Mnterhaltungsblatl des vorwärts Nr. 148 Freitag, den 3. August. 1906 (Nachdruck verboten.) 181 Kinder der Gaffe» Roman von Charlotte Knoeckel. Entsetzt wich die Luis vor dem Burschen zurück. Die Berta hatte ihr gar oft vom Antichrist erzählt, und was der Peter da vorbrachte.... Sie schaute ihn groß an mit neu- gierigen Augen. Es war ihr, als müsse der Peter sich plötzlich in irgend ein Ungetüm verwandeln,— der aber fuhr unbe- irrt mit Menschenstimme zu reden fort: „Ich weiß, daß es kein Himmel gibti Des haben sich die Pfaffe alles zusammegeloge, um uns am Bändel zu halte und damit mer zufriede sind! „Und da schwätzen se uns vor. im Himmel gab's keine Arme und keine Reichel Da könnt mer sich satt esse an ge- bratenem Fleisch und an Fisch und Bier und Wein könnt mer trinke, so viel mer nure wollt, aber des is alles geloge! „Es gibt auch kein Herrgott. Es sind gescheite Leut, die haben das nachgewiese!" «Und wenn mer tot sind, was wird denn aus unserer Seel?" fragte die Luis. „Scel!" lachte der Bursch.„Des gibt's gar nit! Wenn mer tot sind, komme mer ins Trab, und des werd zugeschaufelt und dann is alles vorbei mit uns! Mir haben nur das Lebe, und das sollen mer genieße, und dazu haben mer en Recht!" Während der Peter noch sprach, war die Emma mit den Kindern hereingekommen. Eine ganze Weile hatte sie mit ängstlichen Augen auf des Burschen Reden gehorcht, aber plötzlich schrie sie laut auf und lief zur Luis hinüber. Ihre Augen waren weit geworden und traten aus den Höhlen. Ihre Finger zitterten, und diese zitternden Finger krampfte sie um der Luis Hals. „Er lügt, er lügt, er lügt!" stöhnte sie einmal über das andere.„Wenn mer tot sind, is es nit aus! Nein, nein! Dann kommen mer in de Himmel und werden Engel mit Flügel und kriegen Kränzelche ins Haar.,.1" Da lachte der Peter. Und dies Lachen klang so roh und hart. Es brachte die Luis zum Bewußtsein. „Mach, daß De naus kommst!" sagte sie zu ihm.„Und daß De Dich nit mehr unterstchst, zu uns zu kommen, Du... Du... Antichrist!" Verdutzt lief der Bursche hinaus. Draußen schlug er sich vor die Stirn. Ich hätt's gescheiter anfange solle! dachte er. Aber es war ein behagliches Gefühl in ihm darüber, daß er seinen Empfindungen hatte Ausdruck verschaffen können. Mit einem Siegergefühl blieb die Luis in der Stube zurück. Sie tröstete die zitternde Emma, und die beruhigte sich bald. „Es ist alles gelogen, gelt?" „Alles!" „Und mer kommen in de Himmel?" „Ja, gewiß!" Da wurde das Mädchen wieder froh:„Weißt, wenn ich denk, daß ich unser Mutter nit wiedersehn sollt im Himmel .,. dann,.. dann,,.1" Noch einmal ging ein Beben durch ihren Leib. Drei Tage blieb die Luis noch. Am Sonntagabend mußte sie zurück. Es war am Nachmittag, gegen fünf Uhr, als sie die Emma bei der Hand nahm, um mit ihr hinauf zu Kamps zu gehen. „Ich gehn adieu sage. Vater!" sagte sie. „Is recht, aber bleiben nit zu lang!" Müting rauchte seine Pfeife und saß am Fenster. Ein einziger Geranienstock stand noch auf dem grünen Brett, die anderen waren alle eingegangen. Die Kamps droben freuten sich über den Besuch der beiden Mädchen. „Es is doch nett von Deiner Herrschaft, daß se Der efo Ferie geben," meinte die Frau.„Und guck, ich sag schon immer zum Minche, es igt such besser diene gehn, wenn se aus der Schul kommt, als in die Fabrik laufe, aber eZ Paula, das red em so viel vor.. „Nee," warf das Minchen ein,„es is nit wegen em Paula, aber wenn ich in die Fabrik gch, kann ich derheim sein, brauch nit zu fremde Leut, des is es!" „Ja, ja," nickte die Kampen ,„wenn mer en ordentlich Derheim hat!" und sie streifte die beiden fremden Mädchen mit scheuem, mitleidigem Blick. So schwätzten sie em Weilchen, bis die Luis aufstand. Sie faßte Frau Kamp am Aermel und zog sie in die Fensternische:„Sagen mer, trinkt der Vater?" fragte sie. „Ach Gott, " die Frau wurde rot.„So— 1 Jesses, es is em nit zu verdenke bei dere Frau! Und grad arg oft passiert's ja auch nit!— aber... als emal! Na ja.., da,.. da..." „Ich bab mer's gedacht!" „Ach Gott , ja!" Die Kamp wischte sich die Augen mit dem Schürzenzipfel.„Der arm Mann!" Um der Luis ihren Mund kam wieder der alte, harte Zug, den sie fast verloren hatte, seit sie fort von daheim war. Arm? dachte sie. Wenn er trank? Sie sagte nichts, aber über ihre Seele breiteten sich tiefe Schatten. Dem Marie und dem Vater is nit mehr zu helfe, dachte sie, die müssen's weitertreibe, wie's es jetzt mal angefange habe? Und mir, mir müssen acht gebe, daß mer uns nit mit reinreiße laste! Ein Bewußtsein von Unbeflecktheit kam über die Luis. Es war ihr, als sähe sie die Eltern auf schlammigen Wegen sich mühsam weiterschleppen in schmutzigen Schuhen und schmutzigen Kleidern. Sie selber aber ging abseits auf reinlichem Pfade. Und ihre Schuhe blinkten und an ihrem Rock war kein Kotspritzerchcn. Und wenn die da drüben versinken sollten im Schlamm? Da verscheuchte sie die seltsamen Gedanken. Sie rief nach der Emma, die war mit dem Minchen auf die Straße gegangen. Da sagte sie der Alten und dem August adieu. „Ich geh mit der nunter," sagte er. Er hielt Hut untl Stock in der Hand. Auf der Treppe blieb er stehen.„Luis, ich Hab' gehört, wie gestern abend der Franz und der Peter ausgemacht haben. se wollten den Christian verschlage, wenn er kam! Aber se sollm's nure versuche, cm was zu tun! Wer en anfaßt, des darfft mer glaube, der kriegt's mit mir zu schaffe!" Er schwang den Stock in der Faust. „Ach Du!" sagte die Luis.„Du gönnst's em doch, daß er was lerne darf!!" „Jnja," nickte der Bursch. „Und Du, mit em Emma..." vertrauensvoll sah das Mädchen zu dem August auf,„wenn mit dem Emma mal was. is, wenn's krank werde sollt, schreib mer's!" „Es Emma?" „Jnja! Es gefallt mer nit!" „Ach je! Auch das noch!.,. Na ja... aber»., ich werd der's schreibe!" Und die beiden gaben sich die Hände und schieden von einander. 14. Lätitia Anbrät hatte eine Katze. Ein schönes Tier, weiß mit großen goldgelben und schwarzen Flecken, und diese Katze hatte Junge bekommen. Sechs Junge. Lätitia hielt sie in der Schürze und brachte sie zur Luis. „Sieh mal, Luise, sind sie nicht entzückend?" Sie hielt mit der einen Hand die Schürze, und fuhr mit der anderen zärtlich über die weichen Fellchen der Tiere..-n „Was wollen Sie damit anfangen?" fragte die Luis. „Nun, sie groß ziehen und dann werde ich sie verschenken!" „Alle sechs groß ziehen?" „Ei natürlich! Was denn sonst?" „Ich würd' drei davon in de Rhein werfe an Ihrer Stell..." „Luise!" Entsetzt sah Lätitia das Mädchen an. „Nun ja?" die Luis zuckte die Achseln. Ihr Gesicht war ruhig, als habe sie das allergleichgültigste gesagt. Lätitia begriff das nidjt.„Drei Katzen! Drei von diesen süßen Tierchen,, Mttick AR. 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23 (3.8.1906) 148
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