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Blöglich ließ Müting die Hände auf die Knie fallen und Hob die Augen.

Ja," sagte er, was soll ich jetzt mache,? ich mache?"

Was soll

" Ja, ja, Müting-!" Ein paar Tränen rollten an Frau Kamps braunen Wangen herunter, und eine lange Kartoffelschalenschlange fiel in den Korb. Eine Kartoffel plumpste ins Wasser.

Dann legte die Frau das Messer weg, fragte sich hinter Sen Ohren, wie ihr Mann tat, wenn er sich etwas reiflich überlegte, schwieg ein Weilchen und hob dann an:

Es is halt schließlich doch am besten, Ihr heiraten, Müting!"

Ja," sagte der Mann und stemmte den Kopf wieder in Er die Hände. Es ist wohl das beste, denn eso schüttelte den Kopf, eso nee! Das kann ja einfach nit mehr eso weiter gehn! Oder soll ich's noch mit ener vierte versuche?"

Nee, nee, Müting," wehrte cifrig die Frau ab. ,, Nee! nee."

Ich hab auch wahrhaftig mit dene drei genug," sagte der Mann. Und wenn ich vor anderthalb Jahr gewußt hätt, was ich heut weiß, dann hätt ich das Marta noch, das Mädche, was mer die Marie zuerst verschafft hat! Das war doch noch die ordentlichst. Sie war ja noch arg jung, aber se hat doch de gute Wille gehabt und war nit eso verdorbe wie das Berta und das Gretche! Das Gretche!" Der Mann schluchzte plöß­lich auf, das hätt mer den kleine Bub, den Christian, schon verdorbe-! Na, und dann heut mittag das!"

Es ist nure gut, daß Er se gleich rausschmisse habt," sagte die Frau.

Da ward die Tür aufgemacht. Schlürfenden Schrittes fam Kamp herein.

Na, Müting, was hast denn Du?" Er schlug dem Mann auf die Schulter.

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Ach Gott !" seufzte der.

schs wege de Mädcher?" fragte Kamp. Natürlich!"

Du mußt heirate!"

" Ja!" Müting rieb mit der Hand am Knie herum. Aber was was war denn wieder?" Kamp stellte sich Vor den Freund hin, die Hände in den Hosentaschen. Ich hab se fortgejagt, heut mittag!"

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Das Gretche?"

" Ja, das liederliche Weibsbild!" fiel die Frau ein. Heut mittag, wie er heimkommt, liegt se ausgezoge bis aufs Hemd in sein Bett und und" Frau Kamp friegte einen ganz roten Kopf. Na, still, still, ich fann mer's schon denke!" Der Mann zog die Hand aus der Hosentasche und fragte sich hinterm Ohr. " Ja, ja, es is halt eso! sagte er." Du mußt heirate, Müting, das is es einfachste! Dann haste die Schererei nit mehr mit dene Weiber!"

Müting ballte die Fäuste. Ach, wenn ich doch noch mein Luis hätt, mein Luis!" Er schluchzte plötzlich laut auf. Frau Kamp zog ein Tuch aus der Tasche, fuhr sich damit über die Augen und schneuzte sich. Ihr Mann stellte sich vors Fenster.

" Ja, ja, so is es," sagte die Frau, die Ordentlichste, die müsse fort!" Sie puzte sich noch einmal die Nase und wischte sich bei der Gelegenheit schnell über die Augen.

Des Witwers Blick wurde düster. Warum hat mer unser Herrgott das angetan? Womit hab ich das ver­dient?" fragte er. wenn Ihr

" Ja,' is wahr!" fiel die Frau ein, wärt, wie der Eckel da drobe!"

einer " Herrgott!" Der Kopf des Mannes sank schwer in seine Hände. Wie er vorhin die Treppe hinaufgestiegen war, waren ihm dem Eckel seine Kinder begegnet. Es war ein Geruch von Schmutz und Elend um die Kinder gewesen,

Und wie sie leise an ihm vorbeihuschten, hatte der Knabe einen furzen, fecken Blick zu ihm heraufgeworfen, ihm war's dabei kalt über den Rücken gekrochen. Wohin waren die beiden gegangen? fragte sich der Mann. Und: die armen Kinders! dachte er und wieder kroch es ihm falt und glatt den Rücken Hinauf.

Wilder ward das Schluchzen, das aus seiner Brust aufstieg.

Mein Kinner, ach Goft, mein Kinner!" stöhnte er. ( Fortsetzung folgt.))

( Nachdruck verboten.)

Das Leben und der Tod.

Bon Kurt Grottewit.*),

an den Tod stellen, sind ganz andere als die, welche frühere Gene­Die Fragen, die wir heute in erster Linie an das Leben und an den Tod stellen, sind ganz andere als die, welche frühere Gene­rationen stellten. Man war geneigt, das Leben eher als eine ge­gebene Größe hinzunehmen, doch der Tod, das war der Rätsel­aufgeber. Was er war, was er brachte, darüber haben sich alle Philosophen früher den Kopf zerbrochen, alle Religionen haben sich mit ihm eingehend beschäftigt. Uns ist eigentlich die Frage des Todes gleichgültiger geworden. Nicht als ob der Tod für uns seine Schrecken verloren hätte, aber die Frage ist für uns nicht mehr brennend, was der Tod sei. Wir betrachten ihn als ein Aufhören des Lebens, und das Leben in seinem innersten Wesen, in seinem ganzen Mechanismus zu ergründen, darin erblidt die Wissenschaft eine Hauptaufgabe, ganze Wissenszweige, wie Physiologie und Biologie, beschäftigen sich vorwiegend mit dieser Frage.

Aber die Frage des Todes hat dennoch, wie neuere Forschungen zeigen, viel Interessantes. Und das um so mehr, als auch ihre Lösung uns einen Schritt weiter führen würde auf dem Wege zur Erkenntnis des Lebensproblems. Wie der Tod zunächst in die Welt gekommen ist, darüber hat der bekannte Biologe Weismann eine plausible Meinung aufgestellt. Auf den untersten Stufen des Lebendigen, bei vielen einzelligen Tieren und Pflanzen besteht die Vermehrung darin, daß ein Wesen sich in zwei Hälften teilt und jede Hälfte sich zu einem ganzen Individuum durch Wachstum er gänzt. Die Tochterwesen find hier nichts anderes als das Mutter­wesen, das weiterlebt und ununterbrochen fortlebt, ohne zu sterben. Bei dieser Vermehrung, die sich in beliebig viele Generationen fortsetzen kann, stirbt nie etwas. Alles lebt weiter, und vermutlich haben so viele Einzelligen seit vielen Millionen Jahren, seitdem es Leben auf der Erde gibt, ununterbrochen fortgelebt bis auf den heutigen Tag. Gewiß kann es vorkommen, daß solche durch Teilung entstandene Wesen durch besondere Katastrophen zugrunde gehen, fie können die Beute irgend eines Tieres werden, können durch Gifte, Feuer, Zerquetschen getötet werden. Aber jedenfalls scheint es bei diesen Einzelligen nicht vorzukommen, daß sie eines natür­lichen Todes aus Erschöpfung der Kräfte sterben. Der eigentliche Tod, wie er bei allen anderen Wesen unausbleiblich ist, rafft diese durch Teilung entstandenen Mikroorganismen nicht hinweg. Neuere Versuche sind dieser Ansicht Weismanns günstig. So beobachtete G. N. Calkins die Vermehrung einiger Individuen eines Urtierchens ( Paramaecium caudatum) fünfzehn Monate lang. Während dieser Zeit brachten es die Tiere zum Teil bis zur 553. Generation. Es trat also bei ihnen während dieser Zeit keine Erschöpfung ein. Sind aber über fünfhundert Generationen lebensfähig, so sind es wahrscheinlich unbegrenzt viele.

Nach Weismann kam der Tod erst zu der Zeit in die Welt, als die Geschlechtsdifferenzierung eintrat. Von nun an sonderten die Wesen Reimzellen ab, fie zerteilten sich gewissermaßen in Körper und Keimzellen, und während diese, die den Keimstoff von Gene­ration zu Generation weiter vererbten, nie wirklich zugrunde gingen, fiechte der Körper, nachdem er seine Arbeit verrichtet, all­mählich dahin. Er war überflüssig geworden, nachdem er die Keim­zellen gebildet hatte, und alles Ueberflüssige schwindet. Es wird durch Naturauslese, wie Weismann meint, ausgemerzt. Je höher ein Wesen organisiert ist, um so kleiner sind im Verhältnis zum Soma( Körper) die Keimzellen. Diese retten also nur einen sehr fleinen Teil des ursprünglichen Individuums der Unsterblichkeit. und dabei sind sie selbst nicht einmal mehr in der Weise unsterblich wie die Einzelligen, die sich durch Teilung vermehren. Denn fie verbinden sich mit anderen Keimzellen und mischen sich in dem Individuum, das aus dieser Verbindung heranwächst, so innig, daß der ursprüngliche Keimstoff in seiner besonderen individuellen Veranlagung nicht mehr zum Vorschein kommt. Die Kinder sind nie dieselben Individuen wie die Eltern.

Weismann erklärt so zwar, wie der Tod in die Welt gekommen ist, aber die eigentliche Ursache des Todes gibt er doch nicht an. Warum sollte nicht auch ein Individuum weiter leben, nachdem es teimzellen entfandt hat? Es tönnte ja fortfahren, auch weiter. hin Reimzellen von Zeit zu Zeit abzusondern. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so brauchte es doch nicht zu sterben. Warum erschöpft sich das Leben aber doch einmal, warum kommt der Tod? Auf diese Frage gibt Weismanns Meinung keine ge­nügende Antwort. Wenn man den Organismus als eine Art

*) Gestern jährte sich der Tag, an dem Kurt Grottewi beim Baden in der großen Krampe" auf eine so tragische Weise ums Leben fam. Zu Ehren unseres toten Mitarbeiters bringen wir die vorliegende Arbeit, die ein Beweis ist dafür, daß sein forschender Geist sich auch mit den schwierigsten Problemen der Naturwissenschaft beschäftigte. Wir erinnern bei dieser Gelegen­heit an das vor kurzem in der Buchhandlung Vorwärts erschienene Werkchen von Grottewitz : Sonntage eines großstädti­schen Arbeiters in der Natur". Das Büchlein enthält cin treffliches Porträt des Verstorbenen und eine Vorrede von Wilhelm Bölsche , die Leben, Art und Wirken des geistvollen Einsiedlers von Müggelheim in poesievoller und charakteristischer Weise zeichnet.

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