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-Warum nicht?- und sich auch für die Kunst interessieren, ohne darum so wenig realen Sinn zu besigen!
Der biedere Mann, der Kaufmann von echtem Schrot und Korn und Urberliner, hatte nicht mehr die Freude gehabt, an seinem Sohn zu erleben, was jest deffen Sozien mit Verwunderung und ungemessenem Erstaunen wahrnahmen. Sie brauchten jeßt nicht mehr über Schliebens mangelndes Geschäftsinteresse die Achseln zu zucken und eine gewisse Spike auf die Frau zu haben, die ihn so ganz in Beschlag nahm; jekt hatte er das Interesse, das sie wünschten. Jetzt machte es ihm Freude, auf ihre Projekte einzugehen; es erschien ihm felber Bedürfnis, ja geradezu geboten, neue Verbindungen anzuknüpfen, den ruhigen, von lange her eingeschlagenen Geschäftsgang nach rechts und links, nach allen Seiten zu erweitern. Er zeigte Geschäftsgeist und wurde auf einmal praktisch. Und mitten in feinen Berechnungen, vertieft am Pult sigend, konnte Schlieben sich dabei ertappen, daß er dachte:„ Das wird dem Jungen einmal von Nußen sein!" Dann aber konnte ihn dieser Gedanke doch wieder so irritieren, daß er die Feder hinwarf und unwirsch vom Bult aufsprang: nein, nur seiner Frau zu Gefallen hatte er den Jungen angenommen, liehen wollte er ihn nicht!
( Fortsetzung folgt.)
( Neues Theater.)
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Berlin W. freute sich. Reinhardt hatte einen großen Tag. Offenbach , der Komponist, hatte einen schlechten. Und man sollte doch eigentlich denken dürfen, Offenbach werde aufgeführt seinetwegen, damit er zur Geltung fonime als Musiker, als Komponist, als espritvoller Operettentomponist. Jacques Offenbach heißt der Mann nämlich, und er ist bis jetzt der feinste parodistische Esprit in der Operette, selbst wenn ihn Strauß in der Fledermaus" überboten und übertrumpft hat. Man muß das erinnern, um aus dieser Tatsache seine Forderungen für die Aufführung herleiten zu können. Man muß für Offenbach fordern. Was gespielt wurde, war er nur nebenbei, war Auchoffenbach. Denn was gespielt wurde, war die Menschlichkeit der Künstler. Das ist aber nicht die Menschlichkeit der Götter, die es hätte sein sollen. Der parodistische Gesichtswinkel in bezug auf den Olymp und das flassische Geschehnis war außer acht gelaffen und sogar außer Geltung gefeßt, um alles unter den Gesichtswinkel der aktuellen Geschehnisse und der agierenden Perfonen zu rüden. Die stoffliche Parodie wurde zur Parodie der Schauspieler, der musikalische Scherz und Witz wurde zum Couplet, zum Kalauer. Der allgemeine Inhalt wurde zu einem ganz speziellen und momentanen Wirkungsmittel herabgedrückt. Es wurde aus Offenbachs Stück ein Gelegenheitsstüd, ein Bazarstück. Man sah die Darsteller einmal anders, als man sie sonst sah. Die starken Forderungen und Bande der Kunst, ihrer Kunst, waren einmal gelöst. Der Unzulänglichkeit waren alle Rechte eingeräumt. was wirfte, war der Dilettantismus. Die Unzulänglichkeit wirkte. Sie wars, die erfreute und lachen machte und Erfolg hatte. Die Unzulänglichkeit schlug Offenbach tot. Sie hatte rauschenden Erfolg. Reinhardts Leute hatten Erfolg in dem, was sie nicht fönnen! Benn einer auf der Straße hinfällt, lachen die Leute. Das ist menschlich. Das bulgär Menschliche als Kunstmittel, als Wirkungsmittel, das ivar die Signatur des Abends. Zur Abwechselung einmal. Und weil es gar nicht auf die großen Linien und Ziele ankommt, sondern tveil man immer nach etwas Neuem, nach Einschlagendem haschen muß. Die deutsche Bühne lebt nur von der Hand in den Mund. Sie braucht nun schon das Gaudium. Das ist ein Zeichen, wie start die Tyrannei des Publikums geworden sein muß. Das ist ein Zeichen, wie starkt das Theater abhängig geworden ist. Der Bühne fehlt die Kraft, ihre Muse versteht nicht mehr zu geleiten, sondern nur zu begleiten. Und wen begleitet sie?
Der„ Orpheus in der Unterwelt " war ein Gaudium. Keine Kunstleistung. Berlin W. freute sich. In einer Loge sah ich den Herrn Riccaut de la Marlinière.„ Es ist doch ein roh Wolf, ein plump Volt, ein grob Volt, das deutsch Bolt", murmelte er. Aller Parodismus, den Lessing ihm aufgebrannt, war von ihm genommen. Er war gerechtfertigt. Und er hatte recht in seiner Verachtung, sie hatte das Recht ihrer Ehrlichkeit.
Der Operette fehlte die Musik. Sie wurde zur Burleste, zum Echivant. Nur einer nahm sie bitter ernst. Bitter und trampfhaft erust: der Kapellmeister Oskar Fried . Er wollte sie mit Gewalt retten. Aber sie war rettungslos verloren, trotzdem er die ganze Straft seines Orchesters aufbot. Und er nahm die Musik zu sehr als Deutscher. Wo waren ihre leichten Füße, wo waren ihre luftigen Kapriolen, to war ihre glibernde, blinkende, sprudelnde, hüpfende, spielende, lichernde Schalthaftigkeit? Ihr Uebermut, ihre Redisch teit? Ihr Champagner und Schaum? Die Deutschen haben zwei Fehler: sie trinken zu viel Bier und sind zu tüchtig. Fabelhaft tüchtig! Man erstaunt, was sie da leisten. Es fehlt nicht das Tipfelchen vom i. Jedes Komma ist gewissenhaft gesetzt, und wo nur eine Unterstreichung zu machen ist, wo nur ein Sperrdruck
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möglich ist, da muß es auch geschehen. Es wäre das reine Staatsberbrechen, es nicht zu tun. Flügel, Leichtigkeit, Leichtsinn, Spielerischkeit, Oberflächlichkeit, Champagner! Besonders in einer Beethoven, und sein„ Orpheus " ist teine Neunte Symphonie". Er Operette, besonders bei Offenbach. Denn Offenbach ist kein ist ein Springinsfeld, ein Springindieluft, ein Klingindiewelt. Fried hat ihn sehr gewissenhaft herausgearbeitet, feine Bewegung, teine Phrasierung, kein Motiv, kein Thema vernachlässigt, alles flar, deutlich, feft. Champagner fehlte. Und wenn er dennoch manchmal perlte, wars, weil er sich nun einmal nicht bonchieren ließ und losnallte. Es Tebe die Laune! Die göttliche, leichtlebige, respektlose sie nur ein bißchen weniger respektvoll, ein bißchen mehr respektlos Laune! Das ist nämlich der dritte Fehler der Deutschen . Wenn werden könnten. Herrn Heinrich Heine hat das schon gewurmt. Defto respektvoller würde man gegen sie sein, wenn sie ein wenig respektloser werden könnten, besonders aber, wo es sich um eine Parodie und um das Parodieren handelt.
Das Stück hob sehr gut an. Nach dem ersten Bilde war zu bermuten, daß wir den Orzheus" in stilvoller" Darstellung zu fehen betämen. Etta als Sommernachtstraumbildhaftigkeit. Das war sehr fein. Ueberhaupt fehlte es nicht in der Inszenierung an die heutige Ausstattung immer, fast ein Zuviel an malerischem, Feinheiten und besonders an feinen Einzelheiten. Das zeigt aber an malerischen Bointierungen. Und die werden ganz langsam und absichtlich in die Breite gezogen. Das ist der Trick der modernen Regiekunst. Detailarbeit, tein Zug ins ganze. Spezialität, kein Zusammenfassen. Sehr gut war der Olymp des zweiten Bildes, die Köpfe in den Wolfen zu Aufgang des Bildes. Zu eintönig und. abziehend das Schattenspiel der Himmelsfinderwelt im Olymp des letzten Bildes. Wirksam dagegen war der Ring der liegenden Gestalten beim Göttermahl. Aber warum so viel Spiel in der Mitte? Ein wenig zu sehr Kabarett war die Wohnung des Orpheus, aber wirksam. Tas Kabarett hatte sich ja überhaupt zu sehr in die Darstellung hineingeschoben. Poefie- und wiklos gestaltete fich die nächtliche Heimkehr der Götter. Hier war die Regie wenig glücklich. Der marmorne Apoll war fein übler Einfall. Die Juno tvar ein bißchen start aufgetragen. Aber mußten denn die übrigen Göttinnen, um sich zu bermenschlichen, gleich zu Halbweltgöttinnen gemacht werden? Es erhöht die Parodie nicht, wenn die Friedrichstraße in ihr wirksam wird. Die Tänze fonnten mich nicht befriedigen. Hier, wo alle Ausgelassenheit mehr am Plate ist als bei den Ertempores, fonnte ganz anderes geboten werden. Außer dem graziösen und bildwirksamen Heinen Reigen der ersten Szene fehlte ihnen gerade die Bildwirkung. Ihr Durcheinander war nicht pointiert. Es fehlte ihnen die Originalität. Den Gesang hielt nur Fräulein v. d. Often als Eurydike . b. Sie sang schön und fah schön aus. Die Chöre waren präzis und sauber. Pagah spielte ausgezeichnet den Styr. Hedwig angel unterstrich doch, wie gesagt, ein wenig zu sehr. Aber ihr Zusammenfahren beim Donnern des Jupiter und ihr schimpfendes Nachkollern ivar, was der Franzose cine trouvaille nennt, einen glücklichen Fund. Georg Engels hatte ja gewiß ein paar gute Momente, aber war eben doch zu viel Schauspieler für die Rolle. Alexander Etert war anfangs ein guter Orpheus. As Aristeus nahm auch Moissi einen guten Anfang, als Pluto war er schlecht, besonders weil seine Sprechtechnik zu mangelhaft ist. Die Ertempores überwogen. Ter Orpheus ertrant und erstickte in Salauern. Sie waren meist schlecht. Und sie zogen das Stück auf eine Länge von vier geschlagenen Stunden. Das waren des Guten und Schlechten zu viel. Offenbach hatte einen schlechten Tag und fühlte sich in der Unterwelt. Reinhardt hatte einen guten Tag und strich eine volle Kaffe ein. Da die Aufführung zu einem guten Zwed war, soll ihm das gegönnt sein. Im übrigen hat sie mir einen großen Bariser Eindruck verdorben. Wie anders war da Offenbach im Théatre des Variétés" zur Geltung gekommen! Gewiß keine Modernität. Gewiß nicht. Aber was für ein munterer Geist, was für eine perlente Laune, was für eine sprudelude Lustigkeit, was für ein humor- und espritvoller Uebermut, Welche darstellerische, tänzerische, gefangliche, szenische Vollendung. Welch ein Reichtum. Wie aus dem Bollen, Varon , der alte fiebenzigjährige, spielte den Styr, Brasseur, der alles fann, den Jupiter, Prince den Orpheus, May Darly tanzte den Merkur , mit geflügelten Füßen. Was sind das alles für Namen, und alles für Leistungen. Die Franzosen können noch die Operette spielen, wenn sie auch, gerade wie wir, heute keine mehr haben. Die französischen Operettenspieler sind ebenso gute Schauspieler wie Sänger und Tänzer. Sie haben eine ganz be= sondere Kultur, und die besondere Operettenart. Da war Eve Lavallière . Als Cupido. Ah, was war das eine Leistung. Einen himmlischeren Lausbuben, hélas! fann man sich nicht vorstellen! Sie brachte den ganzen Götterhimmel durcheinander. Sie bengelte überall herum, und überall da, wo sie nicht sein sollte. Entzückend, wie sie aussah, entzüdend wie sie sich bewegte, wie sie fang, wie sie sprach, wie sie improbisierte, wie sie tanzte. Tunichtgut und Uebermut, jeder Zoll ein Bengel. Den neuen Tanz fie machte damals den Cafe- walt olympfähig. Ach, war das ein köstlicher Frechling! Ich habe damals mein Herz an fie verloren. Mein großes, schweres, rotes, deutsches Herz. Ich habe dir gestern sieben rote Herzen von fieben goldenen Pfeilen durchstochen ins Théatre des Variétés" Eve Lavallière , du wirst sie wohl erhalten haben. Und ich dachte während der Aufführung immer an dich und an die Grands Boulevards, wo das Leben auf so leichten Füßen geht, auf so
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