Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 87.

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Dienstag, den 8. Mai

( Nachdruck verboten.)

Einer Mutter Sohn.

Roman von Clara Viebig . Longfaye war ein sehr armes Venndorf; Schlieben wußte das und wollte noch einmal in die Tasche greifen, aber er fühlte sich von Käte zurückgehalten: Nein, der da nicht- der Frau nicht- Du mußt es dem Gemeindevorsteher über­geben, für das Kind, für das arme Kind!"

Sie tuschelte sehr leise und aufgeregt schnell. Das Weib konnte unmöglich etwas verstanden haben, aber der Blick der schwarzen Augen flog blitzschnell von dem Herrn zu der Dame und blieb voll Mißtrauen auf der feinen Städterin haften: wenn die ihr doch nichts geben wollte, was sollte sie sich dann noch länger ausfragen lassen; was wollte die von ihr?! Mit einem faum merklichen Kopfniden und einem knapp herausgestoßenen Adieu" wandte sich die Wallonin ab. Gelassenen, aber weitausholenden Schritts ent­fernte sie sich übers Venn; rasch kam sie vorwärts, ihre Ge­stalt wurde kleiner und kleiner, die Mißfarbe ihres ärmlichen Rockes war bald nicht mehr kenntlich im farblosen Venn. Die Sonne war verschwunden mit dem Kind; plößlich war alles grau.

Regungslos stand Käte und sah in die Richtung von Longfaye. Sie stand, bis ein Frösteln sie zusammenschauern ließ, und hing fich dann schwer an den Arm ihres Mannes; als sei sie auf einmal müde geworden, so aing sie stumm mit schleppenden Füßen der Baraque zu.

Nebel begann den hellen Mittag zu verschleiern. Feucht­falte Luft, die empfindlicher näßt als Regen, machte die Kleider flamm. In dichten Schwärmen flogen die Stech­fliegen der Sümpfe zu Tür und Fenstern der Baraque herein; drinnen brannte ein schwelendes Torffeuer, mit dürren Tannenreisern zu lodernder Glut entfacht, und die Fliegen flebten sich an Herdwand und Deckenein, sie wollten noch nicht sterben!

Der Herbst war da, Sonne und Wärme dem Benn ent­schwunden, jetzt tat man gut daran, zu fliehen.

Aber draußen, ganz in der Dede, überm höchsten Punkt des Venns, kreiste ein einsamer Bussard und stieß seinen durchdringenden, sieghaften Wildlingsschrei aus; dem war wohl hier, im Sommer wie im Winter, der wollte nicht fort von hier. 3.

Der Gemeindevorsteher des kleinen Venndorfs war einigermaßen verwundert und verlegen, als so feine Herr­fchaften bei ihm vorfuhren und ihn zu sprechen wünschten. Durch die Jauche seines Hofes, die ihm bis an die Knie spritzte, ging er ihnen entgegen. Er wußte nicht, wo er sie hineinführen sollte, denn drinnen waren die Ferkel und das Kälbchen, und die alte Sau wälzte sich vor der Tür.

So gingen fie mit ihm auf der stillen Dorfstraße, von der die wenigen Gehöfte noch abseits liegen, auf und ab, während der Wagen langsam in tief ausgefahrenen Gleisen

hinter ihnen dreinholperte.

Stäte war blaß, ihren Augen sah man's an, daß sie wenig Schlaf gefunden hatten. Jedoch sie lächelte, und eine er­wartungsvoll- freudige Spannung war in ihren Bügen, sprach aus ihrem Schritt; immer war sie den anderen ein wenig

vorauf.

Schliebens Gesicht war sehr ernst. War es nicht eine große Unbedachtsamkeit, eine grenzenlose Uebereilung, die er jekt beging, seiner Frau zuliebe?! Wenn es nun nicht zum Guten ausschlug?!

Es war eine böse Nacht gewesen. Seltsam stumm und wie geistesabwesend hatte er gestern Räte von der Baraque nach Hause gebracht, sie hatte nichts gegessen, und, große Er­müdung vorgebend, sich früh zur Ruhe gelegt. Aber als er, ein paar Stunden später, sein Lager aufsuchte, fand er sie noch nicht eingeschlafen. Sie saß aufrecht im Bett, ihr schönes Haar, das sie zur Nacht in zwei Böpfe flocht, hing ihr lang herunter und gab ihr so das Aussehen einer ganz jungen Frau. Aus verstörten Augen sah sie ihn seltsam verlangend an, und dann schlang sie beide Arme um seinen Hals und 30g seinen Kopf zu sich herunter,

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Sie war so eigentümlich gewesen, so weich und doch so heftig, er hatte sie besorgt gefragt, ob ihr etwas fehle, aber sie hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn in stummer Lieb­fosung fest umfaßt.

Er glaubte sie endlich eingeschlafen sie schlief auch, aber nur ganz furze Zeit da war sie mit lautem Schrei schon wieder erwacht: sie hatte geträumt, so lebhaft geträumt o, wenn er wüßte, was sie geträumt hatte! Geträumt geträumt! Sie seufzte und warf sich und lachte dann leise in sich hinein.

Er merkte wohl, daß sie etwas auf dem Herzen hatte, was sie ihm gern sagen wollte, und was sie sich doch nicht recht zu sagen traute. So fragte er sie.

Da hatte sie ihm denn gestanden, stockend, schüchtern und doch mit einer Leidenschaftlichkeit, die ihn erschreckte: es war das Kind, an das sie immerfort dachte, immerfort denken mußteach, wenn sie das hätte! Das wollte sie haben, mußte sie haben! Die Frau hatte ja noch so viele Kinder, und sie sie hatte feins! Und sie würde doch so glücklich mit ihm sein, ja, unsäglich glücklich!

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Im Dunkel der Nacht, durch kein Wort von ihm unter­brochen, durch keine Bewegung er hatte ganz still gelegen, fast wie gelähmt von der Ueberraschung, die doch nicht ganz eine Ueberraschung mehr war hatte sie sich immer mehr ge­steigert: was war ihr ganzes Leben? Eine immerwährende Sehnsucht! Alles, was er ihr an Liebe tat, konnte ihr doch das eine nicht ersetzen: ein Kind, ein Kind!

Lieber, guter Mann, schlag's mir nicht ab! Mach mich glücklich! So froh wird keine andere Mutter auf Erden sein geliebter Mann, gib mir das Kind!" Ihre Tränen flossen, ihre Arme umflammerten ihn, ihre Küsse überschauerten sein Gesicht. Aber warum gerade dieses Kind?! Und so schnell entschlossen das ist doch keine Kleinigkeit man muß sich das erst sehr reiflich überlegen!"

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Er hatte Einwendungen gemacht, Ausflüchte, aber sie hatte für alles schlagfertige Antworten bereit: was noch lange überlegen? Man würde doch zu keinem anderen Re­sultat kommen! Und wie er nur denken konnte, daß die Frau das Kind vielleicht nicht geben würde? Wenn sie's nicht liebte, würde fie es erst recht gern geben und Gott danken, es so gut versorgt zu wissen.

,, Aber der Vater, der Vater, wer weiß, ob der damit einverstanden ist?!"

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,, Ach, der Vater! Wenn die Mutter es gibt, der Vater sicherlich! Ein Brotesser weniger ist bei so armen Leuten immer ein Glück. Das arme Kind, es wird vielleicht sterben aus Mangel an Nahrung, während es bei uns so gut" sie unterbrach sich ist es nicht wie eine Fügung, daß gerade wir ins Venn fommen, gerade wir es finden mußten?" lich dagegen: nein, wenn sie sich denn schon von ihrem Gefühl so fortreißen ließ sie war eben eine Frau-, so mußte er doch, als Mann, den Verstand über das Gefühl setzen! wieder, und als Lettes ihr gesagt: Du ahnst gar nicht, in Und er hatte ihr alle Bedenken aufgezählt, wieder und welchen Zwiespalt Du Dich selber bringst! Wenn nun die Neigung, die Du für das Kind zu empfinden glaubst, nicht stand hält?! Wenn es sich Dir nicht sympathisch entwickelt?! Bedenke, es ist und bleibt immer das angenommene Kind!"

Er fühlte, daß sie ihn beredete, und er sträubte sich inner­

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Aber da war sie fast zornig aufgefahren: Wie kannst Du so etwas sagen?! Glaubst Du, ich bin engherzig?! Eigen geboren oder angenommen, das ist ganz gleich, denn es wird mir angeboren durch die Erziehung. Ich werde es mir er­ziehen. Das Ausdemselbenblutesein" macht's doch nicht! Bloß weil ich's geboren habe, darum soll ich ein Kind lieben?! Onein! Ich liebe das Kind, weil weil nun, weil es so ganz auf mich angewiesen ist, weil es so klein ist, so un­schuldig, weil es unendlich süß sein muß, wenn so ein hülf­loses Geschöpfchen die Aermchen nach einem ausstreckt!" Und sie breitete die Arme aus und schloß sie dann an ihre Brust, als hielte sie so schon ein Kind am Herzen. Du bist ein Mann, Du verstehst das eben nicht. Aber Du willst mich doch so gerne glücklich machen mach mich jetzt glücklich! Lieber, geliebter Mann, Du wirst ja so rasch vergessen, daß er nicht unser Eigengeborener ist, es bald gar nicht anders