie sich wieder an ihr Unglück und an die Sünde, die unreinste Sünde, jene, deren Namen mar faum auszusprechen wagt und die nun in ihr Haus eingekehrt war, sich unter ihr Dach geschlichen hatte!
Das Wort„ Ehebruch" klang an ihr Ohr mit all dem Abschen und Schauder, den die Bibel ihm beilegt, und wie immer erschreckte sie das Wort mehr als die Sache.
Ihre Augen suchten Zuflucht und Trost bei den Bibelsprüchen an den Wänden, und inbrünstig faltete sie die Hände.
Wie seltsam das alles war, wie abstoßend und unbegreif lich, und wie recht hatte doch der Pastor mit der Behauptung, daß nur ein phantastischer Geist und ein dunkles Gewissen sich in diesem Hause wohlfühlen könnten!
Da malten ihr plöglich ihre Gedanken auf den weißen Bewurf der Hofmauer ein anderes Bild.
Sie sah Kornfelder, Ziegeldächer, den Glockenturm einer Kirche; und auf einem kleinen mit Hagedorn eingefaßten Fußsteig schritt ein Baar zu einem Pfarrhaus empor, Hand in Hand, die Augen zum Himmel emporgerichtet und fromme Lieder auf den Lippen
„ Ach! Warum habe ich nicht gewartet?" murmelte Cäcilie.
Und Tränen netten ihre Wangen.
Sie seufzte schwer; dann dachte sie an den Klatsch, den man von Elias und Kitty erzählte, und ging in ihr Zimmer hinauf, um Gott zu bitten, er möge ihrem Gatten verzeihen und ihn durch Leid zur Neue führen.
10.
Das Luthertum hatte schwere Verluste erlitten. Zwar hatten seine Industrie und sein Handel sich weiter entwidelt; aber seit einiger Zeit erschütterten Widerwärtigkeiten religiöser Natur sein junges Ansehen.
Erschreckt durch die Strenge dieser Religion, welche die Liebe, den Schmuck und die Freude ächtete, wollten die Mohammedaner nach einigen Statechismusstunden von der Taufe nichts mehr wissen. Andere Proselyten von Profession, die schon die Stirn zur Taufe hingehalten hatten, merkten zu spät, daß der Pastor hauptsächlich himmlische Schäße austeilte und waren zu den Mönchen zurückgekehrt, die greifbares Brot und klingende Münze spendeten.
Der Protestantismus sant also auch im Geiste der Araber zum„ Christentum der Armen" herab. Selbst die Aussäßigen wollten nichts davon wissen, und das neue, am Teich Sandherib erbaute Lepra- Spital, deffen Leiterin eine Schwester des Pastor Born war, blieb fo leer an Kranken, daß man zu Zeiten, da Touristen oder offizielle Besuche erwartet wurden, in den Maulwurfshügeln und Straßengräben fjelche anwerben Maulwurfshügeln und
mußte. Sie wollten sich wohl für eine Stunde oder für den Tag verdingen, aber niemals für die Nacht. Sobald der Abend gekommen war, vertauschten sie mit Bergnügen die weißen Hemden mit ihren schmutzigen Lumpen und man konnte sie dann lustig zu den Höhen von Zion hinaufhinken sehen; sie zogen den sauberen Betten und evangelischen Verheißungen ihr elendes Lager vor, wo sie wenigstens tun konnten, was sie wollten.
Auch in den Waisenhäusern waren Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Ein Knabe hatte sich erhängt; mehrere kleine Mädchen waren entsprungen; und um die Schande und das Elend der Gläubigen voll zu machen, hatte eine junge arabische, von Schwester Charlotte erzogene Diakonissin Aschung , ein