Auf das Geräusch kam Frau v. Girardin herbei und öffnete die Tür. Man ließ Rousseau   zur Ader, legte ihm ein Blasen- Pflaster auf und wollte ihm etwaS eingeben; alles umsonst, er war tot. Wieder zu sich gekommen, machte seine jammernde Frau der Schloßherrin die Mitteilung, daß Rousseau   früher den Wunsch aus- gesprochen habe, nach seinem Tode seziert zu werden. Diesem Wunsche wurde entsprochen und man fand dabei alle inneren Organe unversehrt; doch fand man in seinem Kopfe ein Wasserbläschen, dessen Platzen den Tod Rousseaus der- ursacht hatte. Seit längerer Zeit schon fühlte er dieses Leiden an sich, ohne es zu kennen, und als ihm einmal seine Frau Klage führte, daß sie öfter an Schwindelanfällen leide, die sie als Vor- zeichen ihres nahen Endes betrachtete, entgegnete er:Was würdest Du erst sagen, wenn es Dir ginge wie mir, der ich manchmal beim Gehen hin und her schwanke, als ob ich betrunken wäre, und fühle, wie mir das Bewußtsein schwindet." Der Bericht erzählt dann noch weiteres von dem Verhalten der Frau Rousseaus, wie sie seinen Leichnam drei Tage bewachte, mit welchem Schmerz sie seinen Tod beweinte, wie sie die Güte und Sanftmut seines Charakters gerühmt und einzelne Beispiele davon angeführt habe u. s. f. Den Gerüchten von seinem Selbstmord durch Vergiftung trat sie entschieden entgegen und erklärte sie für böswillige Ausstreuungen seiner Feinde, (Nachdruck verboten). frUK sommerlbniitag. j, Skizze von Paul Hermann Hartwig. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, da konnte die Sonne mich ungehindert wecken, als sie ihre ersten Strahlen über die schwarzblauen Schieferdächer schickte. Die fünfte Tagesstunde war noch nicht vollendet. Die Lider wollten wieder über die Augen sinken, dann aber war s mir, als wäre draußen ein Glück bereitet, an dem ich Anteil haben dürfte. Das HauS, in dem sich am Tage das Leben so laut und ge- schäftig auftat, lag in feierlicher Ruhe, auch von draußen drang kein fremder Laut. Es war am Sonntag Frühsommersonntag. Nun begann ein Kanarienvogel im unteren Stockwerk seinen Morgengesang. Schon die ersten Töne, die sich zaghaft loslösten, durchdrangen die Stille, dann aber schwoll die Strophe an, als solle das ganze Haus ermuntert werden. Ich sah den kleinen gelben Kerl ordentlich vor mir, wie er auf der obersten Stange seines Bauers sah und sich selber der Kräft und der Schönheit freute, die seiner Kehle entströmte. Mir lag noch die Betätigung dieser jubelnden Daseinsfreude im Ohr, als ich bereits die Straße gewonnen hatte. Sie lag noch in völliger Stille und ich sah, wie unpersönlich häßlich und nüchtern alle diese steinernen Häuser waren, in denen sich fast das ganze Leben der Bewohner abspielte. Und draußen lockte die Aul Sehnsucht nach der Fülle lebensprühender Schönheit erfaßte mich und trieb mich rasch aus den beengenden Mauern heraus. Die langen, eintönigen Straßenzüge, die banalen Plätze, die Fabrikgebäude lagen hinter mir ein kleines Wäldchen nahm auch dem Nückwärtsschauenden die Aussicht auf das Häusergewirr. Es ruhte noch im völligen Morgenfrieden, und dieser Friede ver- lieh dem Fleckchen Erde  , an dem sichVerschönerungsverein" und industrielle Wirte versündigt hatten, einigen Reiz. Das Wäldchen löste sich nach Osten hin, wo tiefe Steinbrüche den Verschöne- rungen ein Ziel setzten, in anmutig unregelmäßigem Bestand von jungen Birken auf, die in grünem, hochzeitlichem Kleid standen. Aus den Ritzen und Spalten älterer Brüche, in denen sich ein wenig HumuS gesammelt hatte, quoll junges Leben in zqrten, grünen Ranken und anmutigen Gräsern hervor. Amsel und Pirol, Buchfink und Zeisig schmetterten ihre Strophen der Sonne ent- gegen, die die junge Herrlichkeit mit Glanz umhüllte. Auf den Wiesen, durch die sich gemächlich das schmale Silber- band eines Flüßchens zog, lagen noch wie zarter Perlendunst die letzten Nebclschwodcn, und den Fuß netzten ab und zu Grasrispen, von denen die Kette funkelnder Tautropfen sprühte. In dem grünen Grund hatte der Frühling farbenfreudig und reich ge- wirkt, und es war ein Teppich, dessen herbe, würzige Düfte die Sinne erfrischten. Und zu denken, daß in Stundenferne jetzt eine Stadt er- Wachte, der selbst dieser Frühsommersonntag nicht eine Ahnung von seiner eigentlichen Herrlichkeit geben konnte! An die Wiesen, von denen jetzt ein leiser Wind den zarten Nebelhauch vollends verjagte, schlössen sich sanft ansteigend Felder mit üppig sprossender Saat. Das-Flüßchen machte eine Krümmung, vereinigte sich mit einem Bach und durchschnitt ansehnlich ver- breitert hügeliges Land, dessen schön bewaldete Abhänge reizende Ufer bildeten. Das schmale Tal war nach halbstündiger Wanderung zu erreichen. Das Silber des Wasser? wandelte sich rasch in einen tief- grünen, weichen Farbton, so dicht standen hüben und drüben die stattlichen Laubbäume, die zierlichen Birken, die ernsthaften Erlen, und auf den Höhen die Silberbuchen, auf deren leuchtendes- Blätterdach Sonnenlichter ihr munteres Spiel trieben. Welches Duft, welche Fülle, welcher Reiz im Kleinen! Käfer krochen ge- schäftig in die hellen Flecken, auf denen sie vom wärmenden Linst voll umfangen wurden. Zitronenfalter umgaukelten auf einep kleinen Lichtung schöne weiße Blütensterne. Und in das unauft hörliche Zwitschern und Jubilieren der Waldvögel schwebten von fern her die Klänge einer dörflichen Kirchenglocke..., Diese,. wunderbare Sommersonntagsfriede so tief so tief! Bei einer kleinen Wegbiegung sah ich über mir auf einem felsigen Vorsprung einen Jungen stehen. Er trug eine aus, gewachsene Lodenjoppe, auf dem dunklen, lockigen Haar saß eing blaue Klassenmütze. Er bemerkte den Wanderer unter sich nicht« sondern starrte mit weiten Augen in die Ferne ohne daß er> es achtete, fielen aus seiner Botanisiertrommel allerlei Pflanzest und Kräuter. Der empfand die Herrlichkeit, die um ihn erblüht war, das fühlte ich und hatte den kleinen Träumer ordentlich lieb, Da ertönte jäh eine harte Stimme:Kurt!" und noch ein« malKurt, hier her!" Der Junge erschrak, glitt von dem Felsen herab und eilte durchs das Dickicht, um der rufenden Stimme zu folgen. Die Ufer traten hier ein wenig zurück und auf dem ver, breiterten Gelände standen ein Mann und einige Knaben. Deck Mann war mit einem langen, braunen Ueberrock bekleidet, au? der Andeutung eines Stehkragens ragte der starke Hals hervor, auf dem ein höchst ungemütlicher Kopf saß. Er hatte einen un« gepflegten Vollbart und schaute sauertöpfisch über die Brillengläser» Einem Sonntagfriedenskündiger glich er jedenfalls nicht. Ich verlangsamte absichtlich meinen Schritt er schien best Knaben einen Vortrag zu halten. Zeig her, Franz, was Du gesammelt hast. Einer der Knaben gab ein Bündel Pflanzen. Keine interessante Auslese," sagte er mißbilligend,Taub« nessel, Wiesenschaumkraut, Wasserschierling, doch hier die Küchen« schelle, wie heißt der lateinische Name?" Gemeine Küchenschelle heißt Msatilla vulgaris." Was weißt Du von dieser Pflanze mitzuteilen?" I'ulsatilla ist ein giftiges Kraut mit doppeltfiederschnittigenss Blatt und einem einfachen, einblütigen, oberhalb der Mitte von! einer Blätterhülle umgebenen Schaft, kulsadlls war offizinell. Gut, nun weiter." Ein anderer reichte ihm das Prachtexemplar einer purpuS, roten OrchiS. Was haben wir hier?" Gemeines Knabenkraut, Orchis latifolia."' Sprich Dich darüber auS." OrchiS gehört zu den monokotyledonischcn Pflanzenfaniilien, Sie ist ein krautartiges Gewächs mit handförmig gcteiltest Knollen. Die Knollen werden wegen ihres Stärkemehlgehaltc? als stopfendes Mittel benutzt." Der Lehrer riß einige der zierlichen Blüten ab und vet« teilte sie.. j Nehme jeder sein Taschenmesser und zerlege die Blüte."'i Als dieser Schulmeister meine Aufmerksamkeit beobachtete, dozierte er doppelt laut. Inzwischen war mein kleiner Freund näher gekommen, eist wenig verlegen, wie einer, der immer ein böses Gewissen hat« Nun, Kurt" die Stimme des Lehrers verschärfte sichwo steckt Du?" Der Junge, der hier unten viel kleiner aussah, schwieg. Rasch heraus mit der Sprache!" Ich habe da oben die Aussicht betrachtet, alle? liegt ist Sonne.".-? Und was hast Du gesammelt?" Bestürzt schaute der Kleine in die leere Botanisiertrommcl!, Nur in der Hand hielt er ein paar blasse Waldveilchen.,! Hundsveilchen," schrie der Chor. Viola silvestris, sonst nichts?! Du bist unverbesserlich. Da Lümmel, nachlässig und faul" und er hob die Hand und gab dem Jungen einen kräftigen Backenstreich. Der Kleine duckte sich ein wenig, er wischte mit seinem Taschentuch über die Wange, aber er weinte nicht. Ein Streber unter den Jungen hatte seitwärts im Gebüsch eine Pflanze entdeckt, die er mit allen Anzeichen strahlender Freude dem Lehrer darreichte. Hier, Herr Doktor, etwas Seltenes." Ei, ei, sieh da, ein Aronsstab," und er machte mit seincist Messer einen Querschnitt durch die Blume. Ich ging rasch weiter, denn in mir stieg es siedend auf. Sq ein Kerl, so ein Kerl.... In den Sommersonntagsfrieden war ein bitterer Tropfen ge« fallen. Da wurde ein Stück Kindheit, eine schon emporblühend? Freude totgeschlagen. Was wußte dieser Professor der Natur« künde von Natur!. Die Sonne schien nicht mehr so hell, für den Sang der Vogel war mein Ohr nicht mehr geöffnet, und die Lichter auf den» sprudelnden Fluß schienen verschwunden wie ein grauer Schleier lagS   über dem sommerlichen Bilde. Aber der graue Schleier lag nur vor meinen Augen. Sie wollten gar nicht wieder Hell blickciu immer sahen sie die harte Hand, die strafend auf daS Gesicht dess