Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 88.
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Mittwoch, den 9. Mai.
( Nachdrud verboten.)
Einer Mutter Sohn.
Als Schlieben zu einem Entschluß gekommen war, plagte ihn gleiche Unruhe wie seine Frau. Diese stöhnte: wenn es doch erst morgen wäre! Wenn ihr nun jemand zuvorkäme, wenn das Kind nicht mehr da wäre morgen?! Sie warf sich raftlos hin und her in Ungeduld und Bangigkeit. Aber auch Schlieben wälzte sich schlaflos von einer Seite zur anderen. Ob das Kind auch gesund war?! Einen Augenblick überlegte er besorgt, ob es nicht geraten sei, den Badearzt von Spaa ins Vertrauen zu ziehen der könnte mitfahren und den Kleinen vorerst untersuchen-- aber dann berwarf er diesen Gedanken wieder: das Kind sah ja so kräftig aus! Er rief sich die derben Fäustchen zurück, den klaren Blick der blanken Augen auf nacktem Boden, bei Kälte und Wind, ohne Schutz hatte es gelegen es mußte eine Kernnatur haben. Darüber konnte man ruhig sein.-
Es war noch sehr früh am Morgen gewesen, als das Ehepaar sich aufgerafft hatte- müde, wie zerschlagen an allen Gliedern aber von einer Art fröhlicher Entschlossenheit getrieben.
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Käte lief im Hotelzimmer hin und her, so geschäftig, so freudig erregt wie jemand, der einen lieben Gast erwartet. Sie war so sicher, daß sie das Kind gleich mit herbringen würden. Jedenfalls wollte sie anfangen, die Koffer zu packen, denn wenn man das Kind hatte, dann nur nach Hause, so schnell als möglich nach Hause!" Das Hotel ist nichts für solch einen kleinen Liebling. Der muß sein Kinderzimmer haben, einen freundlichen Raum mit geblümten Gardinen nur dunkle nebenbei zum Vorziehen, um das Licht beim Schlafen zu dämpfen sonst alles hell, leicht, luftig. Und eine Babykommode muß darin stehen mit den vielen Fläsch chen und Näpfchen, und sein Badewännchen, sein Bettchen mit den weißen Mullvorhängen, hinter denen man ihn liegen ſehen kann mit roten Bäckchen, die Fäustchen am Kopf, und fest schlummern!"
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Sie war so jugendlich, so liebenswürdig in ihrer erwartungsvollen Freude, daß sie ihren Mann entzückte: Schien nicht der Sonnenschein, auf den er so lange vergeblich geharrt hatte, jeßt kommen zu wollen?! Er ging schon dem Kinde vorher, fiel heiter verklärend auf dessen Weg. Die Eheleute waren beide bewegt, als sie gen Longfaye fuhren. Einen bequemen Landauer mit schließbarem Verdeck hatten sie heute genommen statt des leichten Zweisigers, in dem sie sonst ihre Touren zu machen pflegten. Es könnte auf dem Rückweg zu kalt für den Kleinen werden! Decken und Mäntel und Tücher waren eingepackt, eine ganze Auswahl.
Schlieben hatte sich mit seinen Papieren versehen; man würde wohl kaum einen Ausweis von ihm verlangen, aber der Sicherheit halber, um einer etwa dadurch entstehenden Verzögerung vorzubeugen, steckte er sie ein. Man hatte ihm den Gemeindevorsteher von Longfaye als einen ganz verständigen Mann genannt, so würde sich denn alles glatt abwickeln.
Wie die Ebereschen zu Seiten der Straße unter der herbstlichen Last roter Beeren ihre Kronen senkten, so senkten sich auch die Häupter der beiden Menschen unter einer Flut von hoffnungsvollen Gedanken. Rasch flogen die Bäumchen am rollenden Wagen vorbei, rasch alle Etappen des Lebens am bewegten Gemüt. Fünfzehn Ehejahrelange Jahre, wenn man wartet erst mit Zuversicht, dann mit Geduld, dann mit Baghaftigkeit, dann mit Sehnsucht mit Sehnfucht, die von Jahr zu Jahr heimlicher wird, und in der Heimlichkeit immer brennender! Nun war die Erfüllung nah, freilich anders, als liebende Gatten sie sich ausmalen; aber doch eine Erfüllung.
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Unabweislich tam der Frau das alte Bibelwort in den Sinn: Und als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn" o, dieses Kind aus der Fremde, aus dem Unbekannten, aus dem Lande, das nicht Acker noch Früchte hat
that
und nicht gesegnet ist mit reichen Ernten, dieses Kind war eine Gabe des Himmels, ein Geschenk seiner Güte! Sie beugte ihr Haupt wie gesegnet, des Dankes voll.
Und der Mann drückte leise die Hand seiner Frau, und sie erwiderte den Druck. Hand in Hand blieben sie sitzen. Sein Blick suchte den ihren, und sie errötete. Jezt liebte sie ihn wieder wie im ersten Jahr ihrer jungen Ehe- nein, jett liebte sie ihn noch um vieles mehr, denn jezt, iezt schenkte er ihr das Glück ihres Lebens: das Kind!
Selig schweifte ihr Blick übers arme Vennland, das braun und öde schien und doch ein Märchenland war voll der herrlichsten Wunder.
,, Hab' ich's nicht gewußt?!" murmelte sie triumphierend und doch zusammenschauernd in einer fast abergläubischen Regung. Ich hab's gefühlt hier hier!"
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Sie konnte es kaum erwarten, bis sie das Venndorf erreichten. Ach, wie lag das abseits aller Welt, so ganz vergessen! Und so arm! Aber die Armut schreckte sie nicht und die aus der Armut entspringende Unsauberkeit auch nicht; sie nahm ihn ja jetzt mit fort von hier, brachte ihn in Kultur und Wohlleben, und daß er einmal auf nacktem Boden gelegen hatte statt in weichem Bettchen, das würde er nun und nimmer ahnen. Sie dachte an Moses : wie der gefunden worden war im Schilf des Nils, so hatte sie ihn gefunden im Gras des Venns ob er ein großer Mann war wie jener?! Wünsche, Gebete, Hoffnungen und hundert Ge fühle, die sie früher nicht gekannt hatte, bewegten ihr Herz.-
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ständlich zu machen. Nicht das der Mann ein Wallone geSchlieben hatte Mühe, sich dem Gemeindevorsteher verwesen wäre, der schlecht Deutsch verstand-- Niklas Rocherath wesen wäre, der schlecht Deutsch verstand aus dem Haus Bur guten Hoffnung", so genannt, weil man's, als das ansehnlichste des Dorses, weit vom Venn her aber er begriff den erblicken fonnte, war gut deutsch Herrn nicht.
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Was wollte der mit dem Jean- Pierre von der Lisa Solheid? Annehmen an Kindes Statt?! Ganz verdukt sah er drein, und dann war er beleidigt: nein, wenn er auch ein simpler Bauer war, zum Narren halten ließ er sich von dem Herrn drum doch nicht!
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Erst allmählich gelang es Schlieben, ihn von der Ernsthaftigkeit seiner Absicht zu überzeugen. Aber immer noch rieb der Alte bedenklich das stopplige Kinn und sah mißtrauisch auf die, die so hergeschneit famen in seine Einsam. feit. Erst als Käte, von der langen Auseinandersetzung er müdet und gequält, ihn ungeduldig beim Arm ergriff und ihm, fast gereizt und mit Heftigkeit, ins Gesicht schrie:„ So begreifen Sie doch! Wir haben kein Kind, wir wollen aber ein Kind begreifen Sie's nun?!" da begriff er. Kein Kind o weh! Rein Kind da weiß man ja gar nicht, für was man lebt! Nun nickte er verständnisvoll; und mitleidig auf die Frau blickend, die so reich war, so fein angetan und doch keine Kinder hatte, zeigte er sich viek zugänglicher. Also der Jean- Pierre von der Lisa Solheid hatte ihnen so gut gefallen, daß sie sich den mitnehmen wollten bis nach Berlin ? Was der Jung für ein Glück hatte! Die Lisa würde es gar nicht glauben wollen. Zu gönnen war's der freilich, so arm wie die war feiner hier, die wußte manchen Tag nicht, wie sie sich und ihre fünf satt machen sollte, Früher, als ihr Mann noch lebte-
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Was, der Mann lebte nicht mehr?! Sie war Witwe?! Wie befreit aufatmend unterbrach Schlieben den Gemeindevorsteher. Er hatte, wenn er auch nicht darüber nesprochen hatte, vor dem Vater beständig eine geheime Furcht gehabt: wenn der nun ein Schnapstrinfer wäre oder sonst ein Tunichtgut?! Nun fiel ihm eine Last von der Seele der war tot, der konnte nicht mehr schaden! Oder war er am Ende an einer Krankheit gestorben, an einem zehrenden Leiden, das sich auf die Kinder und Kindeskinder vererbt?! Schlieben hatte sagen hören, daß die Nebel des Venns und seine plößlichen Temperaturwechsel leicht der Lunge und dem Hals verderblich werden dazu schwere Arbeit und schlechte Ernährung der junge Mann war doch nicht etwa gar an der Schwindsucht gestorben?! Aengstlich forschte er.
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Aber Niklas Rocherath lachte nein: von einer Krankheit hatte der Michel Solheid zeitleben nichts gewußt und war