Anterhaltungsblatt des Horwarks Nr. 121. Mittwoch, den 27. Juni. 1306 (Nachdvud verboten.) 89} einer JMutter Sohn. Nomcm von ClaraViebig. * Schlicken ging sein eigenes Verhalten durch: er konnte sich wirklich nicht den Vorwurf machen, zu streng ge- Wesen zu sein. Wenn er auch nicht alle Zeit so nachgiebig gewesen war— zu nachgiebig— wie Käte, so hatte doch auch er dem Jungen immer und immer wieder zu zeigen geglaubt, daß er ihn lieb hatte. Und hatte er denn nicht auch— gerade in letzter Zeit— geglaubt, der Junge hätte auch ihn lieb? Lieber als früher?! Wolfgang war eben zu Verstand gekommen, hatte eingesehen, wie gut man's mit ihm meinte, daß er feiner Eltern lieber Sohn war, ihre wachsende Freude, ihve Hoffnung— ja. nun, da man alt geworden war, die ganze Zukunft! Wie kam's, daß er lieber zu anderen ging, zu Leuten, die ihn gar nichts angingen, und sich von denen borgte, anstatt den Vater zu bitten?! Mit Betrübnis nahm Schlieben einen Brief von seinem Schreibtisch, las ihn, den er doch schon drei-, viermal gelesen hatte, noch einmal durch und legte ihn dann mit einer ärger- lichen Gebärde wieder zurück. Da schrieb ihm Braumüller, der kürzlich aus der Firma ausgetreten war und sich zur Er- holung und zum Vergnügen in der Schweiz befand, der Junge hätte ihn schon wieder mal angepumpt. Nicht, daß er's ihm nicht gerne geben würde, es käme ihm ja gar nicht darauf an, aber er hielte es doch für seine Pflicht— usw. usw. „Es kann nicht anders sein, lieber Schlieben, der Junge lumpt. Es ist mir höchst fatal, ihn zu verpetzen, aber ich kann doch nicht länger warten, denn so gut wie er zu mir kommt, geht er auch zu anderen. Und es wäre doch höchst peinlich, wenn der Sohn der Firma Schli chen u. Ko., zu der ich mich immer noch in alter Anhänglichkeit rechne, etwa gar in der Leute Mäuler käme. Nimm's nicht übel, alter Freund! Was der Junge mir schuldet, schenke ich ihm: ich mag ihn gern und bin auch mal jung gewesen. Im übrigen bin ich ganz froh, daß ich keine Binder habe, es ist doch ein verdammt schweres Stück, eins zu erziehen. Leb' wohl, grüße Deine Frau vielmals, es ist herrlich hier---" Mit gerunzelter Stirn starrte Schlichen über das Papier hinweg: dieser Brief, der so gut gemeint, so herzlich ge- schrieben war, tat ihm weh. Daß Wolfgang hierin so wenig Vertrauen hatte! War er überhaupt nicht offen?! Schlieben erinnerte sich genau, daß Wolfgang als Kind immer wahr gewesen war, gerade heraus bis zur verletzenden Offenheit— ungezogen war er gewesen, aber nicht verlogen—, sollte er sich jetzt so geändert haben? Wie kam das, und woher?! Der Vater beschloß, nicht, von dem Brief zu erwähnen. wohl aber Wolfgang scheinbar gelegentlich— aber sobald als möglich— zu fragen, wie es eigentlich mit seinen Finanzen stünde? Da würde er ja hören! � Es drängte ihn förmlich zu dieser Frage, und doch brachte er sie nicht über die Lippen, als bald darauf Wolfgang ins Privatkontor trat, ohne vorher anzuklopfen, wie sie's doch alle taten, init der ganzen unbekümmerten Sicherheit des Sohnes. Er setzte sich rittlings auf das Schreibpult des Vaters, ganz achtlos, daß sein helles Beinkleid mit dem Tinten- faß in unliebsame Berührung kam. Draußen war helle Luft und eine höchst sommerliche Sonne: er brachte eine ganze Menge davon mit herein in den dunkel gehaltenen, kühlen und abgeschlossenen Raum.„. „Aerger gehabt, Papa?!" Was der alte Herr wohl wieder für Grillen hatte? O, sicher nichts von Belang! Wie konnte man jetzt überhaupt Aerger haben in dieser köstlichen, wohligen Sommerzeit?!. � Wolfgang liebte die Sonne: wie er sie als Kind ange- staunt hatte in ihrem kleinen Abbild, der runden gelben Sonnenblume seines Gärtchens, so freute er sich noch jetzt an ihr. Perlte der Schweiß in Tropfen auf seiner braunen Haut, dann schob er wohl den weißen Panamahut ein wenig aus der Stirn zurück, aber nie ging sein Atem freier, leichter, un- beklemmter. „Es war herrlich, Papa," sagte er, und seine Augen leuch- teten.«Erst geschwonunen � was sagst D.u dazu, dreimal hintereinander die ganze Breite des Sees, ohne Pause hin und her, und wieder hin und her und wieder hin und her?!" „Viel zu anstrengend, ganz unvernünftig!" Schlieben sagte es nicht ohne Besorgnis: Hofmann war eigentlich gar nicht sehr dafür, daß der Junge schwamm! „Unvernünftig, anstrengend?! Haha!" Wolfgang amü- sierte sich.„Das ist mir doch'ne Kleinigkeit! Weißt Du, eigentlich habe ich meinen Beruf verfehlt. Du hättest mich nichts ins Kontor stecken sollen. Schwimmer, Reiter hätte ich werden sollen oder— na, so'n Cowboy im wilden West!" Er hatte es scherzend gesagt, ohne jede Absichtlichkeit, aber es wollte den Mann, der ihn mit plötzlich mißtrauisch gewordenen Augen ansah,' bedünken, als berge sich hinter dem Scherz ein Ernst, eine Anklage. Was wollte er denn, wollte er wie ein zügelloser Knabe ins Leben hineingaloppieren?! „Nun, Deine sportlichen Fähigkeiten werden Dir ja schon zustatten kommen, wenn Du Deine Militärzeit abmachst," sagte er kühl.„Vorderhand ist das wichtiger, was Du hier zu tun hast. Hast Du den Lieferungsvertrag für Weiß Ge- brüder entworsen? Zeig' mal Herl " „Sosort!" Wolsgang verschwand: aber es dauerte eine ganze Weile, bis er wiederkam. Hatte er jetzt erst rasch die ihm als dringend überwiesene und sorgfältig auszuführende Arbeit erledigt?) Die Tinte war noch ganz frisch, die Schrift, wenn auch leser- lich, so doch sehr flüchtig: keine Kaufmannsschrift l Schlieben runzelte die Stirn, er war heute merkwürdig gereizt. Zu anderer Zeit hätte ihm die Geschwindigkeit, mit der der Junge die versäumte Arbeit nachgeholt hatte, gewissermaßen impo- niert: aber heute ärgerte ihn die Flüchtigkeit der' Schrift, die Tintcnspritzer am Rand, die ganze Nachlässigkeit, die ihm gleichbedeutend schien mit Interesselosigkeit. „So, hm—" er prüfte noch einmal kritisch—,„wann hast Du denn das gemacht?" „Als Du mir's auftrugst!" Wolfgang sagte das so un- verfroren, daß man unmöglich daran zweifeln konnte. Schlieben schämte sich ordentlich: wie doch so ein Körnchen Mißtrauen gleich aufgeht! Da hatte er dem Sohn wirklich unrecht getan! Aber das mit dem Gelde, das blieb doch nun einmal bestehen, darin war der Junge doch nicht offen und ehrlich gewesen! Es war dem Vater, als könne er dem Sohne von jetzt ab doch nickt mehr ganz trauen.— Es war kaum Mittag, als Wolfgang schon wieder daS Kontor verließ. Er hatte sich mit ein paar Bekannten verab- redet, im Kaiserkeller unweit der Linden: ob er nun da früh- stückte oder da, frühstücken mußte er doch: nur ein belegtes Brötchen, wie der Vater sich eins mitnahm, konnte ihm nach Schwimmen und Reiten nicht genügen. Am Nachmittag zeigte er sich dann wieder eine Stunde im Bureau, aber schon im Tennisanzug, in den weißen Schuhen, den Schläger in der Hand.— Als Wolfgang heute den Sportplatz des Westens verließ, erhitzt und rot— sie hatten lange und hartnäckig gespielt, — um herüber nach dem Bahnhof„Zoologischer Garten " zu gehen, stand er, schon im Eingang, zögernd. Es trieb ihn so gar nicht nach Hause. Sollte er nicht lieber noch einmal hinein in die Stadt fahren? Eigentlich lockte es ihn jetzl nicht in die Straßen, die die treibende Menge mit noch größerer Stickigkcit erfüllte, draußen war's besser, da strich über die Villa wenigstens ein Hauch von Freiheit, aber er mußte dann mit den Eltern zusammensitzen I Na, wenn der Vater heute abend wieder so schlechter Laune war, wie heute morgen im Kontor, dann war's gräßlich! Dann war es doch besser, sich in Berlin irgendeine Gesellschaft zu suchen, Wenn nur der Tennisanzug nicht wäre! Der hinderte. Un- schlüssig stand er noch, da sah� er im Gewühl der Menge, die jetzt nach Geschäftsschlnß und Feierabend wie ein lange? eilender Wurm sich durch den Bahnhofscingang schlängelte, und sich rechts und links die Treppen hinan in Arme spaltete, unter einem in die Stirn gerückten weißen Matrosenhütchen mit blauem Samtband ein blondes Haar aufleuchten, das ihm bekannt vorkam. Es war schönes, helles, seidiges Haar, glatt und glänzend: anscheinend lässig, aber doch mit vieler Sorgsalt in einen mächtigen Knoten gedreht. Und nun er- kannte er unterm Strohhütchen die blauen Augen und daZ
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23 (27.6.1906) 121
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