Anterhaltungsblatt des HorwärtsNr. 74.Mittwoch � den 18 April1906(Nachdruck verboten.)Die Eroberung von Jerusalem.Roman von Myriam Harry.LS� Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischenvon Alfred PeukerGeschmeichelt und gerührt von Cäciliens Unterwürfigkeit.besänftigte sich Herr Zorn.„Stehen Sie auf! Weil Sie die Tochter eines Priestersund eine ehemalige Diakonissin sind, will ich noch einmalmeinen Zorn zurückhalten. Aber unter zwei Bedingungen:Erstens müssen Sie die Fortsetzung der„Auferstehung desHeidentums"� verhindern: die zweite Bedingung werde ichIhnen gegenüber nicht klar aussprechen, aber Sie werden michverstehen, wenn ich Ihnen sage, daß dieser Mann von jetztab für mich nicht mchr existiert, daß ich sogar seinen Namenaus meinem Gedächtnis auslösche und daß Sie, auch wennSie in den Augen der Welt Frau Jamain bleiben, für michund für Gott wieder Schwester Cäcilie werden müssen. Ver-stehen Sie mich und versprechen Sie es mir?"Ihre Blicke trafen sich: wie mit Blut Übergossen senktesie den Kopf.„Ich verspreche es Ihnen," sagte sie ganz leise:„der Willedes Allmächtigen geschehe!"ILNun begann der Kampf, ein heimlicher und lückischerKampf, den Cäcilie mit all ihrem Starrsinn und Pastor Zornin völliger Ueberzeugung von seiner Gerechtigkeit führte.Elias fühlte sich von allen Seiten belauert und bedroht.Man ließ ihn nicht einmal mehr in seinem Obergemach un-geschoren. Fortwährend fand er auf seinem ArbeitstischBroschüren der Bibelgesellschaft:„Die Macht des Gebetes",„Die Bekehrung eines heidnischen Gatten",„Das Wasser derTaufe und der Barmherzigkeit". Die Nummern der„Trom-Pete von Jericho", in der„Josua" seine Predigten und die„Lilie von Saron" ihre moralischen Geschichtchett veröffent-lichten, schlichen sich unter seine Papiere ein: Evangeliumversewaren sogar auf den Bauch seiner Götzenbilder geklebt undTestamente verirrten sich unter seine Blumentöpfe. Bei denMahlzeiten machte Cäcilie sich jetzt Zionas Gegenwart, dieihrem Vater gewisse Rücksichten auferlegte, zunutze, um Er-bauungsschriften vorzulesen, und meistens verließ Elias dasSpeisezimmer mit leerem Magen, aber mit religiöser Kost biszur Uebelkeit gesätsigt. Wenn er sich abends auf der Terrassehinstreckte, hörte er seine Frau auf der unteren Plattformächzen und seufzen, Psalmen herbeten oder den Herrn anrufen,er möge ihrem Gatten seine Gnade schenken. Dann wandelteihn das Gelüst an, alles im Stich zu lassen, davon zu gehen,zu fliehen, geradeaus fortzulaufen, sich auf einer Insel, in derWüste, an einem bösen Orte zu verbergen, gleichgültig, wooder wie, wenn man ihm nur nichts mehr von Gott und derBibel vorschwatzte.Wenn er dann aber zu anderen Zeiten auf CäciliensAntlitz echte Trauer las und sie in Tränen überraschte, sagteer sich, von ihrem beiderseitigen Elend zu Mitleid gerührt:„Warum soll ich mich um Religionen kümmern und mitDogmen quälen? Worte, Worte, alles Worte! Kitty hatrecht: ich werde in ihre Kirche gehen und das Evangeliumanhören, und wenn sie noch darauf Wert legen, sogar meinenGlauben abschwören. Dann wird Cäcilie wieder glücklich fem.Und wer weiß? Vielleicht liebt sie mich dann auch wieder undich erlange noch einmal meinen Frieden."Sogleich aber dämpfte der Gedanke an Pastor Zorn, derfast in seinem Hause wohnte, ihn aber nie auf der Straßegrüßte, seine hochherzige Aufwallung.Eines Tages bemerkte Elias, daß man die Schublade er-brachen hatte, in der er sein Manuskript verschloß. EinKapitel der„Auferstehung des Heidentums" war verschwundenEr gewöhnte sich nun daran, seine Tür zu verriegeln, lebtejedoch in der beständigen Angst, man habe sein Schloß erbrachen.Noch andere Sorgen stürmten auf ihn ein. ReligiöseHorden, die aus Aemen gekommen, waren in Moab ein-gefallen. Aufruhr und heiliger Krieg wurde unter denBeduinen gepredigt, und die Wüste war unzugänglicher ge»worden als eine Stadt im Belagerungszustand.Da Elias keine Hoffnung mehr hatte, nach Arabienzurückzukehren, hatte er Slamin beurlaubt. Aber immerwieder drängte dieser sich an ihn heran, ebenso unverschämt«wie er früher unterwürfig und schmeichlerisch gewesen war.Bald waren es alte Schulden, deren er sich jetzt erinnerte, oderaber er schrieb die Schuld an irgend einem neuen UnglückHerrn Jamain zu. Bald hatte er sein Geschäft als Heiligen-bilder-Maler, bald seine Beschäftigung als Dragoman ver-loren. Alles Herrn Jamains wegen. Bald hatte eine FettaMorgana sein Auge geblendet, bald das Fieber die Gabe seinerRede gelähmt. Seine Mutter litt an der Cholera, seine Frauan Veitstanz, er selbst hatte kein Hemde mehr auf dem Leibe,und keinen Talari mehr als Halsschmuck für sein Kind. UndElias gab, gab immer wieder, obgleich er dazu beim SchweizerBankier borgen mußte, bei dem der Zinsfuß seit der letztenVeröffentlichung des Gelehrten von dreißig auf vierzig Prozentgestiegen war.Eines Tages kam Slamin sogar mit groben, plumpenNachahmungen moabitischer Töpferwaren, die er dort untengefunden haben wollte.Elias drohte ihm mit dem türkischen Pascha und verbotihm seine Tür.Der andere schnaubte Rache und ließ sich auch wirklichnicht mehr blicken.Elias machte sich wieder an sein Buch. Aber er hatte denGeschmack daran verloren. Er glaubte nicht mehr an dieSchönheit des Lebens, nicht mehr an den Nutzen des Kampfes.Seine Energie war gebrochen, durch die wachsende Erbitterungum ihn her allmählich zermürbt: und seine Begeisterungschwand, entmutigt durch all den Haß, der mit jener Frömmig-keit in sein Haus eingekehrt war. Dazu machten sich jetzt dieStrapazen seiner Reisen bemerkbar. Seine Schläfen brannten,seine Adern spannten sich wie Eisendrähte, und wenn diedrückende Sonnenglut auf der Kuppel des Hauses lag, glaubteer, daß alle Sonnen Arabiens, zu Goldbarren verdichtet, aufseinem Schädel lasteten. Stundenlang saß er starr vor feinenweißen Blättern, dann versank er in einen seltsamen, vonfieberhaften Wahnvorstellungen gestörten Schlummer, der ihmabwechselnd blendende Fata Morganen und stockdunkle Nächtevorgaukelte, lind wenn er dann von einem unbestimmtenAngstgefühl und schrecklichen Visionen aufgeschreckt, die Türeöffnete und ehren Blick auf die lange Via dolorosa warf, diesich vom v-tefanstor bis zum Dom auf Golgatha weiß ab-zeichnete, so glaubte er der Reihe nach seine Leidensstationenzu erkennen.Um seinen Grübeleien zu entfliehen, zog Elias oft seinenBurnus über den Kopf und schlenderte durch die Läden unddie geheinrnisvollen Bazare, wo Haschischrauch und Nardenduftsonderbare, über alles hinwegtröstende Träume spenden.Manchmal stieg er sogar noch weiter hinab in die unterenGäßchen Jerusalems, wo Dirnen ihm durch das Gitter derMuscharabis wohlriechende Blätter auf den Kopf streuten. �Als er eines Abends müder und angeekelter als je zurück-kehrte, waren die Gitter des Bazars schon geschlossen, und ermußte einen Umweg machen.Dicht ballte sich die Finsternis unter den überhängendenBogen, Fledermäuse flatterten von einer Mauer zur anderenund die von Hunden aufgewühlten Kehrichthaufen sahen auSwie am Boden"riechende Larven. Gespenster krochen ausgrausigen Höhlen mpor und andere wieder, die auf unsicht-baren Treppen herabstiegen, schienen vom nächtlichen Himmelzu fallen. Ein trügerisches drohendes Schweigen auf derStraße erweckte unwillkürlich ein Gefühl der Unsicherheit. Manfühlte sich belauert von unten, beobachtet von oben, verfolgt vonallen Seiten. Durch Schmutzhaufen tappend, suchte EliaSkeinen Weg, und seine Gedanken tappten mit ihm durch dienmmen Pfade seiner Verzweiflnng.Immer wieder mußte er an seine Verdrießlichkeiten, seineKänchfe und seine Einsamkeit denken, besonders aber an jeneFalschheit, die in seinem Hause lauerte, an all jene Hinterlist,die seine Schritte wie ein Netz umgab.„Was habe ich ihnen denn getan, daß sie mein Leben sovergiften, mein Herz martern, mir den Verstand rauben? Und