mehr wissen.„Vater, Mutter" wird er zu uns sagen— und wir werden Vater und Mutter sein!" Wenn sie recht hätte! Von einer seltsamen Empfindung durchrieselt, schwieg er. Und waruni sollte sie nicht recht haben?! Ein Kind, das man vom ersten Lebensjahre an ganz auf seine Weise erzieht, das man vollständig auslöst aus den Verhältnissen, in denen es geboren worden ist, das nicht anders weiß, als daß es seiner jetzigen Eltern Kind ist, das da denken lernt mit ihrem Denken und fühlen mit ihrem Fühlen, das kann nichts Fremdes mehr haben. Das wird ein Teil des ureigensten Ichs, wird einem so lieb, so teuer, als hätte man's selber gezeugt! Vor des Mannes Herzen stiegen Bilder auf, deren An- blick er nicht mehr erhofft, nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Er sah ein lächelndes Weib, auf dessen Schoß ein lächelndes Kind; er sah sich selber lächeln und fühlte einen nie gekannten Stolz bei dem kindlich-zärtlichen Lallen:„Va— ter!" Ja, Käte hatte schon recht, alles, was man sonst Glück nennt, ist nichts gegen dieses Glück. Nur ein Vater, eine Mutter wissen, was Freude ist! Er küßte seine Käte, und dieser Kuß war schon halbe Zustimmung, das hatte sie gefühlt. „Laß uns morgen hinfahren, morgen, gleich früh!" bat sie, unterdrückten Jubel im Ton. Er bemühte sich, gelassen zu bleiben: nein, erst mußte man die Sache, nach eigener, reiflicher Ueberlegung, in Berlin mit dem Anwalt und auch mit sonstigen Vertrauensleuten besprechen! Darüber geriet sie außer sich: halb schmollte sie, halb lachte sie ihn aus: war denn dies hier eine Geschäftssache? Was ging den Anwalt und andere Leute ihre tiefste, per- fönlichste Herzenssache an?! Niemand war darum zu be- fragen, niemand sollte sich da hineinmischen! Kein Mensch durfte ahnen, woher das Kindchen kam, von wem es ab- stammte! Sie, sie beide waren seine Eltern, sie kamen für es auf, sie waren sein Anfang und die Bürgen für seine Zu- runft— ihr Werk, ganz ihr Werk war dieses Kind! Morgen holen wir es gleich! Je eher es aus dem Schmutz und der Verkommenheit herauskommt, desto bester— nicht wahr, Paul?" Sie ließ ihn gar nicht mehr zu Wort kommen, sie überschüttete ihn in sprudelnder Lebendigkeit mit Plänen und Vorschlägen: und ihr Ueberschwang schwemmte seine Bedenken mit fort. Man kann auch zu bedenklich sein, zu übertrieben vor- sichtig und sich so jede Lebensfrende verbittern, das sagte er sich. Was taten sie denn Außergewöhnliches? Sie hoben nur etwas auf, was ihnen vor die Füße gelegt worden war: sie gehorchten so einem Wink des Schicksals. Und da waren wirk- lich keine Schwierigkeiten. Wenn sie's selber nicht verrieten, würde niemand die Herkunft des Kindes erfahren, und hier wiederum würde nicht groß Nachfrage nach dessen Verbleib sein. Es war ein namen-, ein heimatloses Etwas, das sie an sich nahmen und aus dem sie machten, was sie daraus machen wollten. Später, wenn man das Alter dazu hatte, adoptierte man dann den Kleinen in aller Form und legte so auch in Akten fest, was man im Herzen längst getan hatte. Jetzt galt es nur noch, den Gemeindevorsteher von Longfaye aufzusuchen und mit seiner Unterstützung die Ab- tretung seitens der Ellern perfekt zu machen! l Fortsetzung folgte lNachiruck unfiolen.) 63 JVIartm Solch» Erzählung von Nikolaus Krauß. „Schimpft's net Bauer, so a tüchtiga Rausch is a net zu der- achten... Was hat denn unsereins vom Leben?... Na, ös wißt's ja selber: Arbeit und Arbeit. Alle heiligen Zeiten kann ma amal aufHäschen... Na. und affa gibt's on Rausch. Und drei Tag mutz cin'm no der Kopf brummen, sonst vergißt man's ja, wannt ma's letztmal Geld g'habt hat und daß man sich am andern Tag hat ausschlafen können, so lang's g'schmeckt hat." „Alsdann, wie viel?" „Bauer, i hab's ja schon g'sagt... Na ja... Z'grob wollen ma a net sein. Lassen ma fün Güldala für Weihnachten z'ruck." „So viel Geld!... Aber, Vitus, das ist ja die reine Sünd!" „Sünd?... Ich Hab' ja für nemats z'sorgen!,,,'s Gwand .Und d' Stiefel san im Stand." Er schloß das rechte Auge und blinzelte mit dem anderen. „Bauer, Wennt'S mi bös' machst. Heirat' ich!" „Aehl... Ist schon kein Taglöhnerhäusl!" „Ja, daS habt'S wegreißen laff'n, die alte Hütken, weil ein Knecht billiger kommt als a Taglöhner.. Zieh' i halt in ein Herbingshaus an da Straßen... A Weib krieg i schon!... U affa gehen ma ins Ziegeleschlagen." Sölch schob ihm das verlangte Geld hin und schlug die Faust auf den Tisch. „Bist denn ganz verruckt?... A Bauer und will unter die Ziegterleut'!... Da schaut Dich ja kein Mensch mehr an!" „Is net so arg... Und dann... was die Eigler san, die hab'n schon a rechts schön's Häusl. und die Eva hat noch Geld auf der Kassa." „Aber es g'hört sie net!,,, Was Bauer ist, soll Bauer bleiben!" „Hm, na ja!... Aber... Zum ersten bin i nur a Knecht ... U affa.,. Früherer Zeit hab'n d' Bauern a net spekuliert u g'handelt... I kenn an Bauern, der wird sie bald an ganz'n Hof dcrspekuliert hab'n." Sölch sah seinem Grotzknecht ruhig ins Gesicht. „Geht das Dich was an?" «Könnt' i net behaupten!" „Alsdann!... Tu' was d' willst... Du mutzts'S es ja am besten wissen... Um acht wird zug'sperrt." „Auf einer Wirtshausbank schläft's sich a net schlecht." Vitus steckte sein Geld ein, wetzte an der Ofenplatte sein Schnappmesser und verließ langsam die Stube.-- Eine Weile rechnete Sölch noch, nickte und sah starr vor sich hin. Da lenkte etwas Flatterndes seinen Blick nach dem Hofe. Aus der Mitte schob sich das zweibeinige Taubenhaus empor. Die starken Tragstämme waren in halber Höhe mit Blech beschlagen, oben, unter den Schlägen, wand sich ein Dornenkranz, eine Schutz- wehr gegen den Räuber, den Marder. Und auf dem Dache einige hundert Tauben jeder Farbe und Spielart. Gewöhnliche Haus- tauben, Rot- und Blauschwänze, Kropser und Trommler pluderten sich auf im hellen Sonnenlichte, putzten ihr Gefieder, neckten und umwarben einander. Ein nie zur Ruhe kommendes Gewoge von weißen Brüsten, schillernden Hälsen und Köpfen, roten Füßchen. Bis in die stille Stube drang das Gurren. Und plötzlich schoß ein ganzer Flug empor, drehte sich im rasenden Kreistanz über dem Hofraum, saß im nächsten Augenblick in einer Reihe auf dem sonnenübergossenen First des Scheunendachs. Das Gesicht des Bauers strahlte. Viele und schöne Tauben zu haben, war seine einzige Liebhaberei. Nun ja, es trug auch etwas ein. In Franzensbad konnten sie im Sommer nie genug junge Tauben bekommen. Sölch sah das Spiel der zierlichen, sauberen Vögel. Und er sah die Gebäude seines Hofes in dem milden Schein der Oktober- sonne. Die grauflimmerndcn Schindeldächer, die starken Balken» deren Rotbraun sich gut abhob von dem gelblichen Fachwerk. Alt war alles, aber gut imstande. Und noch hundert Jahre konnte es stehen und halten, wenn man es pflegte und in Ehren hielt, wie es sich gehörte. Ein Geräusch beim Ofen riß den Bauer aus dem Sinnen. Ein Blick, und jede Freudigkeit war aus seinem Gesicht der- schwunden. Der Vorwurf klang aber beinahe mild, als er sagte: „Hast Dir net einmal die Haare g'macht, Barbara!" Die alte Frau, die auf der Ecke der Ofenbank saß, zog den Kopf mit dem wirren, grauen Haar in die Schultern. In dem aschfarbenen Antlitz flackerten dunkle Augen, die Mundwinkel waren nach oben geschwungen, unter der schmalen Oberlippe schoben sich zwei Eckzähne hervor. „Hast denn schon einen Kirwahgast bei uns g'sehn?" „Davon Hab' ich net g'red't..... Aber von Deiner Schlamperei. ,,. Eine Bäuerin soll in allem ein gut's Beispiel geb'n." „Und der Bauer?" „Auch!" Sie lachte bitter und höhnisch. „Na ja!... Wie man's halt nimmt.,.. Trinken tust net. Kartcln a net. Umbracht hast bis dato a no keinen. Aber viel hast doch auf'm G'wissen, Martin."... „Willst mir's erforschen?" „Nur a bißl anrühren, wenn's a nichts helfen wird.... Schau amal: Was Hab' i denn von meinem Leben g'habt!... Schön war i ja grad net und die jüngst' a nimmer, wie Du mich g'nommen hast. Da Vater hat net„übergeben" wollen vor sein'm Tod. Aber 's reichst' Bauernmädel war i im ganzen Egerland .... Und Du?... Vom ersten Augenblick an warst a Tyrann!" Sie umfaßte die Knie, daß die Handrücken nach innen kamen, und sah vor sich hin. „Du red'st von schlampert?... Hab' i net immer arbeiten müssen wie a Dienstbot? Was Hab' i denn g'habt von meinem vielen Geld?... Wenn i was kaufen wollt', hast d' g'sagt: nimm's vom Marktgeld. Das Hab' i zum Wirtschaften braucht.... Wie oft warst denn gut zu mir, wiest's vorm Pfarrer versprochen hast?... Wie die Stingel-Bäuerin tot war, ein paar Wochen... Hast mi amal ausg' führt, oder wo mit hing'nommen?... Seit fünf Jahren war i net in der Stadt!"... Wie ein leises Knurren kam es vom Tische her:„Wennst Schnaps trinkst!" «Martin, Du weißt haupkgut, daß ihn mir der Dokta als Medizin für mein'n Magen verschrieben hat..., Und jetzt bin i halt dran g'wöhnt."
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23 (8.5.1906) 87
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