.' m.-* Rate war nun mit dem Sohn allein. Nun hatte sie ihnganz für sich. Das, was sie früher in eifersüchtigem Ringenerstrebt hatte, nun war es ihr gegeben. Nicht einmal dieNatur draußen, die mit so lockenden Augen in die Fenster sah,konnte ihn an sich ziehen. Es erstaunte sie— ja, nun der-stimmte es sie fast— daß er nicht mehr Anteil zeigte. Siefuhren durch die Schweiz— er sah sie zum erstenmal— aberdas, was sie beim ersten Anblick zu Tränen anbetender Bewunderung gerührt hatte, diese hohen Berge, deren Gipfelsich in Schnee und Wolken verloren, zwangen ihm kaum einenBlick ab. Dann und wann sah er wohl einmal zum Coup�-fenster hinaus, aber meist lehnte er in seiner Ecke, las oderträumte mit offenen Augen vor sich hin.«Bist Du müde?"„Nein." sagte er: bloß„nein", aber ohne die schroffeKürze, die ihm sonst eigen gewesen war. Es war keine un-liebenswürdige Ablehnung mehr in seinem Ton.Mit besorgten Augen sah Käte den Sohn an: die ReiseDriff ihn doch wohl an? Es war gut, daß sie mit ihm war!Sie kam sich unentbehrlich vor, und das Gefühl innerer Ge-uugtuung ließ sie die Anstrengungen der weiten Reise garnicht empfinden.In Mailand, wo sie einen Tag rasteten, wollte Wolfgangnicht viel vom Dom wissen.„Ja. großartig," sagte er. alssie sich am Wunderbau begeisterte. Aber auf die Plattform,von der man heute bei dem hellen Wetter eine kolossale Rund-ficht haben würde bis hin zu den fernen Alpen, wollte er nichtmit ihr hinauf.„Geh Du allein, laß mich hier!"Es kam ihr anfänglich komisch vor, daß sie, die alteFrau, hinaufsteigen sollte, während er, der junge Mann, untenblieb. Zuletzt konnte sie der Lust, die sie drängte, das früherschon einmal Genossene, Herrliche wieder neu aufleben zusehen, doch nicht widerstehen. Sie löste sich die Karte zumHinaufsteigen, und er klappte sich einen der Feldstühle aus-einander, die zum Gebrauch in der weiten Leere des Riesen-domes stehen und ließ sich nieder, den Rücken an eine Marmor-fäule gelehnt.Ah, hier ruhte sich's gut! Nach dem Markt draußenmit seinem Gelärm und dem Geschwirr von Tönen undbunten Farben, umfing ihn hier die weihrauchdurchwürzteDämmerung. Es störte ihn nicht, daß Türen auf- und zu-klappten, daß Leute aus- und einzogen in Scharen. Daß hier«in Fremdenführer mit blecherner Stimme seinen Fremdendie eingelernte Belehrung herleierte, ganz laut, nicht achtend,daß er dabei fast über die Füße derer stolperte, die aufniedrigen Bänkchen vor einem sitzenden Priester, flüsterndihre Sünden bekannten. Daß dort einer die Messe zelebrierte— die Mcßner knicksten und klingelten— während hier eineKöchin, das an den Beinen zusammengebundene Geflügelrieben sich, mit einer Gevatterin schwatzte.Das alles störte ihn nicht, er bemerkte es gar nicht. Dieköstliche Dämmerung umfing seine Sinne, er ivurde soschläfrig, fo selig müde. Bor seinen verschwimmendcn Blickenkachelten alle Heilige, süße Marien und pauspackige Engel-'chen, die Amoretten glichen. Es wurde ihm wohlig hier. DerMailänder Dom, dies Wunder der Welt, verlor seine be-fremdende Großartigkeit: die weiten Mauern rückten zu-fammen, wurden eng und traulich und umfaßten doch dieWelt. Eine friedvolle Welt, in der Sünder niederknien undals Reine auferstehen. Eine ungeheure Sehnsucht erfaßteWolfgang, auch hier niederzuknien. Ah, da war sie wieder,die Sehnsucht seiner Knabenjahre! Wie hatte er dazumal dieKirche, in die ihn das Mädchen Cilla geführt hatte, geliebt!Er liebte sie noch, er liebte sie wieder, er liebte sie heute mitnoch sehnsüchtigerer Liebe als dazumal. Hier war er zu Haus,hier hatte er das warme Gefühl der Zugehörigkeit.Hocherhoben strahlte die goldene Monstranz, tief neigtensich die Beter, seliger Wohlklang schwebte unterm hochge-wölbten Kuppeldach, immer schöner, schöner— leise, leiser.Die Lider fielen ihm zu.Und er sah Cilla. So frisch, so schön wie das Leben.selber. O, wie wunderschön! So hatte sie sonst doch nichtausgesehen? Er war sich bewußt, daß er träumte, aber erwar nicht imstande, den Traum abzuschütteln. Und sie kamihm ganz nah— o, so nah! Und sie machte das Zeichendes Kreuzes über ihm— leise tönte Orgelmusik— horch,was sprach sie, was flüsterte sie über ihm? Er wollte nachihrer Hand greifen, sie befragen, da hörte er eine andereStimme:,v„Wolfgang, schläfst Du?"Kätes Hand hatte sich leise auf seine Hände gelegt, dieer gefaltet auf den Knien hielt.„Ich bin wohl lange obengeblieben? Du hast Dich gelangweilt?"„O nein, nein!" Er sagte es mit Enthusiasmus.Sie gingen zusammen zum Dom hinaus, aus dem dieOrgel hinter ihnen hertönte bis auf den Markt. Käte warganz begeistert von der genossenen Fernsicht und merktedarüber nicht den heimlichen Glanz, der in Wolfgangs Augenwar. Er war still und schien mit allem einverstanden.Seine Art fing die Mutter fast an zu beängstigen. Das,was sie früher beglückt haben würde— ach, wie hatte sie sichin früheren Jahren nach einem gefügigeren Kinde gesehnt!— stimmte sie jetzt wehmütig. War er am Ende doch kränkerals sie alle ahnten?Sie waren jetzt an der Küste angelangt, in Sestri. Das.waren noch dieselben Pinien, unter denen sie vor achtzehnJahren als jüngere Frau gesessen und gemalt hatte. Aberein anderes Hotel war seitdem entstanden, ein ganz deutsches:deuttiher Wirt, deutsche Bedienung, deutsche Küche, deutscheGesellschaft, aller Komfort, so, wie Deutsche ihn lieben. Kätehatte sich ganz zurückhalten wollen, nur für Wolfgang leben:nun war es ihr aber doch Bedürfnis, dann und wann mitdiesem oder jenem zu plaudern, denn wenn sie auch mit Wolf-gang zusammen war, allein fühlte sie sich doch. Was dachteer? Daß er etwas dachte, zeigten ihr seine Stirn und seineAugen: aber er sprach seine Gedanken nicht aus. War erverstimmt— heiter? Fröblicki— traurig? Reute ihnmanches und grübelte er darüber nach— oder langweilte ersich hier? Das alles wußte sie nicht.Mit einem gewissen Eigensinn zog er sich von allen übrigenzurück. Vergebens ermunterte Käte ihn, mit jungen Mädchen,die einen Partner suchten, Tennis zu spielen: wenn er's nichtübertrieb, durfte er das immerhin schon wagen. Auch zuSegelfahrten wurde er aufgefordert, aber der Sport schienihm gleichgültig geworden zu sein.Meist lag Wolfgang vorn auf der Mole, an deren felsigerSpitze sich das blaue Meer rastlos zu weißem Schaum zer-peitscht, sah hinüber nach der Küste der Ponente, die in rot-violettem Dufte schwimmt, oder blickte zurück nach den nacktenGipfeln der Apenninen, in deren Halbkreis sich die weißenund roten Häuser von Sestri schmiegen.Wenn die Fischerbote mit schlaffen Segeln wie müdeVögel in den Hafen glitten, stand er auf und schendertelangsam zum Anlegeplatz ihnen entgegen. Die Hände in denHosentaschen stand er dann dabei und sah zu, was sie anFischen ausluden. Viel Beute war es nicht. Dann zog erdie Hände aus den Hosentaschen und gab den Fischern, waser an Geld bei sich hatte.Wenn die Mutter gewußt hätte, was der Sohn dachte!Wenn sie geahnt hätte, daß seine Seele dahinflog mit müdenFlügeln wie eine treibende Möwe über uferlosem Meer!Wolfgang hatte Heimweh. Hier gefiel es ihm nicht.Hier war es viel zu weich, viel zu schön: das langweilte ihn.Nur die Pinien, die streng duftenden, gefielen ihm: die warendoch besser als die Kiefern im Grunewald. Aber Heimwehnach dem Grunewald hatte er eigentlich auch nicht. Es wareben immer dasselbe, ob hier, ob da. ihn quälte immer dieSehnsucht. Wonach— wohin? Darüber grübelte er. Aberder Mutter hätte er es nicht sagen mögen, denn jetzt sah er's,daß sie � um ihn mühte. Und öfters, als er es sonst je inseinem Leben getan hatte, fand er jetzt ein herzliches Wort.Also endlich, endlich doch! Käte sah ihn oft verstohlenvon der Seite an: war das noch derselbe, der sich als Knabetrotzig gegen sie gestemmt, ihre Liebe abgewehrt hatte, all ihregroße Liebe? Diefer hier, dessen Anblick im Mailänder Domsie so seltsam gerührt hatte, war das noch derselbe, der auf derSchwelle gelegen hatte, betrunken � pfui, so betrunken! Der-selbe noch, der so gesunken war, so tief, daß er— ach, garnicht mehr daran denken!Käte wollte vergessen: ehrlich mühte sie sich darum. Neu-lich, als sie ihn im Dom gefunden hatte, an einer Säulesitzend, die Hände gefaltet, die Lider träumerisch geschlossen,da war er ihr fo jung vorgekommen, noch rührend jung:seine Stirn war glatt gewesen, alles darauf wie weaaewischt.Und sie mußte denken: ob man nicht doch zuviel von ihm der-langt hatte? War man ihm anck' immer ganz gerecht ge-worden? Hatte man ihn so verstanden, wie man ihn hätteverstehen müssen? In ihrer Seele stiegen Zweifel auf. Siehatte sich immer für eine gute Mutter gehalten: seit jenemTag im Dom war es ihr, als hätte sie etwas verfehlt. Was,