Anterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 76. Freitag, den 20. April. 1906(Nachdruck verboten.)Vie Eroberung von Jerusalem.Roman Von Myriam Harry.STZ Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischenvon Alfred PeuterDie moabitische Frage wurde als abgeschlossen be-trachtet. Einige Museen zogen ihre Sammlungsaufträgezurück, andere ließen sie bestehen. Eine wissenschaftliche Zeit-schrift bat Herrn Jamain, seine Mitarbeiterschaft aufzu-geben. Dagegen betraute eine geographische Gesellschaft denGelehrten zum Zeichen ihrer Hochachtung mit einer Missionin Palästina.Aber Elias war tief getroffen. Als er in sein altesverlassenes Viertel, in sein nun wieder friedliches Ober-gemach zurückgekehrt war, schloß er sich wie in einem Turmvom Leben ab. Er interessierte sich für kein Geräusch derAußenwelt mehr, antwortete weder auf Angriffe, noch aufanerkennende Zuschriften und überließ seine Seele ganz derTrauer, die durch die offene Tür von der Via dolorosa zuihm heraufstieg.Vierter Teil.Der Dezember rückte heran.Schon seit dem Herbste weilte Ziona bei den Nonnenzum heiligen Herzen Jesu in Beirut. Cäcilie hatte nicht ge-wagt, sich dieser Entscheidung ihres Gatten zu widersetzen,dessen resigniertes Gesicht und trauriges Schweigen ihr all-mählich Furcht einflößten.In dem großen sarazenischen Hause hatte alle Betätigungchristlicher Nächstenliebe aufgehört, und seitdem der Pastornicht mehr hinkam, irrte Cäcilie darin verstört und seufzendund mit vorwurfsvollen Blicken umher.Daher reiste sie denn auch am ersten Adventssonntageunter dem Vorwande, sich würdig auf die Geburt unseresHeilandes vorbereiten zu wollen, zu Fischers nach Bethlehem.Ohne Baum, ohne Kerzen und ohne Gesang hätte sie sich wederein Weihnachtsfest vorstellen, noch das„kindliche Herz" stärkenkönnen, von dem der heilige Petrus spricht, und das zu derZeit, da Gott selbst in Gestalt eines Kindes einst von seinemHimmel herabstieg, in jedem guten Christen schlagen sollte.Cäcilie hatte eine große blaue Schürze umgebunden undsaß vor einem Tisch, auf dem in einem mit roter Erde ge-füllten Eimer eine kleine, verkrüppelte Ccder stand, die HerrFischer und seine Waisen in Ermangelung einer Tanne ausdem Hochwald geholt hatten.Sie vergoldete Nüsse und versilberte Orangen? zuersttauchte sie dieselben in Eiweiß, rollte sie dann über die Metall-blättchen und betupfte sie endlich vorsichtig mit einer Ecke ihresTaschentuchs. Gold und Silber blieben an ihren schlankenFingern kleben. Einige Cedernnadeln waren in ihren blondenHaaren hängen geblieben und sie sah so jung und unbe-kümmert aus wie zu der Zeit, da sie in der Passionsblumen-laube Dornenkronen flocht.Neben ihr schnitt Pastor Zorn, der ebenfalls„wiederzum Kinde geworden" war, Papiersterne aus und klebtePappfähnchen an kleine Holzstäbe.Manchmal berührten sich ihre Ellbogen, dann rückten sielächelnd auseinander und setzten ihre Arbeit fort.„Ich habe keine Orangen mehr, nun will ich mich etwasausruhen!" rief Cäcilie plötzlich.„Ach, wie schön riecht esnach Weihnachten und dem Schwarzwald I Mir ist's, als wäreich plötzlich wieder in unser Pfarrhaus versetzt!"Entzückt atmete sie die Wohlgerüche des Zimmers ein.„Das macht mein Honigkuchen, Töchterchen," antworteteFrau Fischer, die glühend und außer Atem mit einem großenHolzlöffel emsig eine braune Masse rührte.„Uebrigens kann ich auch nicht mehr, so ist er gut. WennIhr Eure Glückwünsche in den Pfefferkuchen hineinrührenwollt, Kinder, so ist's jetzt die höchste Zeit. Rühre Du zuerst,Cäcilie!"Frau Jamain errötete leicht, rührte den Teig und reichteden Löffel dann ihrem Nachbar. Dabei berührten sich ihreFinger einen Augenblick? ein Schauern rann durch ihre Adern.„Oho, Ihr Duckmäuser, Ihr müßt uns nun auch denGegenstand Eurer Wünsche verraten," rief Herr Fischer voneiner Leiter herab, auf der er sich abmühte, einen abschreckendhäßlichen Engel an der Baumspitze im Gleichgewicht zu be-festigen.„Nie im Leben! Das würde der Sache ja den ganzenReiz benehmen!" erklärte Amalie.„Ich werde nun meinenKuchen und Eure Wünsche backen gehen. Bald werden dieWaisen kommen? die werden sich freuen!"„Na, ob die sich freuen werden!... Aber potztausend!Was macht der Schelm von Engel mir bloß für Mühe! KeineMöglichkeit, ihn gerade zu bekommen! Die Beine nach obenund die Flügel nach unten? ist das wohl eine passende Stellungfür einen himmlischen Boten!"— und Herr Fischer brachin sein lautes joviales Lachen aus.— Im vorigen Jahr halfZiona mir? die ist behende wie ein Affe. Arme Kleine, ichweiß nicht, wie es konimt, aber ich muß heute fortwährendan sie denken. Ich möchte wohl wissen, ob sie sich gefreut hat,als sie unser Kistchen erhielt. Hat sie wenigstens an Dichgeschrieben, Cäcilie?"„Meine Tochter schreibt nie an mich, sie schreibt nur anihren Vater? beide haben so viel Geheimnisse miteinander,daß er mir nicht immer ihre Briefe zeigt. Aengstigen Siesich nicht Onkel, sie denkt kaum an uns."„Nein, aber solch ein Engel, der hat ja den Teufel imLeibe!"Bei einer ungeschickten Bewegung riß Herr Fischer dielange Kette aus Goldpapier herab, so daß sie auf Cäciliensund des Pastors Schultern fiel.„Rührt Euch nicht! Kinder, um Gottes Willen, rührtEuch nicht! Ihr zerreißt mir sonst meine Kette... sieh dochbloß, Malchen, wie hübsch sie aussehen? wenn man sie so sieht,möchte man da nicht sagen, sie seien wie für einander geschaffen? Ach, Kinder, wenn ich denke, wie glücklich wir allezusammen an diesem schönen Weihnachtstage hätten seinkönnen! Aber nun ist mir die ganze Freude vergällt. Mirliegt etwas so schwer auf dem Herzen, als hätte ich alle Stein-Pflaster meiner Frau aufgegessen... Sieh, Cäcilie, ichweiß nicht, sollst Du ihn verlassen, oder sollst Du bleiben?...man wirft ihm viel vor und dabei ist er doch eigentlich keinschlechter Mensch. Und geliebt hat er Dich... das kannstDu nicht leugnen, o ja, sehr geliebt, ich erinnere mich noch,als ich Euch eines Tages überraschte..„Aber Fischer, sei doch still, sonst geht es Dir noch wieDeinem Engel," rief Amalie, ihm mit dem Holzlöffel einenKlaps auf die Waden Versebend.„Du weißt doch, die Wegedes Herrn sind unerforschlich, und es ist genug, daß ein jeg»licher Tag seine eigene Plage habe."„Ja, Du hast recht. Wir wollen uns beeilen, sonstwerden die Waisen ungeduldig!"Der Missionar stieg von seiner Leiter herab.Als Cäcilie sich bückte, um eine unter den Tisch gerollteNuß aufzuheben, war die Kette aus Glanzpapier zerrissenund nun schleiften ihre beiden Enden auf der Erde, ohne sichwieder vereinigen zu können.„Wie schwül es ist," sagte Herr Zorn.Er ging und öffnete ein Fenster.„Ja, es ist drückend, ich habe Kopfschmerzen und etwa»Fieber, glaube ich..." antwortete Frau Jamain und strichmit der Hand über die Stirn.„Das hat nicht viel zu sagen, Kleine? ich werde Dir gleicheinen Löffel Chinin geben."Und Herr Fischer klopfte ihr die Wangen.Als der Pastor sich wieder auf seinen Stuhl setzte, hatteder Weihnachtsduft sich durch die Fenster verzogen und Cäciliewischte sich mit einer Ecke ihrer blauen Schürze das Gold vonden Fingern ab.2.Da die Einsamkeit des Hauses an diesem Weihnachts»abend zu sehr auf Elias lastete, begab er sich zu seinen Freun-den nach der Tankredia.Die Nacht war schön und lau, und der Himmel so über-sät mit Sternen, daß die ganze Luft wie mit flüssigemSternenschimmer geschwängert zu sein schien.Er warf sich auf ein Feldbett in der Rüstkammer,