Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 94.
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Donnerstag, den 17. Mai
( Nachdruck verboten.)
Einer Mutter Sobn.
Die Damen, die nach aufgehobener Tafel sich noch im Garten ergingen, plauderten vertraulich. Die fiefernduftenden Gartengänge, in denen die Lampions nur bunt glühten, aber nicht erhellten, waren recht dazu geeignet. Man wandelte zu zweien und dreien, Arm in Arm, und fah fich vorfichtig erst nach Lauschern um: daß nur die gute Frau nichts hörte! Da war faum eine unter den Frauen, die nicht ihre Beobachtungen gemacht hatte. Wie tapfer sie sich hielt, es war eigentlich ergreifend anzusehen, wie Empfindlichkeit und Neigung, Abneigung und Wärme in ihr rangen, so wie die Rede auf das Kind fam! Und wie sich dann in ihren heiteren Blick eine Unruhe stahl- ach ja, fie mochte viel durchgekämpft haben und noch immer durchkämpfen, die Arme!
Eine einzige meinte zwar, Schlieben viel zu lange und viel zu genau zu kennen, um nicht zu wissen, daß es zum Lachennein, daß es gerade ungeheuerlich sei, von ihm so etwas anzunehmen. Von ihm, dem Korrekten, der nicht nur in der äußeren Haltung und Erscheinung, nein, ebenso innerlich allezeit der untadelige Ravalier war. Von ihm, dem treuesten Gatten, der noch heute, nach langer Ehe, so verliebt in seine Räte war, als hätten sie eben geheiratet. Die Sache lag ganz anders: sie hatten sich immer Kinder gewünscht, was war natürlicher, als daß sie sich, nun sie die Hoffnung endgültig aufgegeben hatten, eins angenommen hatten! Taten denn andere Leute das etwa nicht auch?
Freilich, das kam schon vor, gewiß! Aber dann erfuhr man doch Näheres: ob es ein Baisenkind war oder der illegitime Abkömmling aus hohen Kreisen, ob es in der Zeitung ausgeboten worden war, an edeldenkende Menschen zu vergeben"- ob es das Kind eines verlassenen Mädchens oder der unerwünschte Spätling einer schon überreich mit Rindern gesegneten Proletarierfamilie war und so weiter, immer wußte man doch wenigstens einiges. Aber hier warum denn hier so ein Geheimnis? Warum nicht offen erzählt: daher haben wir's, so und so trug's sich zu?!
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Frau Käte ganz offen nach der Herkunft des Kleinen zu fragen, war schwer; man hatte sich schon früher einmal in dieser bestimmten Absicht zu ihr begeben, aber gleich nach den ersten einleitenden Säßen war in die Augen der Frau etwas so Angstvolles gekommen, in ihr Wesen etwas so scheu Ablehnendes, daß es mehr als taktlos gewesen wäre, das Gespräch weiter zu verfolgen. Man sah sich gezwungen, das Fragen zu lassen aber merkwürdig, merkwürdig!
Auch die Herren im Rauchzimmer, die der Wirt einen Augenblick allein gelassen hatte, behandelten das gleiche Thema. Der Doktor wurde ins Gebet genommen.
„ Hören Sie, verehrter Geheimrat, Ihr Toast war ja fehr famos, eines Diplomaten würdig, aber uns machen Sie nichts vor! Sie sollten auch nicht wissen, woher der Kleine Stammt? Na!" Besonders die beiden Sozien intrigierte es, daß Schlieben sie so wenig eingeweiht hatte. Wenn man allen Kir und Kar im Geschäftsleben zusammen besprach, hatte man doch auch ein gewisses Anrecht auf die Privatverhältnisse, zumal man schon mit dem alten Herrn zusammen gearbeitet hatte. Wo wäre der Paul heute, wenn sie beide nicht für ihn eingetreten wären mit ihrer ganzen Arbeitskraft, zur Zeit, als er noch an allem anderen mehr Interesse fand und mehr Geschmack als am Geschäft? Der schon ältliche Meier, der sein gutmütig intelligentes, weinfrohes Gesicht über einem beträchtlichen Embonpoint trug, konnte sich ordentlich über einen solchen Mangel an Vertrauen kränken:" Als ob wir ihm was in den Weg gelegt hätten lachbar! Doktor, fagen Sie mal wenigstens eins: hat er den Jungen von hier?"
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Aber der andere Kompagnon, der etwas gallige Bormann, der alle Jahre nach Karlsbad mußte, unterbrach Schroff: Ich bitte Sie, Meier Sie sehen doch! Was geh's uns auch an? Von der lezten großen Reise wollen sie sich ihn mitgebracht haben na, schön! Wo waren sie denn eigentlich zuletzt? Nach der Schweiz doch im Schwarz wald und dann in Spaa!"
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1906
Nein, an der Nordsee," sagte Hofmann ruhig.„ Sie sehen's ja auch, der Junge hat ganz friesischen Typus!"
" Der- Mit seinen schwarzen Augen?" Nein, aus Hofmann war wirklich nichts herauszubekommen! Er machte ein so harmloses Gesicht, daß man hätte meinen können, es sei ihm Ernst anstatt Scherz. Aha, dahinter verschanzte er fich; er wollte eben nichts sagen! Man mußte das Thema fallen lassen.
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Der Doktor, der sich im stillen schon der Ungeschicklichkeit geziehen o weh, da hatte er, statt den guten Schliebens zu helfen, ihnen erst recht die Neugier auf den Hals gehezt! hörte voller Befriedigung, wie die Herren zur Politik übergingen.
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Es wurde Mitternacht , bis die letzten Gäste die Villa verließen; ihre heitere Unterhaltung und ihr Lachen war noch laut in der nächtlichen Stille und noch vom Ende der Straße her deutlich vernehmbar, als sich Mann und Frau am Fuß der Treppe, die zum Oberstock führte, trafen.
Noch standen alle Fenster der unteren Räume offen, das Silber lag noch auf dem Eßtisch, das kostbare Porzellan stand umhermochte die Dienerschaft es vorläufig wegräumen! Räte fühlte eine große Sehnsucht, das Kind zu sehen. Sie hatte heute so wenig von ihm gehabt ganzen Tag Gäste! Und dann all die Fragen, die sie hatte hören, all die Antworten, die sie hatte geben müssen! Ihr Ropf brannte.
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den
Schlieben
Als sie mit ihrem Mann zusammenstieß fam eilig aus seinem Zimmer, er hatte sich nicht einmal Zeit genommen, die Zigarren wegzuschließen mußte sie lachen: aha, er wollte auch hinauf! Sie hing sich an seinen Arm, und so stiegen sie Stufe um Stufe im gleichen Tritt.
" Zu Wölfchen," sagte sie leise und drückte seinen Arm. Und er fagte, wie sich entschuldigend:" Ich muß doch mal sehen, ob der Junge von dem Lärm nicht wach geworden ist!" Sie sprachen mit gedämpfter Stimme und traten borsichtig auf wie Diebe. Sie stahlen sich ins Kinderzimmerda lag er so rubig! Im Schlaf hatte er sich aufgedeckt, die Beinchen zeigten ihr nacktes rosiges Fleisch, und ein warmer, lebensvoller, unendlich frischer Duft stieg auf von dem reinen, gefunden Kinderkörper und mengte sich mit dem Kraftgeruch der Kiefern, den die Nacht durch die geöffnete Fensterspalte hereinsandte.
Räte konnte nicht an sich halten, sie bückte sich und küßte das kleine Knie, das Grübchen in seiner festen Rundung zeigte. Als sie wieder aufblickte, sah sie das Auge ihres Mannes mit nachdenklichem Ausdruck auf das schlafende Kind geheftet.
Sie war so gewohnt, alles zu wissen, was ihn bewegte, daß sie fragte: Was denkst Du, Paul, bist Du verstimmt?"
Er sah sie ein paar Augenblicke mit einer gewissen Berstreutheit an und dann an ihr vorbei; er war so in Gedanken, daß er ihre Frage gar nicht gehört hatte. Nun murmelte er:„ Ob es nicht doch besser wäre, offen zu sein? Hm!" Er schüttelte den Kopf und strich sich nachdenklich den Bart am Kinn spit zu. - Paul!" Sie legte
Was sagst Du, was meinst Du? ihre Hand auf die seine.
Das weďte ihn aus seinen Gedanken. Er lächelte ihr zu und sagte dann: Käte, wir müssen den Leuten reinen Wein einschenken! Warum denn auch nicht sagen, woher er stammt? Ja, ja, es ist viel besser, ich fürchte, wir werden sonst noch rechte Unannehmlichkeiten haben! Und wenn's der Junge nun beizeiten erfährt, daß er eigentlich nicht unser was schadet Kind ist ich meine, unser rechtmäßiges das denn?"
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„ Um Gottes willen!" Sie erhob die Hände wie in Entseßen.„ Nein- um feinen Preis nein! Nie, nie!" Sie sank am Bettchen nieder, breitete beide Arme wie schüßend über den Kinderkörper und schmiegte ihren Kopf an die kleine warme Brust. Paul, dann ist er uns verloren!"
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Bitternd holte sie schwer Atem. Es lag ein solches Grauen in ihrem Ton, eine so große Angst, ein wahrhaft prophetischer Ernst, daß es den Mann stutig machte.
Ich dachte nur ich meine ich fühle eigentlich längst die Verpflichtung," sagte er stockend, wie sich wehrend