Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 147. Donnerstag, den 2. August. 1906 (Nachdruck verboteil.) l7] Kinder der Gaffe. Roman von Charlotte Knoeckel. Am Sonntag kam der Christian aus Edenkoben herüber. Cr hatte Ferien, aber er brachte sie in der Familie eines Metzgermeisters zu, wo er statt eines Kostgeldes dem Buben Nachhülfestunden im Rechnen und in der Grammatik gab, um ihn für den Eintritt in die Realschule vorzubereiten. Als ihm das Anerbieten geworden war, hatte er freudig zugegriffen, denn er wußte nur zu gut, daß ein vierwöchent- licher Ferienaufenthalt im Hause der Marie sich wohl kaum behaglich für ihn gestalten würde. Inzwischen hatte er sich bei den Fleischtöpfen des biederen Metzgermeisters bereits rote Backen und einige Körper- fülle geholt. Die Luis freute sich über den Besuch des Bruders, und auch Müting blickte mit Wohlgefallen auf seinen Sohn. Die Marie aber konnte nicht unterlassen zu bemerken, daß er sichiowohl nicht allzusehr plage, wenigstens deute sein gutes Aussehen auf ein ganz behagliches Leben. Der Franz war unwirsch und machte seinem Groll gegen den Faulenzer in deutlichen Worten Luft. Der Christian sah gleichgültig drein, nur als er sich nach den.Eckels erkundigte, und man ihm erzählte, daß sie der- zogen seien, weil der Frau die elende Mansardenwohnung nicht länger habe behagen wollen, kroch Plötzlich eine leise Trauer über sein Gesicht. Am Nachmittag aber, als die Luis am Brunnen Wasser holte, trat die Paula in den Hof. Die Luis betrachtete sie erstaunt.Was biste fein!" sagte sie. Die Paula hielt ein rotes Sonnenschirmchen in den Händen. Drei Mark hat das gekost," sagte sie.und mein Hut" es war ein weißer Hut mit Rosen und Schleifen und Spitzenmein Hut hat sieben Mark fünfzig gekost! Er hätt eigentlich acht Mark koste solle, aber's war schon en bisse! spät, wie ich mir en gekauft Hab! Und es Kleid ach, des is en ganz gewöhnliche Battist für siebzig Pfennig 's Meter. Wenn ich noch länger in der Fabrik bin, dann schaff ich mer viel feiner Zeug an! Mir han Mädcher in der Fabrik, ich geh mit e paar spaziere heut nachmittag, was die en Staat mache, de glaubst es nit!" In de Fabrik verdient mer halt doch annerst, als wenn mer diene geht!" fügte sie hinzu und streifte mit mitleidigem Blick den bescheidenen Anzug der Luis. Wie viel Verdienste denn?" fragte die. Eine Mark und fünfzig Pfennig," sagte die Paula. Da hängst ja all Deinen Verdienst an de Staat!" Jnja! Und warum denn nit? Der Vater verdient doch noch und unser Peter, wenn er schaffe geht...!" Sie sprachen noch, als der Christian zu ihnen trat. Ei!" sagte die Paula und betrachtete ihn wohlgefällig, Was Du fein wirst!" Der Christian lachte verlegen. Auch seine Blicke glitten befriedigt an ihr auf und ab. Er fühlte die verborgene Schönheit ihres Leibes, und das Blut stieg ihm in die Wangen. Die Luis ließ die beiden allein, aber sie hatten kaum ein paar verlegene Worte gewechselt, als das Minchen und der August sich zu ihnen gesellten. Schafft Euer Peter wieder?" fragte der August die Paula. Ei ja, seit e paar Tag! Er hat als emal so en Rappel. Es is einer bei ne in der Fabrik en... en Sozialdemokrat heißen se en, der schimpft auf alle reiche Leut, und da hat der Peter gemeint, er hätt auch en Recht, als emal nix zu schaffe. Aber wenn er kein Geld mehr hat für in de Wirts- Häuser rumzusitze, dann weiß er nit mehr, was er anfange soll, und dann sucht er sich als wieder Arbeit!" Dein Vater sollt em nix zu esse gebe, wenn er mt schafft!" meinte der August. Aber die Paula zuckte die Achseln.Die Mutter red em's Wort!" Das Minchen sprach nicht. Sie wandte den Blick nicht vom Christian. Er kam ihr so seltsam klug und vornehm vor, und sie wunderte sich über die Paula, die ihm auf die Schulter klopfte oder auf den Rücken, als sei er ihresgleichen. Die Luis hatte unterdes in der Stube Kaffeewasser auf- gesetzt, und während sie wartete, daß es kochen würde, zog sie dem Mariechen das Sonntagskleid an. Müting sah ihr zu. Se kommt immer mehr auf ihre Mutter raus, dachte er. Das gibt en ordentlich Frau! Wer die kriegt! Und se sieht auch gut aus, hat rote Backe, doch kein so Milchsuppegesicht wie die Emma! Ach Gott ja, die Emma! Der Mann seufzte. Die Luis schaute zu ihm auf.Was is Euch, Vater?" fragte sie. Ich Hab an es Emma gedacht," sagte er. Ja," nickte das Mädchen,es sieht nit gut aus, und es darf auch nit viel schaffe, des halt's nit aus! Ihr müssen drauf acht gebe, denn es Marie-- 1" Der Mann seufzte noch einmal.Ach Gott , ich weiß," sagte er. Sein Gesicht war plötzlich düster und sorgenvoll ge- worden. Und in diesem Gesicht trat so manches zutage, was der Luis vorher nicht am Vater aufgefallen war. Die Falten darin waren schlaff, und die Augen waren glasig. Herrgott, der Vater trinkt doch am End nit, um.., um seine Sorge los zu sein? fragte sie sich. Da kochte das Kaffeewasser, und gleich darauf kam der Christian vom Hof herein. Der Franz kam mit struppigem Haar und verschlafenem Gesicht aus seiner Kammer, und auch die Emma schlich aus der Schlafstube herüber. Als die Dämmerung einbrach, verabschiedete sich der Christian. Die Luis und die Emma begleiteten ihn auf die Straße und sahen ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Am Montag und Dienstag machte die Luis große Wäsche. Am Mittwoch putzte sie die Schlafstube, am Donners ». tag aber, als sie nachmittags in der Küche stand und bügelte, trat der Peter unversehens zu ihr ein. Sie war allein. Sie machte Kommissionen, und die Emma hatte die Kinder hinausgenommen in den Rosengarten, auf der Luis ihren Rat. En bisse! frische Luft tut der gut, und de Kleine auch," hatte sie gesagt, und die Enima war gegangen. Wie der Peter plötzlich in die Stube kam, hob die Luis. erstaunt den Kopf. Ei," sagte sie,schon Feierabend!" Nee!" lachte der Bursche.Ich Hab heut emal mt geschafft!" Nit geschafft?" fragte das Mädchen!" Was hast denn getan?" Der Peter lachte.Nix!" Die Luis stellte das Eisen auf den Herd und ließ die fleißigen Hände sinken. Nir!" wiederholte sie ganz erstaunt. Jnja!" sagte der Peter und preßte die Lippen trotzig zusammen. Als man ihn am Morgen zur Arbeit geweckt hatte, war er nicht aufgestanden, fondern hatte sich brummend auf die andere Seite gedreht und weiter geschlafen. Er hatte bis tief in die Nacht hinein gezecht und der Kopf war ihm schwer. Er mochte nicht aufstehen! Der Tag. der durch die Fensterscheiben hereindämmerte, dünkte ihm grau und nüchtern und der Gedanke an die Arbeit war ihm un- erträglich, darum hörte er nicht auf das Rufen des Vaters und der Paula, sondern blieb einfach liegen. Als am Mittag der Vater von der Arbeit gekommen war, hatte er ihn scharf angefahren ob seiner Faulheit, und die Mutter hatte ihn nicht verteidigt. Es war aber ein Verlangen nach Mitleid in dem Burschen, und da war ihm plötzlich die Luis Müting eingefallen, und wie sie ihm einmal das Wort geredet hatte vor dem Christian und dem August, und er suchte sie auf. Er wollte feinem Herzen Luft machen und sich von ihr bedauern lassen, und wenn er bei der Gelegenheit etwas gegen den August und den Christian vorbringen konnte, das wollte er nicht versäumea,