zogen, versank er in ein Brüten. Und der Arzt störte ihn nicht. Droben lag Käte ans den Knien. Vor dem Sessel, in dem sie all die bangen Nächte durchwacht hatte, war sie nieder- gesunken und hielt beide Hände gegen ihre emporgehobene Stirn gedrückt. Jetzt suchte sie da oben, jetzt suchte sie den Gott, der ihr das Kind, das er ihr einst gütig in den Weg gelegt hatte, nun wieder grausam entreißen wollte. Sie schrie zu Gott in ihrem Herzen: Gott , Gott ! Nimm ihn mir nicht! Du darfst ihn mir nicht nehmen! Ich habe sonst nichts mehr auf der Welt! Gott , Gott !" Alles, was sie um sich hatte, was sie sonst noch besaß, auch ihr Mann war vergessen. Sie hatte jetzt nur dieses Kind. Dieses einzige Kind, das so lieb, so gut, so klug, so brav, so folgsam, so schön, so reizvoll, so über alle Maßen liebenswert war, das ihr Leben so hoch beglückt, so reich gemacht hatte, daß sie arm, bettelarm wurde, wenn es von ihr ging. Wölfchen, mein Wölfchen I" Wie war er immer, immer lieb gewesen, so ganz ihr Kind! Jetzt wußte sie nichts mehr von Tränen, die sie feinet- wegen vergossen hatte; hatte sie je welche geweint, so waren es Freudentränen, ja, nur Freudentränen gewesen. Nein, sie konnte ihn nicht missen! Aus ihrer betenden Stellung auffahrend, rutschte sie näher an sein Bett. Seinen erkaltenden Körper nahm sie in ihre Arme, bettete ihn in ihrer Verzweiflung an ihre Brust und hauchte ihren glühenden Atem über ihn hin. All ihre Wärme wollte sie ausströmen lassen in ihn, mit der Kraft ihres Wollens ihn festhalten auf dieser Erde. Wenn seine Brust nach Luft rang, so rang auch ihre Brust, wenn sein Herzschlag stockte, stockte auch der ihre. Sie fühlte sich kalt werden durch seine Kälte, ihre Arme erlahmen. Aber sie ließ ihn nicht. Sie rang mit dem Tode, der zu Häupten stand wer war stärker, der Tod oder ihre, der Mutter, Liebe?! Niemand konnte sie von des Knaben Bett verdrängen, auch nicht die Krankenschwester, die Hofmann, als er endlich am Nachmittag in die Stadt zurück mußte, herausgesandt hatte. Mit sanfter Gewalt versuchten die Pflegerin und Schlieben sie emporzuzichen:Nur eine Stunde Ruhe, nur eine halbe! Nebenan oder auch hier auf dem Sofa!" Aber sie schüttelte den Kopf und blieb auf den Knieen: Ich halte ihn. ich halte ihn!" Es wurde Abend. Es wurde Mitternacht . Es hatte vordeni stark geweht draußen, nun war es still geworden. Totenstill. Kein Wind rüttelte mehr an den Kiefern, die ums Haus standen: kerzengerade standen sie gegen den hellen Frosthimmel, ihre Kronen waren steif wie aus unbiegsamer Pappe geschnitten. Unbarmherzig flinzelten die Sterne; in der schimmernden Silberplatte des gefrorenen Sees, den das starke Wehen reingefegt hatte vom feuchten Schnee der vor- hergehenden Tage, spiegelte sich der Vollmond. Eine grimmige Kälte war urplötzlich gekommen, die alles cinzufangen schien mit ihrem Todeshauch. Fröstelnd schauerten die Wachenden zusammen. Als Schlieben auf den Thermometer sah, war er erschrocken, wie wenig der selbst hier im Zimmer zeigte. Versagte die Heizung? Man sah ja den eigenen Atem. Hatten die Leute nicht neue Kohlen aufgeschippt? Er ging selber hinab ins Souterrain, er hätte klingeln können, aber es war ihm ein Bedürfnis, etwas zu tun. O, wie war man doch so schrecklich tatenlos! Stumm kauerte seine Frau jetzt im Lehnstuhl, mit großen starren Augen; die Pflegerin schlief halb, nichts regte sich im Zimmer. Auch das Kind lag so still, als wäre es schon tot. Eine große Bangigkeit befiel den Mann, der jetzt durch das nächtliche Haus tappte. Es war etwas so Lähmendes in dieser Stille; alles die Zimmer, die Treppe, die Halle alles kam ihm auf einmal so fremd vor. Fremd und leer. Wie waren sie doch vordem belebt gewesen vom Hauch der Jugend, erfüllt von der ganzen unbändigen Unbekümmert- heit eines wilden Knaben! Schwer stützte er sich aufs Treppengeländer, unsicher tastete er sich hinab. Ob die Leute unten noch auf waren?! Er fand sie noch alle. Um den Tisch in der Küche, die jetzt so kalt war, als hätte nicht den ganzen Tag ein hell- loderndes Feuer im Herd gebrannt, saßen sie frierend bei- fammen. Die Köchin hatte einen starken Kaffee gekocht, aber auch der hatte ihnen nicht wärmer gemacht. Durchs ganze Haus schlich eine Todeskälte; es war, als seien.Eis und Schnee von draußen hcreingekomnicn, als fege der Todeshauch der erstarrten Natur auch hierinnen vom Giebel bis zum Keller. Es nützte nichts, daß noch mehr Kohlen dem großen Ofen in den Rachen geschüttet wurden, nichts, daß das Wasser heißer durch alle Röhren strömte. Kein Mensch bekam wärmere Fiiße, wärmere Hände. Wir wollen es bei dem Patienten mit einem sehr heißen Bad versuchen," sagte die Pflegerin. Sie hatte schon oft in ähnlichen Fällen dieses letzte Mittel von Erfolg gekrönt gesehen. Alle Hände rührten sich. Die Köchin feuerte, die beiden anderen schleppten das kochende Wasser hinauf; aber Cilla trug mehr und rascher wie der Friedrich. Sie fühlte ihre ganze unerschöpfliche, schaffensfreudige Jugendkraft. Wie gern tat sie das für den guten Jungen! Und bei jedem Eimer, den sie in die vors Bett gestellte Wanne schüttet, murmelte sie leise ein Stoßgebet; sie konnte sich nicht bekreuzen, sie hatte keine Hand frei, konnte auch nicht niederknien, aber sie war gewiß, die Heiligen würden sie doch erhören. Heilige Maria! Heiliger Joseph! Heilige Barbara ! Heiliger Schutzengel! Heiliger Michael, streite für ihn!" lgortsetzung folflt.z; (Nachdruck verboten.) Der Garten des Laubenkolornften» Juni. Am Sonntag, den 27. Mai, habe ich die ersten reifen Kirschen in meinem Garten gepflückt, am Mittwoch, den 30. Mai, die ersten reifen Erdbeeren. Die Leser werden sich über diese frühen Reife- zeiten wundern, da Früchte dieser Arten, welche ausgangs Mai auf den Berliner Markt kamen und fchtveres Geld kosteten, auL- schließlich aus dem Süden stammten. Ich habe aber keine Hexerei getrieben, sondern auch früheste Sorten gepflanzt. Meine ersten Kirschen sind echte Kinder unserer Provinz, der SorteFrüheste der Mark" angehörig, meine ersten Erdbeeren gehören der Sorte Deutsch Evern " an. so benannt»ach einem Oertchen im Regicrungs- bezirk Frankfurt a. d. Oder. Natürlich tuts die frühe Sorte nicht allein, es muß auch ein freier und sonniger Standort geboten werden. In den Städten, zwischen den steilen Wänden der Miels- kaserncn, reift alles später oder auch gar nicht. Frühe Früchte haben einen großen Reiz für den Züchter, denn sie stehen sehr hoch im Preise, und wenn man über hinreichende Phantasie verfugt, so kann man sich sogar einbilden, daß sie, weil teurer, auch besser schmecken; der» ist aber nicht der Fall, die späten Sorten sind die besten. Die spätesten Kirschen reifen mehrere Monate nach den frühesten, während der Abstand zwischen den frühesten und spätesten großfrüchtigen Erdbeeren nur vierzehn Tage beträgt. Im Juli pflücke ich meine beste Sauerkirsche, die große lange Lothkirsche oder Schattenmorelle iin August, die knusperige Knorbelkirsche in der Sorte Büttners Späte und noch im September von Lades späte Herbstkirsche. Kirschen im September werden gewiß jeden Besucher einer Laubenkolonie zur Bewunderung zwingen. Die aromatischste, sogenannte Ananaserdbeere, ist die riefen- flüchtige SorteKönig Albert von Sachsen", noch etwas später reist die ganz eigenartige rosafarbige und äußerst würzige Chilcerdbecrc Lucida perfecta. Will man bis zum Oktober frische Erdbeeren haben, so pflanze man die kleinfrüchtigen Monatserdbecren, welche die FranzosenWunder der vier Jahreszeiten" nennen; sie reichen im Aroma an die Walderdbeeren, die übrigens nicht im Garten ge- deihen, haben deren zierliche Belaubung und nur wenig größere Beeren. Die Erdbcerernte wird gut, und wo sich deshalb Ucbersluß bemerkbar macht, da denke man an den Winter. Erdbeeren können eingekocht, zur Saftbcreitung ausgepreßt und in Rum eingelegt Norden. Zu letzterem Verfahren werden ganz frisch gepflückte Früchte vom grünen Kelch befreit, rasch durch klares Wasser gezogen, zwischen Handtüchern getrocknet und nun in einen irdenen Topf gelegt. Da- nach übergießt man diese Früchte, je nach Geschmack, mit mehr oder weniger kochendem und abgeschäumtem Einmachezucker und hierauf mit so viel Rum, daß sie ganz bedeckt sind. Der Topf wird nun mit Pergamentpapier verbunden und bis zum Winter in den Keller gestellt. Diese Erdbeeren in Rum geben das delikateste Kompott, aber, man darf stets nur eine kleine Portion genießen, sonst könnte man leicht einen besonderen Affen davon bekonimen, den Kompott- äffen, eine keineswegs angenehme, aber seltene Sorte. Wenn die Erdbeeren reifen, denen gar bald die Stachelbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren und Brombeeren folgen, so ist die Zeit gekommen, zu welcher der Garten und die Laubenparzellc den größten Reiz für den Besitzer haben. Die Zeit der ersten Beeren ist ja auch die Zeit der jungen Gemüse, der ersten Rosen und tausend anderer Blüten. Nur zu rasch geht sie vorüber, und wenn nach langer Trockenheit, wie jüngst, kräftige Gewitterregen fallen, die Len schmachtenden Boden tränken, so überstürzt sich das Wachstum der Pflanzen förmlich, die Früchte schwellen, die Knospen springen und