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Die Beine wollten allmählich den spedigen Körper gar nicht mehr| tragen. Natürlich lief es immer langsamer. Stanislaus Sarbfa jedoch war der Meinung, daß er nur immer schneller laufe. Nicht mal zu teuchen brauchte er mehr. Keine Frage, er ward, statt hin­fällig zu werden, immer flinter, immer jünger. Das berauschte ihn ordentlich.

So standen die Dinge, als Stanislaus und Michu Sarbka die langen Röde eines Morgens anzogen und sich zum Herbstjahrmarkt nach der nächsten Stadt begaben. Anuschka blieb zu Hause, da sie weitere Wege nicht mehr machen sollte.

Sie stand vor der Tür und sah sich an, was vorbeizog. Sam da ein Bäuerlein des Weges und führte ein Schweinchen; die Leine, die um den linken Hinterfuß des Tieres geschlungen war, hielt er lose in der Hand.

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Plöglich stürzte mit lautem Gekläff der Hund des Nachbars  auf das Borstenvieh zu. Dem Bauer entglitt die Leine, das Schwein vermochte sich davon zu lösen, und in der Angst vor dem Köter liet es, so schnell es vorwärts fonnte, feldein. Es gehörte zu der kleinen polnischen Rasse mit Stehohren. Es war verhältnismäßig noch flach und mager. So kam es mit den langen Beinen rasch voraus. Es lief, lief, lief, der bellende Hund, der fluchende Bauer hinterdrein. Erst hatte Anuschka gelacht, dann blitzten die schlauen Augen, wurden nachdenklich, blizten wieder und verfolgten dann gespannt das Schau­spiel weiter mit dem festen Blick, den der Entschluß gibt. Das Schwein lief großartig, es schlug jeden Rekord. Wohl eine halbe Stunde dauerte es, ehe der Bauer es wieder an der Leine hatte. Ver­schwitzt, wütend schlug er es. Da hörte er rufen. Anuschka winfte. Sie war an den Zaun getreten und verwickelte ihn in ein Gespräch. Dann ließ sie Nuttta, die fette Nuttka, heraus. Der Bauer tratte fich den Kopf, sah mit begehrlichen Blicken auf das Borstenvieh, ver­glich es mit seinem, zählte sein Geld und schielte Anuschka nochmals von der Seite an. Aber nach langem Ueberlegen nidte er, zählte seufzend zehn harte Taler in die Hand der jungen Frau, nahm Nuttta an die Leine und ließ dafür im Sarbtaschen Stall sein mageres Schwein zurück. Zur Bedingung hatte Anuschka gemacht, daß er Nuttka nicht nach dem Markte treibe, sondern gleich in sein fernes Dorf mitnähme. So trollte sich das Bäuerlein, vergnügt über das gute Geschäft, von dannen.

Als Stanislaus und Michu Sarbka spät abends nach Hause tamen, wobei sie nach altem Brauch einen tüchtigen Haarbeutel mit brachten, stürzte ihnen Anuschka jammernd und wehtlagend entgegen und erzählte eine lange Geschichte. Nuttka sei im oben gewesen, als ein Viehhändler mit kleinen Schweinchen vorbeigekommen wäre, der verdächtig ausgesehen habe. Sie, die Pani, hätte im Haus zu tun gehabt, und diesen Augenblick müsse der Kerl benutzt haben, Nuttka zu stehlen. Damit aber die Stille im Stall nicht auffällig sei, hätte der schlaue Dieb ein anderes, schlechteres Schwein an Nuttkas Stelle zurückgelassen.

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Nun, es ward viel geflucht, und Stanislaus Sarbka verschivor sich, den Kerl totzuschlagen aber am nächsten Tage schickte er sich in das Unvermeidliche. Denn daß er als echter polnischer Bauer die Sache bei der Polizei anhängig machte, war ausgeschlossen. Als die letzten Merkmale des Räuschleins sich verloren hatten, sagte Anuschka: Höre, Väterchen, heut' werde ich ein Süppchen fochen ertra für Dich. Du wirst alt, Väterchen.. seit dem Jahrmarkt zittern die Beine, die Hände, der Stopf. Ach Jecku, Jecku so rüstig warst Tu noch! Aber wenn das Alter kommt, tommt es auf einmal." Stanislaus lachte. Es wurmte ihn. Eben wollt er beginnen: Gestern... erinnere Dich....," als ihm einfiel, daß er Nuttka gestern ja nicht gejagt und gefangen hatte." Run, nun," murmelte er für sich, man wird sehen!"

Bald darauf gab es ein großes Geschrei. Anuschka erhob es. " Was ist los, Goldkind? Brennt es? Gieß' Wasser drauf!" Aber es brannte nicht: das Schwein war nach draußen gelaufen. Der Alte schmunzelte:" Ich hol's, Töchterchen... streng' Dich nicht an!"

Du? Ach du lieber Gott  !"

Mitleid, halber Spott lag darin. Aber schon trable Stanislaus Sarbka dem Vorstenvieh nach. Er lief schnell das Schwein schneller. Pan Sarbka schnaufte, pruſtete, bekam Stiche, aber er lief. Doch, wie gesagt, das Schwein schlug jeden Rekord.

Zuletzt fonnte er nicht mehr. Er zitterte an allen Gliedern. Die Beine zitterten, die Hände. Was hatte Anuschka gesagt?" Seit dem Jahrmarkt, Väterchen, zittert Dir alles!"

Er stöhnte. Beschämt, gedrückt schlich er nach dem Hofe zurück. Vielleicht sieht es gerade niemand. Aber Anuschka stand am Baun. Nun?" Das Wort war ein Trompetenstoß, eine Siegesfanfare. Ich. äh. psia frew, ich muß sagen: heut' ist mir nicht gut. Sonst nun. Du weißt, wie ich laufe! Wie ein Schnell­läufer. Du wirst morgen sehen.. wie ein Pfeil schieße ich dahin. Heute jedoch es muß der Branntwein vom Jahrmarkt sein.' Michu mußte schließlich das Schwein zurückholen.

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In Angst, Unruhe, Hoffnung erwartete der Alte den anderen Tag. Die Jagd begann wieder. Aber schon lähmte der Zweifel die Sträfte. Noch gedrückter kam er zurüd, mit eingezogenem Stopfe. Diesmal hatten sogar ein paar Dörfler seine vergeblichen Be­mühungen gesehen.

" Der Jahrmarkt, der Jahrmarkt. noch sitt er mir in den Gliedern! Man soll nicht sagen, was der verdammte Branntwein äh, die Beine zittern wirklich."

Und unsicher: Jedoch bald wird das überstanden sein... übermorgen, paß auf. Töchterchen!"

Nachmittags hörte er im Nebenzimmer sagen: Es ist schlimmr, Michu, sehr schlimm! Das Väterchen wird sterben, wenn er sich nicht Ruhe gönnt. Wie wollt' ich ihm Süppchen tochen doch will er denn? Nicht einmal das Schwein fängt er mehr." Da stöhnte der Alte. Er achtete auf sich ihm tam es wirklich vor, daß weder die Beine noch die Arme so recht wollten wie früher. Beim dritten Versuch wandte er sogar eine List an, lockte das Schwein, streckte ihm Futter hin, während er sich mit scheuen Augen umfah, ob es auch keiner bemerke. Alles vergeblich.

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Und das dritte Mal tam Stanislaus Sarbta als alter Mann zurück. Der Glaube an seine Rüftigkeit war ihm genommen. versuchte gar nicht mehr, sich und die anderen zu vertrösten. Es geht nicht mehr, Töchterchen," sprach er kläglich. Er war ganz mürbe. Ich krieg' es doch nicht. Man ist... ist ja auch... nicht der jüngste mehr."

Mit dem Kopfe wackelnd schlich er in seine Stube. Michu jedoch mußte auf Befehl der Pani Anuschka den Maurermeister, der bei Wladimir Góra baute, holen. Montag ist er fertig, Bäterchen... wie wär' es, er könnte gleich beginnen. Es wär' eine Gelegenheit." Noch wollt sich der Alte wehren.

Ach Pan, Pan, denkt nur," sprach Anuschka, das Goldkind, nicht einmal das Schwein kriegt Väterchen mehr... so schwach ist er geworden."

Da gab Stanislaus jeden Widerstand auf. Der Maurer baute das Stübchen, das Stübchen zum Sterben, und als es fertig war, wurde dem jungen Paar das Gütchen in aller Form Rechtens übergeben.

Wie es zu geschehen pflegt, ward Stanislaus Sarbka, als er Er die einmal auf dem Altenteil saß wirklich hinfälliger. Süppchen, rieb die Hände, schaukelte den Enkel ganz wie Anuschka es ihm vorgestellt. Auch schlich er durch den Hof. Doch immer, wenn er in die Nähe des Kobens tam, machte er einen weiten Bogen. Er hatte einen Groll gegen das Schwein. Dafür entschädigte die Lieve und zärtliche Zuneigung der Pani, die jetzt eine richtige Bäuerin war, das flinke Borstenvieh, und es ward dabei rund, fett und rosig wie seine Vorgängerin, die dicke Nuttka.

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Kleines feuilleton.

en. Die Lebenszähigkeit der Pflanzen. Wer sich viel in der freien Natur bewegt und ein offenes Auge für die Geschehnisse und Veränderungen in Wald und Feld besigt, wird zuweilen beobachtet haben, daß irgend eine plögliche Veränderung in der oberflächlichen Beschaffenheit des Bodens binnen kurzer Zeit eine Beeinflussung der dort wachsenden Pflanzen mit sich bringt, indem Pflanzenarten, die seit langem an den betreffenden Plätzen gestanden haben, verschwinden und neue Arten wie auf einen Zauber schlag erscheinen. Hervorragende Botaniker haben diefen Zusammenhang dadurch erklären wollen, daß die Samen oder Zwiebel einer früheren Pflanzengeneration ihre Lebens­fähigkeit lange Zeit in sich zurückgehalten haben, jahrelang andere Geschlechter über sich haben wachsen und vergehen lassen, um dann beim Eintritt gewisser günstiger Bedingungen wieder hervors zuschießen. Andere Gelehrte haben dagegen die Möglichkeit bes zweifelt, daß Samen ihre Keimkraft lange behalten können, und vielmehr das plögliche Auftauchen fremder Pflanzen an einer Stelle lediglich auf die natürlichen Mittel des Samentransports, zum Beis spiel durch Wind, Bienen, Vögel und dergleichen zurückgeführt. Dieser Widerstreit hat noch keine Lösung gefunden, jedoch muß eine Beobachtung wie die von Heldreich in dem altberühmten Gebirge Laurion   in Attika die Wagschale zugunsten der ersteren Anschauung sinken machen. In dem Gebirge Laurion   trieben die alten Athener   einen nicht unerheblichen Silberbergbau, der aber gänzlich zum Erliegen gekommen ist. Heldreich hat dort Auss grabungen veranstaltet, und als er eine etwa drei Meter hohe Schicht von Erde und Steinen fortgeschafft hatte, sprang eine bis dahin dort ganz unbekannt gewefene Pflanze aus dem Boden, nämlich ein sogenannter Hornmohn( Glaucium), und in seiner Begleitung außerdem eine erstaunliche Fülle der Pflanzenart Silene juvenalis, die auch als Fliegenfänger bezeichnet wird und bis dahin in Attika seit Menschengedenken nicht gefehen worden war. Dieser Bericht er­innert an die bekannte Erzählung vom Mumienweizen, dessen Samen seit Jahrtausenden in ägyptischen Pyramidengräbern geschlummert und bei einer Aussaat frische Reime getrieben haben soll. Diese Angabe wird jetzt jedoch von den Botanikern mit Einstimmigkeit in den Bereich der Sage verwiesen. Soviel steht aber fest, daß das Pflanzenleben eine große 8ähigkeit besitzt, und daß dem Ges heimnis seines Bestandes nicht leicht auf die Spur zu kommen ift. Der franzöfifche Gelehrte Fliche hat neuerdings gründliche Studien darüber angestellt und namentlich lehrreiche Erfahrungen über die allenthalben bekannte Wolfsmilch( Euphorbia) gesammelt. Dieses in Deutschland   durchaus gewöhnliche Gewächs galt nach dem