Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 91. Sonnabend, den 12� Mai. 1906 (Nachdruck verdaten.) Einer Mutter Sohn. Nomon von ClnraViebig. Schlieben vatte. trotz aller Gleichgültigkeit der Mutter, zuguterletzt doch noch eine Szene befürchtet es konnte ja nicht sein, daß sie so fühllos blieb, wenn man ihr Jüngstes davontrug! aber die Solheid blieb ruhig. Unbeweglich stand sie, die Linke auf die Stelle ihres Nockes gedrückt, wo sie die Tasche fühlte. Dieses Geld in der Tasche da Schlichen fühlte sich heftig erregt strafte das nicht alle Traditionen von Mutterliebe Lügen?! Und doch diese war ja so ver- kommen in der großen Armut, halb vertiert im harten Kampf ums tägliche Brot, daß ihr selbst die Empfindung für das Eigengeborene darin untergegangen war! O, welch andere Mutter würde Käte nun dem Kinde sein! Und zärtlich be- sorgt schob er seine Frau, die den Kleinen auf dem Arme trug, dem Ausgang zu. Nur fort, hier war nicht gut sein! Sie eilten. Aber auf der Schwelle wendete Käte noch einmal den Kopf. Einen Blick mußte sie der doch noch schenken, der, die da hinten blieb, so starr und stumm. Wenn die ihr auch unbegreiflich war, ein Blick des Mitgefühls ge- hörte der doch noch! Da--- ein kurzer Schrei, aber laut, durchdringend, furchtbar in seiner markerschütternden Knappheit. Ein ein- ziger, ans Qual und Haß herausgepreßter unartikulierter Schrei. Die Solheid hatte sich gebückt. Ihre Hand hatte das Holzbeil aufgerafft. Sie holte aus wie zum Wurf blitzend flog die scharfe Schneide am Kopf der enteilenden Frau vor- über und blieb krachend im Türpfosten haften. 5, Wie auf der Flucht, so waren sie mit dem Kinde enteilt. Sie hatten es in den Wagen gepackt schnell, schnell!, der Kutscher hatte auf die Pferde gepeitscht, die Räder hatten sich knirschend gedreht. Wie ein böser Traum, den man gern vergißt, so blieb das Benndorf, versunken, in ihrem Rücken. Sie sahen nicht mehr nach ihm zurück. Ein ödes Grau lag überm Venn. Die Sonne, die noch am Morgen geschienen hatte, war so ganz verschwunden, als hätte sich hier nie ein Strählchen von ihr gezeigt. Der Plötz- liche Vennnebel war da und bezog alles. Wo vordem noch eine Aussicht gewesen war, ein Auslug ins Weite, war jetzt eine versperrende Mauer. Eine Mauer, nicht von Stein und nicht von Lehm, und doch um vieles fester. Sie riß nicht, sie barst nicht, sie wankte nicht, sie wich nicht dem Hamnierschlag der kraftvollsten Faust. Mächtig und undurchdringlich baute sie sich aus den Sümpfen und ragte vom Moorland bis hinauf zu den Wolken oder hatten sich die Wolken hinab zur Erde gesenkt? Himmel und Venn, beides eins. Nichts als Grau, ein zähes, feuchtes, kaltes, fließendes und doch festes, unergründ- bares, geheimnisvolles, schauriges Grau. Ein Grau, aus dem der, der sich im Moor verirrt, nimmermehr herausfindet. Der Nebel ist zu zähe; er hat Arme, die packen, die so dicht umfangen, daß man nicht mehr vorwärts sehen kann, nicht rückwärts, nicht nach links, nicht nach rechts, daß der Ruf erstickt, der sich aus angstgepreßter Kehle entringen will, und das Auge blind wird für jeden Weg, jede Fußspur. Der Kutscher fluchte und hieb auf die Pferde ein. Von der Straße war nichts mehr zu sehen, aber auch gar nichts mehr, kein Graben zur Seite, keine Telegraphenstange, kein Ebereschenbäumchen. Wie zerflossen war die breite, müh- selig angelegte Chaussee im Venngrau. Ein Glück, daß. die Gäule noch nicht verwirrt waren. Me folgten ihrer Nase, warfen ihre langen Schweife, wieherten hell und trabten mutig drauflos ins Nebelmeer. Schaudernd hüllte Käte sich und das Kindchen fester ein; nun brauchten sie alle vorsorglich mitgenommenen wärmen- den Hüllen. Ihr Mann packte sie noch fester ein, und dann legte er. wie schützend, den Arm um sie. Eine böse Fahrt! Sie hatten den Wagen schließen lassen, aber das kalte Grau drang doch zu ihnen herein: es zwängte sich durch alle Ritzen, durchs Glas der Fenster, füllte den Jnnenraum, daß ihre Gesichter wie bleiche Flecke schwammen im dunstigen Dämmer, und legte sich schwer, hemmend auf ihren Atem. Käte hüstelte und dann zitterte sie. In ihrer Seele war jetzt nichts von Freude, sie fühlte nur Angst, Angst um den errungenen Besitz. Wenn die Mutter jetzt hinter ihnen drein käme o, dieses schreckliche Weib mit der blitzenden Axt! In einem Granen sondergleichen preßte sie die Augen zu nur das nicht mehr sehen! Und doch riß sie die Augen wieder auf, fühlte Angstschweiß auf ihrer Stirn und das Beben ihres Herzens weh, bis in ihre Träume würde sie dieses ver» folgen! Bis zu ihrer letzten Stunde würde sie das nicht mehr los werden nie, nimmermehr das Weib mit der blitzen- den Axt! Dicht an ihrem Kopf war das Beil vorübergesaust der Luftzug des Schwunges hatte ihr Schläferhaar wehen gemacht, es hatte ihr nichts getan,- in den Pfosten der Tür nur war es gefahren und hatte den krachend gespalten- Und doch war ihr Leides geschehen. Wie in Entsetzen faßte sich Käte mit beiden Händen an die Schläfen: nie, nie wurde sie diese Angst wieder los! In ihrer Seele war eine fast abergläubische Furcht, eine Furcht wie vor einem Gespenst, das da umgeht. Nur fort von hier! Nur nie mehr wieder hierher zurück! Nur jede Spur hinter sich verlöscht! Nie durfte jene erfahren, wohin sie sich gewendet hatten! Berlin leider! die Adresse hatten sie dem Gemeindevorsteher gegeben, aber Berlin war ja so weit, dorthin würde das Vennweib niemals kommen! Und das Venn selber?! Huh! Sich schüttelnd vor Grausen sah Käte hinaus ins graue Nebelgewoge. Gott sei Dank, das blieb ja hier, das würde bald gam vergessen sein! Wie hatte sie nur dieses öde Venn einmal schön finden können?! Sie begriff sich nicht. Was war denn Reizvolles an diesen unwirtlichen Flächen, auf denen nichts gedieh als hartes Gras und zähes Heidekraut? Auf denen kein Korn seine Nehren wiegte, kein Singvogel sein kleines Lied pfiff, keine fröhlichen Menschen gesellig lebten, überhaupt keine Heiterkeit war, kein lauter Ton; nur Todesschweigen und Kreuze am Weg. Hier wars schrecklich! Angstvoll, während ihr Auge vergebens nach einem Licht- blick suchte, stieß sie hervor:Paul, laß uns heute noch ab- reisen! So schnell als möglich abreisen!" Ihm wars recht. Auch ihm war nicht Wohl zumute« Wenn dieses Weib, diese Bestie, in ihrem plötzlichen Wut- ausbruch seine Frau getroffen hätte?! Aber er konnte sich» selber einen Vorwurf nicht ersparen: wer hatte es ihn ge- heißen, sich mit solchem Volke einzulassen? Solcher Unkultur ist man nicht gewachsen! Und ein Unwille gegen das Kind ergriff ihn, das da so friedlich im Arm seiner Frau schlummerte. Finster sah er in das kleine Gesicht: würde er das je, je lieben können? Würde nicht die Erinnerung an des Kindes Herkunft seiner Neigung stets hindernd sein? Ja, er hatte sich übereilt. Wie- viel besser hätte er daran getan, seiner Frau vernünftig ihren Wunsch auszureden, ihrer romantischen Idee, dieses Kind, gerade dieses Kind anzunehmen, energisch entgegen zu treten! Die Brauen zusammengezogen, die Stirn in galten, schaute auch er hinaus zum Fenster, an dessen Glas sich das Grau klebte und in großen Tropfen niederrann. Draußen heulte jetzt ein Wind; er hatte sich plötzlich auf- gemacht. Und er heulte stärker, je mehr sie sich dem Scheitel des hohen Venn näherten, fauchte um den Wagen wie ein böser Hund und sprang den Pferden gegen die Brust. Die Gäule mußten sich wehren, ihren Trab verlangsamen: nur mühsam schwankte der Wagen voran. Nie, niemals durfte dieses Kind erfahren, woher es stammte, denn sonst in tiefen Gedanken starrte der neue Vater ins Venn, dessen Nebelwand jetzt für Augenblicke durch einen wütenden Windstoß auseinandergerissen ward denn sonst--- wasdenn sonst"?! Er fuhr sich über dre Stirn und atmete beklommen. Es beschlich ihn etwas wie eine Furcht, aber er machte sich selber nicht klar: wovor. Den Blick zu seiner Frau wendend, sah er, daß sie ganz in Betrachtung des schlafenden Kindes versunken war, und seine Mißstimmung wurde dadurch nicht kleiner. Er zog ihre Rechte, die sie stützend unter des Kindes schwer hingesunkenen Kopf hielt, fort:«Laß doch, ermüde Dich doch nicht so! ES