Nnterhaltlmgsölatt des HorwSrtsNr. 83. Dienstag, den 1. Mai. 1906(Nachdruck verboten.)u Siner jVlutter Sohn.Roman von Clara Viebig.Erstes Buch.i:Sie waren ein schöngeistig veranlagtes Ehepaar, und dasie daS Geld hatten, künstlerische Neigungen zu Pflegen, schrist-stellerte er ein wenig, und sie malte. Sie spielten auch vier-händig und sangen Duette, wenigstens hatten sie das in derersten Zeit ihrer Ehe getan; seht besuchten sie um so fleißigerKonzerte und die Oper. Ueberall, wohin sie kamen, gefielensie; sie besaßen Freunde, man nannte sie„scharniante Leute",und doch fehlte ihnen etwas zum Glück— sie hatten keineKinder.Und sie würden wohl auch keilte mehr bekommen, warensie doch nun schon über die Zeit hinaus verheiratet, in dereinem die Kinder geboren werden.In unbewachten Augenblicken, wenn er in scinein Bureauam Schreibtisch saß, besonders aber, wenn er auf seineuRitten, die er. teils seiner Gesundheit wegen, teils noch ausLiebhaberei von der Kavalleristenzeit her, in die weitere Um-gebung Berlins machte, märkische Dörfer passierte, wo aufsandigen Straßen Scharen von kleinen Flachsköpfen sichtummeln, seufzte er wohl und zog die Stirn in Falten. Aberer ließ es seine Frau nicht merken, daß er etwas vermißte,denn er liebte sie.Sie aber konnte sich nicht so beherrschen: je höher dieZahl ihrer Ehejahre stieg, desto nervöser wurde sie. OhneGrund tvar sie zuweilen gereizt gegen ihren Mann; über dieGeburtsanzeigen in der Zeitung sah sie mit einer gewissenScheu beharrlich weg, und fiel doch einmal ihr Blick auf:„Die glückliche Geburt eines Knaben zeigen hocherfreut an"und so weiter, so legte sie hastig das Blatt hin.Früher hatte Käte Schlieben allerlein niedliche Kinder-fachen gestrickt, gehäkelt, gestickt, genäht,— sie war ordentlichberühmt tvegen der Zierlichkeit ihrer mit blau und rosa Bandausgeputzten Erstlingsjäckchen, jede ihrer jungverheiratetenBekannten erbat von ihr solch ein Wunderwerk— nun hattesie diese Art von Handarbeit endgültig aufgegeben. Sie hofftenicht mehr. Was half es ihr, daß sie ihre Zeigefinger in diewinzigen Aermelchen des Erstlingsjäckchens steckte und, esso vor sich hinhaltend, dieses mit träumerischem Blick lange,lange ansah?! Es machte ihr nur Pein.Und die Pein ward doppelt fühlbar in jenen grauenTagen, die ohne Grund plötzlich da sind, die auf leisen Sohlenauch mitten im Sonnenschein gehuscht kommen. Dann lag sieauf dem Ruhebett in ihrem mit' allem Geschmack, wahrhaftkünstlerisch ausgestatteten Zimmer und kniff die Augen zu— von der Straße herauf, von der Promenade unter denKastanienbäumen, stieg ein Ruf auf, hell, durchdringend,jauchzend wie segelnder Schwalben Schrei. Sie hielt sich dieOhren zu vor diesem Schrei, der weiter drang als jeder andereTon, der sich pfeilschnell hinauf in den Aether schwang undhoch und selig sich wiegte. Sie konnte so etwas nicht hören.Das wurde krankhaft.Ach, wenn sie nun beide alt waren, schwer aufnähme-fähig, zu müde, um sich die Anregung außen zu holen, tverwürde ihnen die dann ins Haus bringen?! Wer würdeihnen etwas zutragen von all dem da draußen? Ihnen mitseiner Frische, mit der Freudigkeit, die die Zwanzig umhülltwie ein köstliches Gewand, die wie Wärme und Sonne vonfaltenlosen Stirnen strahlt, einen Hauch der Jugend wieder-geben, die ihnen nach den Gesetzen der Zeit schon entschwundentvar?! Wer würde sich begeistern an dem, was sie einst be-geistert hatte und das sie nun wiederum genossen, als wärees auch ihnen neu?! Wer würde mit seinein Lachen Hausund Garten füllen, mit jenem sorglosen Lachen, das so an-steckend wirkt?! Wer würde sie mit warmen Lippen küssenund sie froh machen mit seiner Zärtlichkeit?! Wer würdesie auf seinen Schwingen mittragen, so daß sie nicht fühlten,daß sie müde waren?!Ach, den Kinderlosen blüht keine zweite Jugend! Niemand würde das Erbe antreten, das sie hinterließen anSchönheitsfreude, an Schönheitssinn, an Begeisterung fürKunst und. Künstler: niemand würde ein pietätvoller Hütersein all jener hundert Sachen und Sächelchen. die sie mitGeschmack und Sammlerfreude in den Räumen ihrer Wohnungzusammengetragen hatten. Ach, und nienrnnd würde, wennjene letzte schwere Stunde kommt, vor der alle bangen, mitliebenden Händen die erkaltende Hand festhalten wollen:„Vater, Mutter, �eht nicht! Noch nicht!"— O Gott, o Gott,solch liebende Hände würden ihnen nicht die Augen zu-drücken---!Wenn jetzt Schlieben aus dem Kontor nach Hause kam— er war Mitinhaber einer großen Handelsfirma, die seinGroßvater einst begründet und sein Vater zu hohem Ansehengebracht hatte— fand er das liebenswürdige Gesicht seinerFrau oft rotfleckig, den ganzen zarten Teint durch anhaltendesWeinen zerstört. Und der Mund zwang sich nur zum Lächeln,und in den schönen braunen Augen lauerte es wie Trübsinn.Der Hausarzt zuckte die Achseln: die gute Frau war ebennervös, sie hatte zu viel Zeit zum.Grübeln, war zu sehr sichselbst überlassen!Um dies zu ändern, schied der besorgte Ehemann fürunbegrenzte Zeit aus den: Geschäft aus: seine Sozien machtendas ja auch ebensogut ohne ihn, der Arzt hatte recht, er mußtesich mehr seiner Fran widmen; sie waren ja beide so allein,.so ganz und gar aufeinander angewiesen!Man beschloß, auf Reisen zu gehen; es war ja durchauskein Zwang da, zu Hause zu bleiben. Die schöne Wohnunggab man auf; die Möbel, die ganze kostbare Einrichtung kamzum Spediteur. Wenn es einem gefiel, konnte man nunJahre fortbleiben, Eindrücke sammeln, sich zerstreuen; Kätewürde in schönen Gegenden landschaftern, und er, Schlieben,nun, wenn ihm die gewohnte Arbeit fehlte, konnte er ja leichtin schriftstellerischer Tätigkeit Ersatz finden!Sie reisten nach Italien und Korsika, noch weiter, nachAegypten und Griechenland; sie sahen das schottische Hochland,.Schweden und Norwegen, unendlich viel Herrliches.Dankbar drückte Käte ihrem Paul die Hand; sie schwelgte.Ihr empfängliches Gemüt begeisterte sich, und ihr nicht ganzunbedeutendes Maltalent fühlte sich auf einmal mächtig an-geregt. Ach, all das malen können, auf der Leinwand fest-halten, was an Farbenglut und Stimmnngszauber sich dementzückten Auge enthüllte!Am Morgen schon zog die Eifrige mit ihren Malsachettaus, ob's nun auf dem Felsen von Capri, am blauen Bos-Poms' oder im gelben Sand der Wüste, ob's angesichts derschroffen Zinken der Fjorde oder in den Rosengärten derRiviera tvar. Ihr zartes Gesicht verbrannte; selbst auf ihreHände, die sie sonst sorgfältig gepflegt hatte, achtete sie nichtmehr. Das Fieber der Betätigung hatte sie erfaßt. Gott seiDank, jetzt konnte sie etwas schaffen! Das klägliche Gefühleines nutzlosen Lebens war nicht mehr da, nicht mehr daspeinigende Bewußtsein: dein Leben hört auf mit dem Augen»blick, in dem deine Augen sich schließen, da ist nichts von dir.was dich überdauert! Jetzt hinterließ sie doch wenigstensetwas Selbstgeborcnes— wenn's auch mir ein Bild war. DieWerke mehrten sich; eine ganze Menge von Rollen bemalterLeinwand schleppte man schon mit sich heruw Es hatteSchlieben anfänglich große Freude gemacht, seine Käte soeifrig zu sehen. Galant trug er ihr Feldstuhl und Staffelernach und verlor nicht die Geduld, Stunden und Stundenbei ihrer Arbeit zugegen zu sein. Er lag im spärlichenSchatten einer Palme und folgte, über sein Buch wegblickend.den Bewegungen ihres Pinsels. Welch ein Glück, daß sie soviel Befriedigung in ihrer Kunst fand! Wenn es auch fürihn ein wenig ermüdend war, so untätig umherzuliegen— nein, er durfte doch kein Wort sagen, hatte er ihr dochnichts, gar nichts als Ersatz zu bieten!Und er seufzte. Das war derselbe Seufzer, der ihmentfahren war, wenn auf den sandigen Straßen der Markdie unzähligen Flachsköpfe spielten, derselbe Seufzer, denihm die Sonntage entlockten, an denen er das ganze städtischeProletariat— Mann und Weib und Kinder, Kinder.Kinder— hatte nach dem Tiergarten wallen sehen. Ja.schon recht— ein wenig nervös fuhr er sich über die Stirn— jener Schriftsteller hatte schon recht— welcher war es dochgleich?,— der da einmal irgendwo sagte:„Warum heiratet