Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 80.
Donnerstag, den 26. April.
( Nachdrud verboten.)
Die Eroberung von Jerufalem.
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Da erstand sie vor ihm, nicht wie sie in Wirklichkeit ausfehen mußte, abgestoßen, bröcklich und zerstückelt inmitten des Schuttes einer Ruine, sondern wie feine Dichterphantasie sie sich vorstellte: einsam und erhaben lächelnd, vom bleichen Mondlicht der Wüste überflutet.
Verzückt murmelte er:
" O, Astaroth Karnaïm, Du Mondgöttin! Auch mich hast Du zu Deinen Füßen erwürgt, und dennoch liebe ich Dich!"
Sollte er sich aber bei seiner Entzifferung nicht doch getäuscht haben? War sie wirklich jene Aschera der Bibel, deren Embleme man auf hohen Bergen an den Aesten grüner Bäume aufhängte? Jene star der Aegypter, deren strahlendes Antlig sogar in den Grüften Liebe einflößte? ene Astarte der Phönizier, jene Aphrodite der Griechen und Venus der Römer?
Vom Reiz ihres vielfachen Namens angespornt, nahm Elias feine epigraphischen Arbeiten wieder vor, und bedeckte die Blätter, Tische, ja sogar die Wände mit fremdartigen, wie Zauberformeln aussehenden Lettern, so daß Assir, wenn er die Mahlzeit herauftrug, die sein Herr kaum anrührte, sein unheilbeschwörendes Teufelshörnerzeichen machte.
sch wußte es wohl, daß der Teufel wiederkehren würde, sobald die kleine Herrin fort ist," dachte er.
Und unter dem Vorwande, den Teufel aus seinem Gehirn durch Tabaksdampf und den Duft des Windes" ausräuchern zu müssen, ging er für den Rest des Tages in das auf den Wällen am Jaffatore liegende türkische Café.
Elias geistige Ueberreizung dauerte mehrere Tage. Da fand er eines Abends beim Herumframen in seinen Kartons Slamins verwischtes, rätselhaftes Bild, den schwarzen, mit Ammonshörnern versehenen Statuenkopf, der sich von dem byzantinischen Goldgrunde wie von einer leuchtenden Mondscheibe abhob. Dieses Bild aber verschmolz plöglich mit einem anderen und wenn Elias jetzt die Arme gen Arabien ausbreitete und Astaroth anrief, wußte er selbst nicht mehr, wen er meinte: die Göttin oder das Weib.
Es war das Weib.
Da schwand der Zauber der Göttlichkeit. Die Göttin wurde wieder zum einfachen Steinblock mit ungeschickten rohen Lettern.
Gegen sie und sich selbst aufgebracht, zerriß er seine Blätter, und ließ durch Assir, die Wände übertünchen. Mit einem Reste heidnischen Aberglaubens verschloß er die Bruchstücke des Idols nicht wieder in seinen Schrank, sondern legte sie auf das Gefims der Türe, vielleicht in der geheimen Hoffnung, durch diese Teile des„ Glücks von Moab" das ganze Glück anlocken zu können.
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Ja, es war das Weib, die Moabitin, sinneverwirrend wie der Wüstenwind und braun wie die Zelte von Kedar. Auch sie hatte sich, nachdem sie einen Zipfel des Schleiers gelüftet, der Göttin gleich, seinen Nachforschungen entzogen.
Auf dem Divan liegend, mit schmachtender Seele sah Elias sie wieder unten auf dem Hofe, wie sie den Kopf auf die Balsamsäcke stützte und ihre blauen Augensterne im bleigefaßten Spiegel mit den Sternen des Firmaments verglich. Auf den Stufen hörte er den weichen, ihm wie Musik flingenden Schritt ihrer nackten Füßchen. Ja, er fühlte sie vor sich, hoch aufgerichtet, stumm und leidenschaftlich, ihn durch den gebieterischen und zugleich schmeichelnden Drud ihrer weichen Kinderhändchen zu ihren Lippen hinziehend.
Oder er stellte sie sich vor, an einer Quelle sigend mitten im Myrthengebüsch, wie sie seine Stirn mit Schilfbüscheln kühlt und dazu findliche, schwermütige Weisen singt. Ja, sie war es mit ihrem Gazellenduft und ihrer wilden Ge schmeidigkeit. Ja, sie war es, so ernst und so wollüstig, so tierisch und so göttlich, so wild und so nachgiebig, so schlicht
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und so erhaben, sie, die ihn zu jedem Wonnerausch des Mannes, des Gelehrten und des Dichters begeistert hatte. Und schluchzend rief er nach ihr:
star! star!"
Nach dem Erwachen aus solchen Träumereien fühlte Elias sich von heftiger, kaum erträglicher Verzweiflung niedergedrückt. Ein Efel stieg in ihm auf, vor allem, vor seinem Leben, seinen Arbeiten, feinen Träumereien, aber befonders vor diesem Gemach, in dem es nach Tod und Moder roch, zu dem das hartnädige Schweigen dieses alten, verfallenen Viertels emporfroch.
lieder und das Klappern der dicksohligen Pastorenstiefel; Nun vermißte er beinahe die lutherischen Gesangbuchmanchmal wurde ihm die Einsamkeit so unerträglich, daß er zu Assir fagte:
,, Komm, rauche Dein Nargileh neben mir." Abends ließ er ihn auf einer der unteren Terrassen. sein Lager aufschlagen; beruhigt hörte er sein gleichmäßiges Atmen und dachte dabei:
Der ist mir treu, der wird mich nie verlassen, sondern mir dereinst die Augen zudrücken...
Er zwang sich wieder zur Arbeit, doch verflogen seine Gedanken wie Rauch und Luft, und das Bewußtsein seines verfehlten Lebens erdrückte ihn unter seiner Last.
,, Wissenschaft, Ruhm, idealer Wonnerausch, welche Torheit! Und ich armer Narr habe zwölf Jahre meines Lebens bei diesen wurmstichigen Bergamenten und salpeterzerfressenen Stelen vergeudet. Unter dem Kuß dieser Asche ist mein Haar ergraut, unter der Umarmung dieser toten Schäße mein Mark ausgedörrt; von meinem Leben habe ich nicht den geringsten Genuß gehabt. Ach, könnte ich mein Leben noch einmal beginnen! Meine Kraft nuken! Leben um zu lieben! Denn außer der Liebe ist alles eitel und keine Erorberung so viel wert, wie die der Frau! Und während ich hier in Verzweiflung size, geht draußen, draußen das Leben vorbei.
Von Angst gefoltert, ihm könnte vielleicht gerade in dieser Minute die letzte Glückschance entschlüpfen, warf Elias sich den Mantel um und eilte fast im Raufschritt zur Stadt hinab.
Doch es war die Zeit der Pilgerzüge. In den Straßen traf er nur Büßerprozessionen. Ganz Jerusalem war eine Frömmigkeit, eine Trauer. Man hörte nur Schluchzen und Beten.
Männer streuten sich Staub auf den Kopf, geißelten ihren Leib. Nach Weihrauch duftende Frauen in Trauergewändern umflamerten Kreuze und füßten Heiligenbilder.
Vergeblich streckte Elias seine Hand nach Liebe aus, nicht einmal das Almosen eines freundlichen Blickes spendete man ihm. Und mit einem Herzen, leerer als ein Bettelsack, stieg er wieder zu seinem ausgestorbenen Viertel empor.
Erblickte er aber sein dunkles Gäßchen, seinen mit wildwuchernden Pflanzen übersäten Hof, so blieb er, von einer ihm unerklärlichen wonnigen Regung, von einer füßen, geheimnisvollen Hoffnung bewegt, stehen und sagte lächelnd:
,, Nicht unten in der Stadt, nein, hier oben, in meinem hohen, poetischen Hause erwartet mich das Glück. Ja, rasch hinauf; sicher erwartet mich das Glück auf meiner blumigen Terrasse."
Doch wenn er dann die kleine Türe durchschritten hatte und in seinem Marmorhofe weder Babuschen schlürfen, noch Schmuck flirren hörte, ergriff ihn so tiefe Verzweiflung, daß er sich auf eine Stufe sette, den Kopf in beide Hände nahm und laut fchluchzte.
Als er eines Tages durch das Zionstor heimkehrte, füßte die Aussäßige den Saum seines Mantels. Das rührte ihn aufs tieffte. Und während er sich die ganze Nacht hindurch ruhelos auf seinem Teppich wälzte, dachte er, zugleich beglückt und betrübt, daß in Jerusalem ihn ein Weib liebte, und das gerade mußte eine Aussäßige sein.
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So nahte das Bairamfest, das in diesem Jahre mit dem Sommer- Solstitium zusammenfiel, an dem die sämtlichen Nomadenstämme der Umgegend zum Jahrmarkt zusammenströmten.
Nun übte die Hölle Wiedervergeltung. Ueberall schäum= ten die Lebensfreude und der Sinnentaumel über.