Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 75.

Donnerstag, den 19. April.

( Nachdrud verboten.)

1906

unter den Ausgrabungen des Herrn Jamain nur zwei oder drei Vasen eingeschmuggelt habe, um die Kosten der Verpackung

Die Eroberung von Jerufalem. und des Transports herauszuschlagen.

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Roman von Myriam Harry .

Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred Beuker.

Als der Araber am folgenden Tage seinen Katechismus auffagte, unterbrach ihn Herr Zorn selbst:

" Hast Du nichts anderes gefälscht als Tonvasen?" Nein, nur Vasen... Unser täglich Brot gieb uns heute

und vergieb uns

Schuld

Keine Stelen?"

Aber alle Welt weiß auch, daß ein Morgenländer nichts zweimal in derselben Weise erzählen kann. Sich gleich und getreu bleiben, hieße seine Natur verleugnen.

So wurden im Gegenteil die augenfälligen Lügen Slamins zu einem sicheren Beweise seiner Wahrhaftigkeit und die von der Gemeinde auf ihre Richtigkeit geprüfte und vom Pastor angestoßene Wage neigte sich zugunsten des Dol­metschers.

Aber man war großmütig.

Nein... ja, Stelen auch... Und vergieb uns unsere entfernt, ihn niederzudrücken, richtete man ihn auf. Man

Mit Schriftzeichen?"

Ja, mit Schriftzeichen.*.

Schuldigern...

Wie wir vergeben unseren Und Gößenbilder? Hast Du keine angefertigt?" " Ja, Gözzenbilder... und Becher... und Amphoren. Ach! ich bin ein großer Sünder!... Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit... Amen! Aber gestehe mir alles; bekenne mir Deine Sünden, dann wird Christus ſie Dir vergeben."

"

"

Mit diesem Tage wurde in dem Theologen wieder der Lizentiat für femitische Sprachen wach. Anstatt den Maler in die Wahrheit einzuführen, wurde er von dem Karawanen­führer durch den Triebsand seiner Lügen geführt.

Die freudige und großmütige Leichtgläubigkeit seines Beichtvaters begeisterte die Einbildungskraft des Arabers und verhundertfachte seine Kühnheit. Jetzt heuchelte er feine Reue mehr über seine Vergehungen, sondern trug Stolz zur Schau. Er hatte nicht mehr jämmerlich kopiert, sondern künstlerisch geschaffen; es handelte sich nicht mehr um einige elende Stücke, sondern im Gegenteil um ganze Sammlungen. Sämtliche Ausgrabungen waren sein Werk und es fehlte nicht viel, fo hätte er behauptet, der Gelehrte sei weder jemals mit einem Fuß in Moab gewesen, noch habe er eine Hade in der Hand gehabt. Und selbst seinen Wunsch, sich an Elias zu rächen, ver­gaß er über die den Orientalen entzückende Genugtuung, lügen zu können.

Katechismus, Bekehrungseifer, evangelische Vereinigungen und Cäciliens Dorcas, an all das dachte Pastor Zorn kaum noch.

Ganz von seiner Arbeit begeistert, schloß er sich ein und notierte alle Lügengewebe Slamins, um sie zu Auffäßen zu verarbeiten.

Ihnen war die nächste Nummer der Trompete von Jericho" vollständig gewidmet.

In der protestantischen Gesellschaft übertraf dieser Stan­Sal noch den Kittys und den von der Auferstehung des Heiden­tums". Nun schoß auch die Jerusalemitische Narrheit an allen Enden auf. Jeder wollte schon längst etwas geargwohnt haben. Jeder besaß einen Beweis des Betruges, eine gefälschte In­schrift. Herr Fischer, Herr Nikodemus, Herr Simon, der anglikanische Pastor beeilten sich, ihre Gößenbilder zu unter­fuchen und im Fieber der Diskussion vergaß man sogar, diesen nachher wieder die Unterhosen anzuziehen.

Dazu erhitte eine tropische Sonne die Köpfe. Dennoch war man im Augenblicke bestürzt. Man zögerte, wenn auch nur furze Zeit, Slamin einem Gelehrten, wie Herrn Jamain gegenüber, recht zu geben. Aber war dieser nach all dem wirklich noch als Gelehrter zu betrachten? Konnte ein von Gott erleuchteter Mensch ein unwiderlegliches Wissen be­fizen? Bewies sein letztes Buch nicht, wie sehr er dem Irrtum unterworfen war? Und man erinnerte sich daran, daß der eine sich mit seiner ganzen Familie zum Protestantismus be­fehren wollte, während der andere seinen angenommenen Glauben mißachtete und das sechste Gebot übertreten hatte.

Wenn man gerecht sein wollte, mußte man wohl zugeben, daß die Versicherungen des Malers nicht sehr flar waren. Den Faden seiner Stickerei fortwährend ändernd, übertrieb er bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, und einmal hatte er fogar, als man ihn in die Enge trieb, mit glasigen Augen und zitternden Schultern, wie von Gewissensbissen gefoltert, alle seine Aufschneidereien widerrufen und versichert, daß er

Anstatt Elias anzuflagen, entschuldigte man ihn; weit führte seinen guten Willen an, seinen Mut, seine Uneigen­nüßigkeit. Sicherlich ist es für keinen Gelehrten angenehm, der Gimpel seines Dieners zu sein; aber schließlich ist es auch gerade kein Verbrechen, sich täuschen zu lassen. Vielleicht war Herr Jamain sich dessen auch gar nicht einmal bewußt.

Und man überschüttete ihn mit Mitleid; erdrückte ihn unter der Wucht der Barmherzigkeit. Cäcilie gab ihre Angriffe auf. Der Unglückliche war faum eine Belehrung wert!

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Sah sie bei Tisch der einzigen Gelegenheit, wo sie noch zusammentrafen, daß seine Haare ergrauten und seine Stirn sich verfinsterte, so dachte sie mitleidig:

" Der arme Mensch, der arme Mensch! Er wagt nicht einmal mehr, die Artikel des Pastors zu widerlegen."

Nun, wenn Elias auf die Angriffe nicht antwortete, so kam es daher, daß er die Trompete von Jericho", ohne sie auch nur durchzublättern, in den Papierkorb warf. Trotzdem wußte er sehr wohl, was um ihn vorging, maß ihm jedoch im großen und ganzen wenig Bedeutung bei. Daß Slamin beim Einpacken irgend ein Gefäß eigener Mache in feine Samm­lungen eingeschmuggelt haben mochte, wollte er nicht unbedingt in Abrede stellen; er war aber sicher, daß ihm diese Fälschungen nie in die Hände gekommen waren. Uebrigens hatte Elias mit Ausnahme einer einzigen Serie um die Kosten der Forschungsreise wenigstens teilweise zu decken- feine Aus­grabungen immer verschenkt.

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Daher erschien ihm die Angelegenheit als eine neue Blüte des jerusalemitischen Wahnsinns, und er hielt es nicht für nötig, sich mit der Feder oder mit Worten dagegen zu ver­teidigen.

Aber nun kamen der Winter und die Pilgerfahrten. Nun war es nicht mehr die Sonne, die das Gehirn verbrannte, jetzt überhitzten der Weihrauch und der Hauch des Fanatismus die Geister.

"

Herr Zorn empfing einige Orientalisten bei sich, vor denen er seine pedantische, gallige Gelehrsamkeit ausframte. Für einen Prediger machte er auf sie den Eindruck eines sehr unterrichteten Mannes und sie nannten ihn Herr Doktor". Schon fah er sich zum Profeffor der semitischen Sprachen bei irgend einer Fakultät ernannt und dabei fiel ihm auch ein, daß. er dann eine gefchiedene Frau würde heiraten können, was für einen Pastor einfach unmöglich war. Er verdoppelte seine Tätigkeit, verschärfte seine Angriffe, zog die öffentliche Auf­merksamkeit auf sich, und es gelang ihm sogar, Beiträge bei der wissenschaftlichen Zeitschrift anzubringen, deren Mitarbeiter Herr Jamain war.

Mit noch größerem Unwillen und besonders mit ironischer Bosheit nahmen die Katholiken die ganze Angelegenheit auf. Elias Jamain ein Gimpel? Sehr unwahrscheinlich. Dazu war er ein viel zu gewiegter Sachkenner. Wußte man in­dessen, was er monatelang in Moab trieb, wo das Land ihm faft gehörte, wo er durch plumpe Taschenspielereien die aber­gläubischen Beduinen eingeschüchtert hatte? Hatte er nicht fogar eine ihrer Frauen geheiratet? Einem Abtrünnigen und Ehebrecher war das schlimmste zuzutrauen. Protestanten, Juden, Lateiner und Griechen vereinigten sich also in ihrem Haß gegen ihn.

So erlangte Jerusalem in diesem Jahre seinen Frieden, und kein religiöser Streit befleckte seine Heiligtümer mit Blut.

Slamin wurde eine berühmte Persönlichkeit. Nächst dem heiligen Grabe war es seine Person, welche am meisten die Touristen aufsuchten. Man stritt sich um die Ehre, ihn zum