Maschine betrachtet, so könnte man sich ja den Tod als eine Ab- Nutzung des vorhandenen Materials vorstellen. Allein das Gleiche müßte man dann ja auch bei den Einzelligen, die keinen natürlichen Tod kennen, annehmen. Und außerdem gehen doch hier immerzu chemische Prozesse vor sich, die durch die Nahrungszufuhr immer neues Material erhalten. Ein Tod infolge von Abnutzung brauchte daher nicht gerade einzutreten. Nach Max Verworn (Allgemeine Physiologie) ist das Leben im letzten Grunde ein Stoffwechsel- Prozeß. Das Leben hängt am Eiweiß, und dieses ist eine Substanz, die dauernd Verbindungen mit herangeführten Nahrungsstoffen eingeht und fortwährend Abfallsprodukte von sich abspaltet. TaS Eiweiß ist sicher ein sehr komplizierter Körper, der sich in fort- währender Aktion befindet. Man könnte sich nun vorstellen, daß einmal der Aufbau im Eiweiß geringer und die Abspaltung immer größer würde, so daß schließlich der Lebensstoff ganz und gar zer- fällt. Eine solche Meinung vertritt zum Beispiel I. Loeb, der bei seinen Studien an Seesterneiern(Pflügers„Archiv für Phy- fiologie". Band 93) auch auf den natürlichen Tod zu sprechen kommt. Die Eier machen nach der Ablage einen Reifungsprozeß durch. Erfolgt nach Ablauf desselben nicht die Befruchtung, so gehen sie zugrunde. An Stelle der Befruchtung vermögen auch gewisse chemische Substanzen, wie Loeb schon vorher festgestellt hat, die Eier zu weiterer Lebensentwickelung anzuregen. Danach er- scheint es allerdings so, daß in dem reifenden Ei destruktive Pro- zcsse die Oberhand gewinnen, und daß durch neue chemische Ein- Wirkung wieder der Aufbau, die synthetischen Vorgänge, angeregt werden. Es entsteht aber nun die Frage: Wodurch bilden sich die destruktiven Prozesse und welcher Art sind sie? Es wäre ja denk- bar, daß der Tod eine rein chemische Frage wäre. Alsdcxnn würde das Problem zu lösen sein, wenn der Chemismus der organischen Körper einmal genau erforscht sein wird. Indes wenn jene Ein- zelligcn eine Körperkonstitution besitzen, bei der nie die destruktiven Kräfte die Oberhand gewinnen, so wird es immer zu erklären bleiben, wieso späterhin die chemische Konstitution der Organismen eine solche würde, daß die Vorgänge des Zerfalls über die Prozesse des Aufbauens überwiegen. Also wird mit der chemischen Auf- hcllung der Lebcnsprozesse allein die Entstehung des Todes auch noch nicht erklärt sein. Aber eine Berücksichtigung der chemischen Verhältnisse neben den biologischen kann doch ein tieferes Ver- ständnis der Fragen des Todes herbeifuhren. Das zeigt in einem bemerkenswerten Buch über die UnVollkommenheit des Stoffwechsels usw. Fr. Jickcli. In der Zelle spielt sich nicht nur ein einziger zusammenklingender Vorgang ab. sondern es finden hier die verschiedenartigsten chemischen Aktionen statt. Bei dieser Vielseitigkeit der Stoffe ist es fast selbstverständlich, daß nicht alles bei den chemischen Vorgängen verbraucht wird, sondern daß auch Stoffwechselreste übrig bleiben, die nichts nütze sind. Diese Reste wirken wie Gifte, in starker Anhäufung verhindern sie wahr- schcinlich den normalen Verlauf des Stoffwechsels. Sie werden alsdann jedenfalls so schädlich, daß sie den Tod des Organismus herbeiführen. Eine Reaktion der Zelle gegen das sich ansammelnde Gift ist die Vermehrung. Sie teilt sich; dadurch wird ihre Ober- fläche vergrößert, denn nun haben ja zwei Zellenindividuen die- selbe Menge an Giftstoffen. Infolge der Vergrößerung der Ober- fläche der Zelle wird die Äbschcitung der schädlichen Substanzen erleichtert. Der Verfasser zeigt an sehr vielen Beispielen, wie wirk- lich eine jede Schädigung und Vergiftung der Zelle sofort eine rege Teilung hervorruft. Die Giftstoffe werden so auf eine Menge von Zcllindividucn verteilt, sie werden außerdem, da die entstehenden Individuen zusammen eine weit größere Oberfläche besitzen als die ursprüngliche Muttcrzellc, jene Substanzen leichter nach außen befördern können. Wird der Organismus irgend wie geschädigt, lebt er also zum Beispiel unter ungünstigen Verhältnissen, so tritt eine lebhafte Zellteilung in ihm ein, er entwickelt sich also schneller, allein da infolge der schnellen Entwickelung auch der Stoffwechsel sehr stark ist, so werden auch sehr viele Giftstoffe wieder erzeugt, und so geht der Organismus also um so schneller zugrunde. Schnelle Entwickelung verkürzt das Leben. Bei den höheren Tieren treten zwar nun bestimmte Ausscheidungsgängc auf. durch welche die Giftstoffe nach außen befördert werden. Allein durch diese werden doch nicht alle Stoffwcchselreste entfernt. Immerhin be- sitzen Pflanzen und Tiere gewisse Mittel, sich von Zeit zu Zeit der angesammelten Giftstoffe einigermaßen zu entledigen. Als solche betrachtet Jickeli das periodische Abwerfen der Geweihe und des Haarkleides des Säugetiere, die Mauser der Vögel, die Häutung anderer Tiere, ferner zum Beispiel den Laubfall der Pflanzen. Allein alle diese Einrichtungen genügen doch nicht, um eine voll- ständige Reinigung von allen Giftstoffen im Körper herbeizuführen. Schließlich häufen sich doch auch im günstigsten Falle einmal die schädlichen Substanzen derart an, daß der natürliche Tod eintreten muß. Jickeli hegt die Annahme, daß alle Wesen, auch die Einzelligen, den Tod infolge dieser Vergiftung erleiden müssen. Indes läßt sich doch vielleicht allein die Meinung Weismanns mit den Aus- führungen Jickelis vereinigen. Wenn Einzellige sich teilen, so entstehen zwei vollkommen gesonderte Zellen. Finden dagegen in dem Zellengcwebc höherer Organismen Teilungen statt, so bleiben nicht nur die geteilten Zellen nebeneinander, sondern es liegt doch überhaupt Zelle an Zelle. Dringen die Giftstoffe durch die Mem- brane einer Zelle nach außen, so werden sie häusig in die Nachbar- ellen eindringen. Jedenfalls ist der Weg nach außen, außerhalb es Organismus für die Giftstoffe bedeutend schwerer zu erreichen. Bei den Einzelligen, die sich mit andersgeschlechtlichen Individuen vereinen, vereinen sich natürlich auch die Giftstoffe, die beide be» sitzen Also sind auch sie nicht so günstig gestellt wie die Einzelligen. die sich nur durch Teilung vermehren. Bei ihnen summieren sich nie Giftstoffe. Durch die steten Teilungen wird diesen immer Ge- legenheit geschaffen, aus dem Zellinncren herauszukommen. Nun sind außerdem diejenigen Mikroorganismen, die sich durch Tei» lung vermehren, am einfachsten gebaut, ihr Zellleib ist sehr wenig differenziert, die Giftstoffe können daher nach allen Seiten sich Auswege verschaffen, ohne irgendwo hängen zu bleiben. Je diffe- renzierter ein Organismus ist, umsowcniger widerstandsfähig ist er gegen den natürlichen Tod. Jickeli führt den Nachweis, daß die männlichen Tiere, die meist einen weit komplizierteren Körperbau besitzen als die weiblichen, viel früher sterben als diese. Nach Jickeli ist also die Frage des Todes keine rein chemische. Wohl erzeugt der Stoffwechsel schädliche Produkte, die zerstörbar wirken. Aber es hängt doch von den besonderen biologischen Ver- Hältnissen ab, ob und wie leicht die Giftstoffe entfernt werden können. Große Beachtung für das Problem des Lebens sowohl wie für das des Todes verdient der Umstand, daß das Leben zeitweilig unterbrochen werden kann. Amöben können vollständig eintrocknen. Sie umgeben sich alsdann mit einer festen Haut und verharre,» vollkommen bewegungslos, wie es scheint, Jahre lang. Alle Lebens- Vorgänge sind bei ihnen offenbar sistiert. Die chemischen Um- setzungen sind unterbrochen. Es findet dann also gar rein Stoff- Wechsel statt, alles bleibt in einem latenten Zustande wie ein Uhr- werk, das nicht aufgezogen ist. Das Uhrwerk kann nach langer Zeit wieder aufgezogen und in Gang gebracht werden. So yuillt auch die Amöbe, wenn sie in Wasser gelangt, wieder auf. Das Wasser setzt die chemischen Kräfte wieder in Aktion. Die Lebens- Prozesse nehmen ihren Fortgang. Eine solche Unterbrechung des Lebens— ein Scheintod— kommt bei vielen Pflanzen und Tieren vor, bei den Gewächsen der kühleren Zonen im Winter, auch bei den Tieren, die einen Winterschlaf und denen, die einen Sommerschlaf halten, vor allem aber bei den Pflanzensamen und den Eiern, bei denen der ganze Lebensmechanismus sehr lange unterbrochmi'sein kann, ohne doch zerstört zu werden. Es findet eben während der Zeit ckein Verbrauch der chemischen Kräfte und keine Erzeugung schädlicher Substanzen statt. Und dieser Sachverhalt deutet scharf darauf hin, daß das Leben im Organismus an chemischen und physikalischen Energien hängt. Kommen in diesem Wunderwerk komplizierter Naturkräfte Störungen vor, so zerfällt es eben in Stücke. Ob die Meinungen jener Forscher, die uns diese �-tö- rungen näher deuten wollen, richtig find oder nicht: jedenfalls scheint es sicher zu sein, daß es im Grunde neben Störungen deS chemischphysikalischen Kräftesystems sind, die den Tod herbeiführen.— Kleines f emlleton* op. Eine Simultankirche Eine merkwürdige gottesdienstliche Ordnung ist jetzt in der Pfarrkirche von Culey in der Diözöse von Verdun (Französisch-Lothringen) in Kraft. Der frühere Pfarrer, der durch seine auf den Index gesetzten Schriften bekannte Abbe Hutin. ist mit dem Interdikt belegt, d. h. es wurde ihm verboten, kirchliche Amtshandlungen vorzunehmen: aber er weigerte sich, den, vom Bischof ernannten neuen Pfarrer Abbs Richard den Platz zu räumen. Die große Mehrzahl der Gemeindemitglieder steht auf feite HutinS und fährt fort, dem von ihm veranstalteten Gottesdienste beizu- wohnen. Abb« Richard hat wiederholt versucht, den alten Pfarrer zu vertreiben; es kam dabei gelegentlich sogar zu Handgreiflichkeiten. Schließlich wandte sich Richard an die Staats- behörden und verlangte ihr Eingreifen. Angesichts der Haltung der Bewohner hat er sich jedoch zu einem Kompromiß herbeigelassen. In Culey kann man jetzt sowohl nach der Hutinschen wie nach der Richardschen Fasson selig werden. Am Sonntag liest Hutin die Messe um 10 Uhr, Richard um 12 Uhr. Nicht nur der Priester, sondeni auch das Publikum und die Dekoration wechseln. Während Hutins Messe ist der Altar mit der Trikolore geschmückt und die Gläubigen stimmen als Kirchengesang die Marseillaise an. Hntin. den die Einwohner des Ortes uiid der Nachbarschaft mit geringen Ausnahmen zur Erteilung der Sakramente, wie zu kirchlichen Be- gräbnissen wählen, denkt nicht daran, sich zurückzuziehen. Seine Anhänger haben sich als Kultusassoziation konstituiert und ver- langen die Ucbergabe der Kirche, des Presbyteriums und des Vermögens. Sie werden aber diese Forderung kaum durch- setzen.— Die Simultankirche von Culey ist übrigens, wenn auch eine seltene, doch keine einzig dastehende Erscheinung. Es kommt noch in einzelnen Fällen vor, das; Katholiken und Protestanten dort, Ivo sie allein zu schwach sind, eine Kirche zu unterhalten, sie gemein- sam benutzen. Im Rcformationszcitalter war dieser Brauch häufiger. So war in der doppelschisfigen Pfarrkirche der Tiroler Bcrgstadt Schwaz durch mehrere Jahrzehnte das eine Schiff für den tatho- tischen, das andere für den protestantischen Gottesdienst bestimmt.— ig. Eine neue Krankheit der Hülsenfrüchte ist im vorigen Jahr an einem Erbsenfeld in Dahlem bei Berlin beobachtet, dann von Ernst v. Oven untersucht und nunmehr im„Zentralblatt für Bakteriologie" beschrieben worden. Die befallenen Hülsen waren
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23 (17.7.1906) 135
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